Mit „Multaka“, „Syrian Heritage Archive“ oder kultureller Bildung für Moscheegemeinden lieferte das Museum für Islamische Kunst Schlag auf Schlag ideenreiche Projekte mit Bezug zu aktuellen Fragen der Gegenwart, bei denen es immer auch darum geht, auf Menschen zuzugehen. Nebenbei werden diverse Ausstellungen gemacht, die Sammlung einer kompletten Revision unterzogen und Gelder für weitere wichtige und richtige Projekte akquiriert. Wie das alles zu schaffen ist, erklärt Direktor Stefan Weber.
Was hat sich im Museum für Islamische Kunst in den letzten zehn Jahren geändert?
Baulich einiges, denkt man an das neue Archäologische Zentrum mit den wunderbaren Werkstätten und Depots und an die Megabaustelle des Pergamonmuseums, wo man unsere zukünftigen deutlich erweiterten Ausstellungsflächen wachsen sieht. Das Neue Museum ist eröffnet, die James-Simon-Galerie und Humboldt Forum sind fast fertig, Mitte ist im Wandel. Auch unsere Dauerausstellung wird sich dieses Jahr um ca. 75% verändert haben. Die Besucherzahlen haben sich in der Zeit auf bis zu 900.000 fast verdoppelt. Das fällt ins Auge, doch das meiste geschieht hinter den Kulissen.
Stefan Weber, Direktor des Museums für Islamische Kunst der Staatlichen Museen zu Berlin © Issam
Wir haben mit der kompletten Revision der Sammlung begonnen. Eine Mammutaufgabe und 70% sind aufgenommen, mit dem Ergebnis, dass wir fast doppelt so viele Objekte haben als gedacht.
Stand heute: ca. 93.000 Objekte. 40% der Depots sind umgezogen. Die großen Grabungskonvolute werden erforscht, zahlreiche Bücher sind erschienen. Teil dessen ist auch eine Intensivierung des Restaurierungsprogramms in Vorbereitung des Umzugs, mit dutzenden restaurierten Objekten. Wir haben mit Hilfe einer großzügigen Förderung von Yousef Jameel 11.000 Objekte katalogisiert und online gestellt. Aber es wird noch viele Jahre dauern, bis wir unsere Sammlung im Griff haben und auch die Provenienzen geprüft sind. Das wäre nicht möglich ohne die engagierte und sehr mühselige Arbeit des ganzen Teams.
Wir haben außerdem einen Freundeskreis gegründet, der prächtig gedeiht und einen internationalen ehrenamtlichen Beirat, der uns immer wieder hilft. So können wir schnell reagieren und Lücken füllen – Ausstellungsgelder, Überbrückungsfinanzierung von Mitarbeitern, Projekte abwickeln. Wir haben durch das ehrenamtliche Engagement enorm an Beweglichkeit gewonnen. Nur so konnten wir auf die Flüchtlingskrise reagieren und die international führenden Projekte zum syrischen Kulturerbe durchführen. Insgesamt sind nun 12 Projekte zu UNESCO Weltkulturerbestätten an unserem Haus, mit langfristigen Partnerschaften mit Sharjah/Emirate, Córdoba und dem Iran. Manchmal auf politisch sensiblem Terrain unterwegs, sind wir ein Akteur der auswärtigen Kulturpolitik geworden.
Museum für Islamische Kunst
Das Museum für Islamische Kunst der Staatlichen Museen zu Berlin präsentiert im Pergamonmuseum auf der Museumsinsel Meisterwerke der Kunst und archäologische Objekte aus islamisch geprägten Gesellschaften vom 8. bis ins 19. Jahrhundert. Die Sammlung umfasst ein Gebiet, das von Spanien bis nach Indien reicht.
Das Museum ist eine der führenden Forschungseinrichtungen auf ihrem Gebiet. Es engagiert sich im Kulturgutschutz und ist aktiv in den Bereichen Restaurierung, internationaler Kulturaustausch und (inter-)kulturelle Bildung in Deutschland.
Doch der Fokus liegt auf unsere Rolle hier in Berlin, mit vielen Ausstellungen und Tagungen – gerne immer wieder mit unseren Kollegen von der Orientabteilung der Staatsbibliothek und im Netzwerk der Universitäten, Exzellenzcluster und Forschungsproramme.
Durch unsere Partner können wir immer wieder Gastwissenschaftler an unser Haus binden und die Staatlichen Museen haben nun ein eigenes internationales Stipendienprogramm. Solche Möglichkeiten gab es früher nicht, sie sind auch das Ergebnis strategischer (und freundschaftlicher) Partnerschaften.
Wir wollen besser werden bei der Arbeit mit den Besuchern und evaluieren immer wieder neue Vermittlungsformate – mit Teststationen in fast allen 17 Ausstellungsräumen. Vier aktive Webseiten und aktive Facebook-Accounts, gestützt durch eine vom Emirat Sharjah gesponserte Outreach-Mitarbeiterin und Kulturprogramme (wie die „Nächte des Ramadan“) zeigen die Lebendigkeit unseres Hauses. Durch die Projekte und strukturelle Verbesserung durch die Generaldirektion gestützt (auch hier ja ein neuerer Webauftritt und Social Media Strategie) ist unser Team von 12 auf um die 40 Mitarbeiter gewachsen, von denen viele auch durch eine langfristige, sehr großzügige Förderung der Alwaleed Philanthropies an das Haus gebunden werden konnten. Das waren wilde, konzentrierte Jahre und manchmal traue ich meinen Augen nicht, was unser Team die letzten Jahre geschafft hat. Ich bin jedenfalls gewaltig stolz auf diese Leistung.
"Multaka: Treffpunkt Museum"
Das Projekt bildet Geflüchtete aus Syrien und dem Irak zu Museumsguides aus. Sie führen ihre Landsleute in ihrer Muttersprache durch das Pergamonmuseum, das Bode-Museum und das Deutsche Historische Museum in Berlin. Das vom Museum für Islamische Kunst der Staatlichen Museen zu Berlin entwickelte Projekt wurde vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend gefördert und wird jetzt von der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien unterstützt. mehr
Auf welches Projekt, welche Ausstellung, welche Publikation sind Sie besonders stolz und warum?
Es gibt vieles, was mir da einfällt, wie die Aufarbeitung der Sammlung. Das empfinde ich schon fast als historisch, weil wir nach der verworrenen Geschichte des hektischen Sammelns, zwei Weltkriegen und Zerstörung, Teilung, Abtransport und Rückführung, getrennten Sammlungen und Vereinigung vieles neu in die digitale Datenbank aufgenommen haben. Schon alleine die Erstellung der Thesauri und Vereinheitlichung der Inventarnummern war sehr aufwendig. Das Team befand sich permanent auf der Suche in den Depots. Das hatte ich nur mit angeschoben, aber der Dank gebührt dem Team mit meiner Stellvertreterin Ute Franke, die dies weitgehend alleine gemacht haben.
Ein wichtiger Schwerpunkt war von Beginn meiner Amtszeit an, das Museum mit seiner Expertise zu islamisch geprägten Kulturen als den Ort der kulturellen Bildung und gesellschaftlichen Verantwortung zu etablieren. Sehr mühsam, und selbst für so eine bedeutende Gegenwartsfrage lag das Geld leider nicht auf der Straße. Angefangen habe ich mit einem Drittmittelmitarbeiter. Das BKM hatte unsere Potentiale verstanden. Inzwischen haben über 600 Schulen unsere Materialen abgerufen und zusammen mit dem Migrationsbeauftragten im Senat und dem BMWF arbeiten wir partizipativ mit 13 Moscheegemeinden an außerschulischen Angeboten für junge Muslime. Gegenwärtig prüfen wir mit dem Familienministerium die Zusammenarbeit mit Familienzentren.
Wir haben uns hier einen Namen gemacht und sind nun nicht nur gut vernetzt, sondern können auch durch die Förderung der Alwaleed Stiftung mit mehreren Personen langfristig weiterarbeiten. Das ist mir wichtig, denn durch Kultur und Kunst kann man offene, plurale Identitätsbilder stärken – viel besser als durch den politischen Diskurs. Wer weiß, dass seine Musikhelden allesamt Instrumente benutzen, die ihren Ursprung im Nahen Osten haben – wie so viele Dinge, der wird resistenter gegen vereinfachtes Schwarz-Weiß Denken. Migration ist mit dem Projekt „Multaka – Treffpunkt Museum, Geflüchtete als Guides in Berliner Museen" ein Kernthema geworden, das für unsere Objekte und die Menschen in der Ausstellung wichtig ist. Das Projekt – inzwischen fünf Mal nominiert bzw. ausgezeichnet – hat uns international auf die Landkarte gebracht und Museen und Journalisten auf der ganzen Welt sprechen über uns. Das hat auch uns inhaltlich weitergeholfen und gezeigt, dass konsequent partizipative Projekte uns helfen, die Geschichte der Objekte aus der Vergangenheit in die Gegenwart zu bringen.
Ich freue mich über die Planung der neuen dreifach so großen Museumsflächen – das wird toll, wenn auch erst 2025. Ein wenig stolz bin ich über die Projekte zum syrischen Kulturerbe, die über die letzten fünf Jahre international führend neue Wege gegangen sind. Hier werden wir weiter innovativ Wege suchen, Kulturerbe, Dokumentation und Kommunikation partizipativ zu verbinden.
Es gab in unserem Haus zahlreiche tolle Ausstellungen, u.a. mit der Staatsbibliothek über das Iranische Königsbuch und die fantastischen Malereien der Diez-Alben aus dem frühen 14. Jahrhundert, zur afghanische Kalligrafie, persischen Antike und Islam – zu viel, um sie aufzuzählen. Jedes Jahr vier Ausstellungen bei uns und weitere im Ausland, die unser Team kuratiert. Da guckt man gerne auf das eine oder andere Highlight zurück.
Womit sind Sie am schönsten gescheitert?
Oh ja, es gibt ein, zwei schmerzliche Niederlagen! Der Abgang einer Sammlung tut immer noch weh, auch menschlich – selbst wenn es für das Museum besser war. Die Mschatta-Diskussion und die daraus resultierende räumliche Reduzierung des künftigen Hauptsaals ist aus unserer Sicht immer noch bedauerlich.
Manchmal muss ich aus der Retroperspektive schmunzeln: über mich. Ich habe direkt ab dem ersten Jahr die Ärmel hochgekrempelt und in meiner neuen Aufgabe mich pflichtbewusst auf die Suche nach Geldgebern gemacht. Die Museen verfügen über kein eigenes Budget, um Projekte und Veranstaltungen durchzuführen. Ich hatte schnell gute Kontakte aufgebaut - aber nichts Konkretes anzubieten. Absichtserklärungen verkaufen sich schlecht. Inzwischen sind Flyer und Broschüren in mehreren Sprachen gedruckt, ‚Produkte‘ und Zielsetzungen formuliert und es gibt eine Art Infrastruktur. Einigen potentiellen Möglichkeiten konnte ich mit leeren Händen hinterherwinken. So musste ich lernen, dass eine Idee und blaue Augen noch keinen Blumenstrauß einbringen. Da war manchmal schon ein wenig Naivität im Spiel – aber die hat auch Steine ins Rollen gebracht. Inzwischen konnten wir mit einigen Millionen viele wichtige Projekte umsetzen.
Wesentlich schwerer als gedacht und lange noch nicht da, wo ich hinwollte, ist die Ausbalancierung zwischen wissenschaftlichem Inhalt und der Lebenswirklichkeit und den Bedürfnissen der vielen unterschiedlichen Besucher. Es ist richtig, als Anwalt der Kulturen, Epochen und Objekte, die wir erforschen und restaurieren, immer darauf zu achten, dass wir diesen gerecht werden – sonst könnten wir Posterausstellungen machen.
Trotzdem müssen wir unsere Besucher erreichen. Wir sprechen immer noch "chinesisch" für die meisten und schaffen es nicht, über die verschiedenen Interessen Menschen zu berühren. Wir wissen über die Relevanz unserer Inhalte und freuen uns enorm, wenn Besucher diese auch verstehen. Es gibt hier auch eine große Neugier.
Nach vielen Test und guten und schlechteren Versuchen wollten wir unseren Eingangsraum neu gestalten und diesmal alles richtig machen – auch für die Objekte. Es dauerte Monate, fast Jahre. Endlos die Materialuntersuchungen, die sogenannten Oddy Tests (Danke dem Rathgen Forschungslabor!). Ausdünstungen von Grafik oder Klebern schädigen viele Materialgruppen und für die konservatorischen Benchmark zum Objektschutz wollen wir auch überfällige Standards setzten.
Zudem will ich mit Grafik in die Vitrine rein, um die Lesbarkeit zu erleichtern. Materialschäden der Vitrine und Schwierigkeiten mit der Beleuchtung kamen bei magerem Budget dann auch noch hinzu. Stolz war ich, als wir nach Monaten und vielen Mühen fertig waren. Mit den Texten und transregionalen Vergleichsobjekten aus dem Museum für Asiatische Kunst (Danke auch dorthin!) hatten wir eine tolle Geschichte zwischen China und Iran aufbereitet. Klasse! So sollte es sein – und doch war es wieder nicht perfekt: einer meiner ersten kritischen Besucher warf einen Blick auf die Texte. Zu lang! Aus lauter Betriebsblindheit und Objektbesessenheit – so sind wir - hatten wir vergessen, Besucher in das Projekt mit einzubeziehen. Die brauchen wir, wenn wir unsere Inhalte sinnvoll an den Mann, an die Frauen und hoffentlich bald auch mal an Kinder und Jugendliche bringen wollen. Inzwischen haben wir eine fachfremde Kuratorin eingestellt, deren Aufgabe es ist, in der Planung schon die Besucherbrille aufzusetzen.
Was hat Sie am meisten überrascht?
Zu meiner ersten Direktionskonferenz – die Direktoren der Museen und die Generaldirektion treffen sich monatlich - hatte ich mich mental mit Schwert und Schild gewappnet. Wenn 18 Einrichtungen an einer Finanzquelle hängen, kann es ja nur Streit geben und akademische Institutionen sind ja bekannt für ihre Machtspielchen – dachte ich. Überrascht hat mich die Kollegialität, die (oft zumindest potentielle) gute Zusammenarbeit zwischen den Häusern. Es ging ausgesprochen zivilisiert zu – und das nicht nur zwischen den Museen, sondern auch den Universitäten und akademischen Einrichtungen. Es macht Spaß, in Berlin zu netzwerken und Partnerschaften zu schließen. Dutzende Projekte, Ausstellungen und Veranstaltungen haben wir so durchgeführt. Klasse! Und besonders wichtig, wenn man selbst kein Budget oder die entsprechenden Kapazitäten hat.
Überrascht hat mich der Freiraum – im Positiven wie in Negativen. Einige Abteilungen wie Informations- und Kommunikationstechnik, Bildung, Fundraising, Ausstellungsentwicklung und Marketing waren und sind komplett unterbesetzt oder existieren nicht – als ich anfing, war die SMB-Webseite katastrophal, soziale Medien ein Fremdwort, Merchandising in den Kinderschuhen, etc.
Es hat sich viel zum besseren entwickelt, doch bräuchte man in diesen Bereichen – auch wegen der Gesundheit der Mitarbeiter – deutlich mehr. Manchmal schaut man neidisch nach New York, London oder Paris – aber die schauen auch neidisch auf uns. Die Herausforderungen und Freiräume machen uns erfinderisch. Zwar erstickt die Überregulierung des Arbeitsalltags viel Schwung, doch genieße ich die Freiheiten in Forschung, Außenkulturpolitik, kulturell-gesellschaftlicher Bildung, Museumentwicklung enorm.
Manchmal noch ärgere ich mich über weite Wege und über zu wenig Courage, neue Wege zu finden – ein Projekt wie „Multaka“, das weltweit Aufmerksamkeit gefunden hat, wäre nie möglich gewesen, hätten wir „wir schaffen das" nicht einfach umgesetzt. Wir brauchen mehr Mut zur Veränderung, müssen nicht nur darüber reden, sondern sie machen.
Wo sehen Sie das Museum für Islamische Kunst 2028 - Was sollte in den nächsten zehn Jahren passieren?
2028? Die neue Dauerausstellung im Nordflügel des Pergamonmuseums ist offen, täglich kommen mehrere Tausend Besucher, sehen die frühislamische Palastfassade von Mschatta und finden bei dem Gang durch die Geschichte Antworten auf Fragen, die ihnen heute (also morgen) weiterhelfen. Sie empfinden die neue Ausstellung als spektakulär, erfrischend, leicht zugänglich für die vielen unterschiedlichen Menschen, die zu uns kommen – sie sind inspiriert durch die Erfahrung: dem Museum gelingt es, mit den Objekten aus der Vergangenheit Relevanz für die Gegenwart zu generieren – und alle die, die Herkunftsorte kennen, können sich ebenfalls wiederfinden.
Alle Objekte sind in der Datenbank, sind verstandortet, lagern in neuen, sauberen Depots und Provenienzen sind (fast) erforscht. Alle Dächer von Neu- und Altbauten sind dicht und wir haben noch ein paar wichtige Objekte bekommen. Künstler, Musiker, und viele Schulkinder haben sich mit unserer Sammlung kreativ auseinandergesetzt…
Darf ich weiter träumen? Eigentlich ist dies auch ein Weg, weitere Ziele zu formulieren, wohlwissend, dass vieles nicht so passieren wird. Wichtig wären für uns langfristige Unterstützung in den Bereichen kulturelle-gesellschaftliche Bildung, internationale Kulturarbeit und Forschung, Kunstvermittlung und Kulturerbeschutz, Integration und gesellschaftlichen Zusammenhalt, um nicht immer von einem Projekt zum nächsten zu strampeln – wobei man gute Leute, Kontinuität, Effektivität und zu viel wichtige Energie verliert. Ich hoffe, dass ich in zehn Jahren wegen der langen mühseligen Wege weder zynisch noch müde geworden bin und vielen interessanten Menschen Raum am Museum geben kann, ihre Ideen und Kreativität auszuleben.