Wie die Direktorin des Staatlichen Instituts für Musikforschung, Rebecca Wolf, das Haus neben der Philharmonie neu ausrichten will
Das Staatliche Institut für Musikforschung neben der Berliner Philharmonie steht vor einem Aufbruch. Turbulente Monate liegen hinter dem Institut: Der Wissenschaftsrat hatte das Haus in Existenznot gebracht, internationale Musikwissenschaftler*innen aber kämpften für den Fortbestand dieser einzigartigen Institution und für eine innere Reform. Und dann kam im August die neue Direktorin Rebecca Wolf. Mit ihr sprachen wir über neue Wege, offene Türen und ein paar Träume.
Das Musikinstrumenten-Museum des Staatlichen Instituts für Musikforschung © SIM PK, Anne-Katrin Breitenborn
Die berühmten 100 Tage sind vorbei. Wie erleben Sie Ihr neues Haus? Erschöpft vom Kampf oder bereit für einen Aufbruch?
Rebecca Wolf: Beides. Es ist ein langer Prozess für alle gewesen – die Vorbereitung auf die Evaluierung, die Evaluierung selbst und schließlich das Ergebnis. Jeder hat eine ganz persönliche Erfahrung mit diesem Prozess gemacht. Mein Eindruck ist, dass viele hier im Haus neuen Schwung holen. Ich wurde sehr offen und mit sehr vielen Ideen begrüßt. Wir haben wirklich gleich zusammen losgelegt und haben viele Ideen für Drittmittelprojekte eingesammelt. Das Engagement freut mich wirklich sehr und wir schauen jetzt nach vorn!
Dennoch die Frage: Was ändert sich für das Staatliche Institut für Musikforschung nach der Evaluierung?
Wolf: Das zweite Gutachten war sehr wichtig und sehr konstruktiv für uns. Es benennt Punkte, die wir angehen müssen. Ja, wir müssen internationaler werden! Eine weitere Aufgabe ist das holistische Konzept, also die Aufgabe, eine Bandbreite an Sammlungsobjekten mit konkreten Forschungsprojekten aufeinander zu beziehen. Sicher: Wir können nicht alles machen, was mit Musik zu tun hat, aber wir haben die großartige Freiheit, uns jetzt eine Strategie zu überlegen, die langfristig trägt. Diesen Schwung sollten wir nutzen.
Was meinen Sie denn, wenn sie vom neuen globalen Denken sprechen? Ihre Sammlung ist doch sehr europäisch geprägt.
Wolf: Wir brauchen mehr Kooperationen im internationalen Raum. Unsere Expertise liegt auf der europäischen Musik, aber es wäre doch spannend zu erforschen, wie diese Musik in Asien oder Afrika rezipiert wird. Wie spiegelt sich das zu uns zurück und wie wird unsere Musikkultur davon eigentlich beeinflusst? Es gibt bei den Historikern ja schon länger den Schwerpunkt der Globalgeschichte. Da finden wir sicher Kooperationspartner.
Aber sicher auch innerhalb der Stiftung Preußischer Kulturbesitz.
Wolf: Ja, natürlich. Mit den Musikethnologen sind wir schon im Gespräch, mit dem Ibero-Amerikanischen Institut werden wir nach dem Astor-Piazzola-Projekt im kommenden Jahr eine Sammlung aus Lima erforschen. Dabei geht es um Notenrollen für selbstspielende Klaviere. Solche Programmträger haben wir auch in der Sammlung. Hier zeigt sich exemplarisch, was ich gern möchte: Sammlungsobjekte in den Blick nehmen und gleichzeitig die Kulturgeschichte erforschen.
Sie haben bei Ihrem Amtsantritt davon gesprochen, dass es für das SIM keine Blaupause gebe. Wie war das gemeint?
Wolf: Es gibt kein Vorbild, dem wir folgen müssten. Wir haben viele inhaltliche Freiheiten, aber auch Aufgaben. Das SIM hat viele Optionen, sich Themen zu erarbeiten. Wir machen Forschung, aber eben auch Wissenschaftsvermittlung. Das sind doch wunderbare Bögen. Ein Beispiel: In der Geschichte der Musiktheorie gibt es verschiedene Optionen. Wir können historisch zurückgehen in die Mittelalter-Renaissance-Forschung, aber wir könnten uns auch der Gegenwart widmen. Ich bevorzuge Letzteres. Denken Sie nur daran, wie das Haus die Geschichte der elektronischen Musikinstrumente in einer sehr erfolgreichen Sonderausstellung erzählt hat. Das gehört doch in diese Stadt und ich finde es wunderbar, dass das SIM jetzt auch Anfragen aus der populären Musik erhält.
Das SIM steht an einem pulsierenden Ort des Berliner Musiklebens, wo sich Musikwissenschaft und Konzert gut verbinden. Wie steht es denn mit der Nachbarschaft zur Philharmonie?
Wolf: Ich habe mich schon mit der Intendantin Andrea Zietzschmann getroffen und wir haben erste Ideen entwickelt. Im kommenden Jahr wird es an drei Abenden ein Konzert mit der Ersten Symphonie des Komponisten Rued Langgaard in der Philharmonie geben, die sogenannte Klippenpastorale. Dazu haben wir die Noten und das Autograph, die wir ausstellen werden. Es wird überdies Vorträge und Einführungsveranstaltungen bei uns geben. Wir haben ja eine direkte Tür zur Philharmonie, die offenstehen wird. Wir wollen für das Philharmonie-Publikum mehr sein als nur ein Ort der Konzerteinführungen. Deshalb soll es von März bis Juni Familienführungen innerhalb der MIM-Kids-Reihe geben – wir starten in der Philharmonie und landen im SIM.
Im kommenden Jahr ist der 200. Todestag von E.T.A. Hoffmann. Was planen Sie?
Wolf: Zwei seiner Schriften haben uns besonders inspiriert. Zum einen geht es um „Die Automate“, zum anderen um den „Sandmann“. Hiervon ausgehend wollen wir uns mit Musikautomaten, dem Speichern von Musik, dem maschinellen Musizieren beschäftigen. Wir haben die Objekte dazu! Es soll in einer Sonderausstellung um Hoffmanns phantastische Welt und um die komplexen Verbindungen von Mensch, Maschine und Musik gehen. Dazu sprechen wir uns eng mit der Staatsbibliothek ab, wo ja auch eine Ausstellung geplant ist. Unsere Reihe SIM Science und ein Symposion werden je ein wissenschaftliches und ein breiteres Publikum einbeziehen.
Mit dem Geheimen Staatsarchiv wird es ein Projekt zu Patenten von Musikinstrumenten geben. Worum geht es da?
Wolf: Ja, ein wunderbares Digitalisierungs- und Erschließungsprojekt. Gerade Patentschriften erscheinen ob ihrer technischen Erläuterungen manchen als spröde. Sie sind aber gerade für die Instrumentenkunde und auch für die Technikgeschichte oder die Medienwissenschaft wertvolle Quellen. Man kann daran beobachten, welche Erfindung sich eigentlich durchsetzt und warum. Nehmen Sie zum Beispiel die Böhm-Flöte. Es ist die Standardflöte in jedem Orchester der Welt. Warum hat sich gerade diese Erfindung durchgesetzt? Gerade diese Patentschriften sind dafür ein wichtiger Baustein, aus dem man vielleicht auch herauslesen kann, warum etwas erfunden wurde. Was war das Ziel und wurde es erreicht? Man kann richtige Geschichten daran anknüpfen.
In diesem Jahr stand das Kulturforum besonders im Fokus. Die Neue Nationalgalerie wurde eröffnet, das Museum des 20. Jahrhunderts ist im Bau, die Anrainer taten sich zusammen, um letztlich ein großes, gemeinsames Band des neuen Miteinanders zu weben. Wie sieht sich das SIM in diesem Prozess?
Wolf: Mein Traum wäre, dass wir ein klingender Eingang ins Kulturforum sind. Ideal wäre für uns, dass wir mehr Platz hätten, um unsere Sammlung etwas zu erweitern. Unser Magazin und unsere Depots sind voll. Uns werden von Zeit zu Zeit auch ganz tolle Schätze angeboten, für die wir aber Platz brauchen. Hierfür wäre eine bauliche Erweiterung ideal, die einen einladenden Eingangsbereich bietet.
Gezielt sollten wir die gute Zusammenarbeit mit den Nachbarn weiterführen. Gerade läuft die sehr schöne und vom Kuratorium Preußischer Kulturbesitz unterstützte Reihe Porzellan & Musik mit dem Kunstgewerbemuseum. Die kommt richtig gut an! Man ist in beiden Häusern zu Gast, erfährt etwas über Kunstgeschichte und Musikwissenschaft und hört Musik. Letztlich ist es ein thematischer Spaziergang durch das Kulturforum. Gerade solche kleinen, feinen Formate stelle ich mir für uns als Vernetzung ideal vor.
Sie haben in Ihrer Antrittsrede davon gesprochen, ein stiftungsübergreifendes Projekt „Musik in der SPK“ ins Leben zu rufen, das „die Musik, Nachbardisziplinen, Theorie und Praxis rund um wechselnde Themen wie Digitalisierung, Provenienz, Materielle Kultur, Restaurierungsforschung, sinnliche Wahrnehmung u.v.m. verbindet“. Wann geht es damit los?
Wolf: Wenn wir zwei Veranstaltungen pro Jahr machen, wäre das großartig. Ich möchte das SIM gern als Standort auch für experimentelle Formate stärken und auch Themen in den Blick nehmen, die erstmal gar nicht so selbstverständlich sind. Zum Beispiel Nachhaltigkeit, Materialität, Digitalisierung. Die Stärke der SPK ist doch, dass wir nicht nur einzelne Museen, Bibliotheken und Forschungsinstitute sind, wir können die Dinge ideal aus ganz unterschiedlichen Blickwinkeln untersuchen und zusammenführen.
Noch eine Frage zur SPK-Reform. Was erwarten Sie?
Wolf: Gestaltungsautonomie ist sehr wichtig, keine Frage. Der Wille und der Schwung, dass wir gemeinsam anpacken, damit die Stiftung gut für die Zukunft aufgestellt ist, das ist in allen Einrichtungen zu spüren.