Was als Wissenssilo von Preußen im „Deutschen Oxford“ in Dahlem seine Anfänge nahm, unterwegs seinen Staat verlor und durch die deutsch-deutsche Teilung fragmentiert wurde, feiert nun Jubiläum: 100 Jahre Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz in Dahlem. Anlass für eine große Ausstellung, die den wechselvollen Weg des GStA durch das turbulente 20. Jahrhundert nachzeichnet. Archivamtsrätin und Kuratorin Constanze Krause erzählt, was zu sehen sein wird.
Ein World Wide Web, elektronische Akten oder digitale Fernleihe gab es vor einhundert Jahren wenn überhaupt nur annähernd in irgendwelchen Science-Fiction-Heftchen. Unwahrscheinlich also, dass am 26. März 1924 bei der feierlichen Einweihung des dreiflügeligen modernen Archivzweckbaus für das Geheime Staatsarchiv auf einem Dahlemer Acker irgendwer geahnt hat, wie diese Institution im 21. Jahrhundert arbeiten würde.
Nun schreiben wir also das Jahr 2024 und in Dahlem soll wieder gefeiert werden, nämlich das 100. Jubiläum des Geheimen Staatsarchivs an diesem Standort. Herzstück der Feierlichkeiten ist eine Ausstellung, die unter dem Titel „Auch Geheime Archive sehnen sich nach Licht“ den verschlungenen Weg des GStA durch ein turbulentes Jahrhundert nachzeichnet. Archivamtsrätin Constanze Krause hat dafür über ein Jahr lang dessen nicht wirklich klein zu nennenden Bestände durchforstet. Gemeinsam mit acht Kolleg*innen hat sie Archivalien zutage gefördert, die von den Anfängen des Hauses als kurfürstliches Archiv berichten.
Davon, wie das brandenburg-preußische Gedächtnis vor den Wirren des Zweiten Weltkriegs gerettet wurde, den anschließenden Jahren der Trennung und der geglückten Wiedervereinigung historischer Bestände von unschätzbarem Wert. Sie hat Exponate und Originale zutage gefördert, die einen Einblick in den Arbeitsalltag ihrer Vorgänger*innen gewähren – Stempel zur Blattzählung, handschriftliche Berichte und Fotografien von vorherigen Amtskolleg*innen.
Sogar das alte Konferenztelefon von Professor Jürgen Kloosterhuis – dem Militärgeschichtsexperten und Amtsvorgänger der heutigen Direktorin Professorin Ulrike Höroldt – ist mit dabei. „Das macht eine Ausstellung ja eigentlich erst lebendig, dass man nicht nur das Gebäude oder die Geschichte dahinter sieht, sondern auch die Personen, die darin gewirkt haben“, sagt Kuratorin Krause. Ihre Begeisterung ist greifbar, wenn sie vom Facettenreichtum des Archivlebens heute wie damals und den Hoch- und Tiefpunkten erzählt, die das Geheime Staatsarchiv in den letzten hundert Jahren bewegten.
Eine Linderung der Raumnot, verbesserte Arbeitsverhältnisse und Lagerbedingungen für die Akten, nicht zuletzt das Erscheinungsbild des Archives, wie wir es heute kennen – das alles brachte der Umzug in den Dahlemer Neubau mit sich, der ab 1915 nach Plänen des Architekten Eduard Fürstenau errichtet wurde. Die Jubiläumsausstellung setzt sogar noch ein bisschen früher an, nämlich bei den Anfangstagen des Geheimen Staatsarchivs und dem langen Weg nach Dahlem.
Dieser begann an verschiedenen Standorten im Berliner Schloss. 1874 wurde in das sogenannte „Lagerhaus“ in Mitte gewechselt. Ständige Raumnot, die durch den Ausbau der Berliner U-Bahn entstandenen Schäden und schließlich der Verkauf des Lagerhausareals an die Hoch- und Untergrundbahngesellschaft 1909 führten dazu, dass ein neuerlicher Umzug des Archivs nötig wurde. Dass die Antwort auf die lange offene Standortfrage Dahlem lautete, lag an einem Zusammenspiel aus ungeklärten Finanzierungsfragen, Vorbehalten auf politischer Ebene gegenüber einer baulichen Vereinigung mit dem Reichsarchiv und den Plänen für ein „Deutsches Oxford“, einen Wissenschaftsstandort mit internationaler Strahlkraft im Südwesten Berlins. Auch von diesen Episoden und den Tagen, als im Dahlemer Domizil zugleich das Institut für Archivwissenschaften untergebracht war, wo zahlreiche Archivar*innen die Ausbildung des höheren Dienstes durchliefen, berichtet die Ausstellung.
Bis auf zwei Ausnahmen wurde die umfangreiche Ausstellung und das begleitende Online-Dossier übrigens ausschließlich aus den enormen Beständen des Geheimen Staatsarchivs bestückt. 35 Kilometer Archivgut finden sich heute dort, darunter Historische Akten, Urkunden, Karten, Pläne und Amtsbücher aus fast neun Jahrhunderten brandenburg-preußischer Geschichte. Die ältesten Urkunden reichen zurück bis ins späte 12. Jahrhundert, und alles ist heute für die Öffentlichkeit zugänglich, teilweise online.
Dass alles hätte auch anders verlaufen können, führt die Ausstellung ebenfalls deutlich vor Augen. Sie beleuchtet in eigenen Kapiteln die kriegsbedingten Auslagerungen, welche die Bestände des Archivs fragmentiert haben. Noch kurz nach der Wende lagerten zwei Drittel der heutigen Bestände im ostdeutschen Merseburg. Deren Rückführung in den Jahren 1993 und 1994, diese Wiedervereinigung des preußischen Gedächtnisses kann in seiner Bedeutung für das Geheime Staatsarchiv, aber auch für die historische Forschung kaum überschätzt werden.
„Als die ersten zurückgeführten Akten zur Benutzung freigegeben wurden, gab es einen wahren Ansturm auf das Haus. Wir waren immer ausgebucht, weil natürlich viele aus Westdeutschland mit den zuvor in Merseburg gelagerten Beständen kaum forschen konnten“ erinnert sich Constanze Krause, die nicht nur Archivamtsrätin und Jubiläumsausstellungskuratorin, sondern auch Zeitzeugin ist. „Eine Benutzungserlaubnis musste ja in Merseburg über die staatliche Archivverwaltung der DDR laufen. Mit der Rückführung stürmten alle nach Berlin zu uns ins Geheime Staatsarchiv. Teilweise saßen die Leute unten im Foyer und warteten, dass jemand aus dem Lesesaal kam und ein Platz frei wurde.“
Wenn Constanze Krause über diese Phase spricht, wird schnell die besondere Bedeutung jener Zeit nicht nur für die Öffentlichkeit, sondern auch für die Mitarbeiter*innen des Archivs klar. Sie selbst hat das archivarische Handwerk in Merseburg als Archivgehilfin gelernt. Im Umgang mit den Akten, die sie noch heute fast täglich bearbeitet, lernte sie das Magazinieren, die Grundregeln der Erschließung, wie man Archivalien reponiert und Bestandsrevisionen durchführt. Es folgten einige Jahre des Fachhochschulstudiums in Potsdam, dann die Rückkehr nach Merseburg.
Als feststand, dass die Bestände in Dahlem zusammengeführt wurden, bedeutete das für viele eine Weggabelung. Will ich in Merseburg bleiben? Oder nach Berlin gehen? Constanze Krause entschied sich für den Wechsel in die Hauptstadt. Sie war die erste von 16 Kolleg*innen, die den Weg nach Dahlem antraten. Heute arbeitet unter den fast drei Dutzend Archivar*innen neben ihr nur noch eine weitere ehemalige Merseburgerin im GStA PK. Nächstes Jahr wird Constanze Krause die letzte sein.
Für sie ein Ansporn. Das Arbeiten im Archiv, das merkt man, ist ihr Traumberuf, die Begeisterung dafür zu vermitteln ihre besondere Leidenschaft. Regelmäßig führt sie Interessierte durch das Haus, bringt Student*innen und Schüler*innen bei Lehrveranstaltungen die Geheimnisse historischer Quellenarbeit näher. Für das Jubiläumsjahr will sie die Angebote erweitern – und noch ein paar Insider-Informationen über das „Geheime“ weitergeben.
Aktivitäten zum 100. Jubiläum
Das 100-Jährige Jubiläum des GStA wird nicht nur mit der Ausstellung „Auch Geheime Archive sehnen sich nach Licht“ ausgiebig gefeiert:
Neben einer Feier für ehemalige und aktuelle Mitarbeiter ist für den Sommer ein öffentlicher Festakt geplant.
Die Onlineangebote des Archivs werden um eine eigene Dossier-Sektion auf der Website bereichert.
Jeden zweiten Mittwoch im Monat stehen Führungen durch das Archiv und die neue Sonderausstellung auf dem Programm, die ebenfalls am 26. März eröffnet.