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Das Gewissen klingt mit

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Die Zukunft hat schon begonnen: Barnes Ziegler restauriert im Musikinstrumenten-Museum alte Instrumente und behält dabei Tradition und Klima im Blick, Elfenbein und Stradivari

Wohl kein Instrument ist der menschlichen Stimme so verwandt wie die Geige: Sie kann singen und krächzen, flüstern und sprechen. Aber nicht jede Geige ist gleich – weder von der Bauart noch vom Klang. Viele sind alt, noch mehr sind neu. Fast alle sind aus Holz. Manche sorgen in den Händen von großen Interpreten für unvergleichliche Kunsterlebnisse, andere verlieren als Geldanlagen in Safes ihren Charakter. Und einige befinden sich im Musikinstrumenten-Museum am Kulturforum nahe der Philharmonie, auf deren Rückseite auch Barnes Ziegler schaut, wenn er denn einmal den Blick von seinen Monitoren hebt und nicht länger vielleicht den 3-D-Scan einer Bratsche studiert, die Ludwig van Beethoven einst von seinem Freund und Mäzen Fürst Karl von Lichnowsky geschenkt worden war. Oder wenn er sich nicht an einer der Werkbänke betätigt, auf denen Bestandteile von Instrumenten liegen und diverses Werkzeug griffbereit ist. Barnes Ziegler ist hier einer von vier Restaurator*innen, in deren Händen die Dinge liegen, die das Museum zu dem machen, was es ist: Die Instrumente. Wobei er dieses Wort selten benutzt, er spricht lieber von Objekten. Das rückt sie weiter weg vom konkreten Gebrauch in der Musik und mehr in den Museumskontext. Objekte gibt es im Vorderasiatischen Museum ebenso wie im Kunstgewerbemuseum – und von dort kennt man die Debatten, die Ziegler auch für seinen Bereich führen möchte: Wie gehen wir mit Zeugnissen der Vergangenheit um? Wie lassen sich die Spuren, die im Lauf der Jahrhunderte entstanden sind, erhalten, damit kommende Generationen noch etwas daraus lernen können? Was stellen wir in unseren Museen aus und in welchem Zustand? Das sind nicht nur akademische Diskurse, es ist sein tägliches Tun. Denn wenn zum Beispiel eine beschädigte Geige vor ihm liegt, könnte sich daran eine historische Begebenheit abzeichnen. So besitzt das Musikinstrumenten-Museum viele Objekte, die während des 2. Weltkriegs in Mitleidenschaft gezogen wurden. Die Geige wird dann vielleicht zu einem Zeugnis für Bedrohung, Verlust, Migration. Und dafür, dass ihre Eigentümer*innen sie trotz aller widrigen Umstände mitgenommen und umsorgt haben. Soll man diese Spuren tilgen und wieder einen harmonischen, geschlossenen Geigenkörper herstellen oder soll man die Geige mit ihren Verwundungen ausstellen? Das muss von Fall zu Fall entschieden werden – gut 800 Objekte werden in der Ausstellung gezeigt, rund 3600 sind insgesamt im Museum – und ist eine der Fragen, denen sich Barnes Ziegler gern und offen stellt: Was soll im Musikinstrumenten-Museum wie erzählt werden?

Restaurator Barnes Ziegler mit einer Geige am Arbeitsplatz
© SPK / photothek / Sebastian Rau

Er kam durch ein Praktikum während seiner Ausbildung ans Haus und ist hier seit zwei Jahren fest angestellt. Geboren wurde er 1994 in Berlin in einer musikbegeisterten Familie und erkundete das Museum schon früh mit seinem Großvater. Der hatte, obwohl Professor für Biophysik an der Humboldt-Universität, eine ausgesprochene Vorliebe für Musik, für Instrumente und ihren Klang. Er versorgte den wissbegierigen Enkel mit der Standardlektüre, Otto Möckels „Die Kunst des Geigenbauens“ und mit „Die Alemannische Schule. Geigenbau des 17. Jahrhunderts im südlichen Schwarzwald und in der Schweiz“ von Olga Adelmann, die Schülerin bei Möckel gewesen war und als erste Frau in Deutschland 1940 die Meisterprüfung ablegte. Ab 1961 war sie feste Restauratorin am Musikinstrumenten-Museum – und insofern eine Vorgängerin von Barnes Ziegler.

Er lernte erst Geige, dann Bratsche, erbte vom Großvater den Basteltrieb und die Lust an wissenschaftlichen Forschungen. Aus der Neigung wurde schließlich ein Beruf, nein, es wurden sogar zwei Berufe daraus. Barnes ließ sich am Heiligtum der Geigenbauer, dem Istituto di Istruzione Secondaria Superiore Antonio Stradivari in der italienischen Stadt Cremona, in der Antonio Stradivari 1737 verstorben war, ausbilden. Anschließend studierte er noch Konservierung und Restaurierung an der Fachhochschule Potsdam und der Hochschule für Technik und Wirtschaft in Berlin. Zu Hause hat er eine Werkbank und ist vor allem Geigenbauer, „da kann ich basteln und experimentieren, wie ich will“. Im Museum dagegen ist Ziegler Restaurator und betrachtet die Instrumente aus einem anderen Blickwinkel. Er tut das nicht zum Zeitvertreib, sondern „weil wir hier in Jahrhunderten denken“. Das heißt, er überlegt sich nicht einfach eine Lösung für ein technisches Problem, das bei einem vielleicht beschädigten, vielleicht abgenutzten, vielleicht nur unvollständig erhaltenen Objekt auftritt. Stattdessen prüft er gewissenhaft, wie er diese Lösung zwischen Tradition und Vision, zwischen den Intentionen der Hersteller*innen und den Interessen der Nachfahren im historischen Kontinuum sinnvoll, nachhaltig, zukunftsorientiert realisieren kann. Dafür muss er wissen, wie das Objekt ursprünglich gebaut war, muss die Materialien, die Fertigungs- und Lackierungstechniken kennen, muss herauskriegen, wie es im Lauf der Zeit verändert wurde, etwa um sich neuen musikalischen Anforderungen oder größeren Sälen anzupassen: „Das Restaurieren ist heute ein wissenschaftlich-kritisches Verfahren zum Erhalt von Kunst- und Kulturgütern. Wir arbeiten die Bedeutungsebenen eines Objekts aus verschiedenen Perspektiven heraus und entscheiden dann, was sinnvoll für das jeweilige Objekt ist - und was auch zukünftige Generationen von diesem erfahren wollen.“ Es ist eine enorme Verantwortung, denn letztlich hängt davon ab, wie die Besucher*innen eine bestimmte Epoche, ein bestimmtes Instrument später in der Ausstellung wahrnehmen. Überdies sind historische Exponate ein unersetzlicher Wissensspeicher, denn neue Instrumente werden oft in Anlehnung an die alten gebaut: „Der Zielpunkt ist die Stradivari. Da will jede*r hin!“

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Barnes Ziegler untersucht das Instrument unter dem Mikroskop © SPK / photothek / Sebastian Rau
Eine Hand im weißen Handschuh zeigt auf eine Stelle auf einem Cello
Begutachtung eines Cellos © SPK / photothek / Sebastian Rau
Detail einer Geige, zu sehen ist ein Untersuchungsspiegel und eine Taschenlampe
Das Instrument wird gründlich untersucht © SPK / photothek / Sebastian Rau

Am Ende des Tages dokumentiert Barnes Ziegler in einer entsprechenden Datenbank jeden seiner Schritt minuziös, damit andere Forscher*innen und sonstige Interessent*innen nachvollziehen können, welche Prozesse das jeweilige Instrument durchlaufen hat, wie es wann von wem behandelt wurde und warum. Das spiegelt die hohe Restaurierungsethik, mit der hier gearbeitet wird, und die Ziegler mit Leidenschaft mitträgt, wobei er sich auf die „Charta von Venedig“ beruft, die 1964 verabschiedet wurde. Sie ist die Grundlagen für einen angemessenen Umgang mit Denkmalen, basierend auf dem Grundsatz: „Die Menschheit hat die Verpflichtung [den kommenden Generationen] die Denkmäler in all ihrer Authentizität weiterzugeben.“

Barnes Ziegler ist für die Stiftung Preußischer Kulturbesitz ein Vertreter der „Next Generation“, also ein junger Spezialist mit Freude, Kompetenz und Kreativität, um das Erbe zu bewahren und dessen Zukunft zu gestalten. Er ist kaum zu stoppen, wenn er von seinen Berufen und Berufungen spricht und sich dabei kokett als Nerd bezeichnet, der er in Sachen Streichinstrumente schon immer war – und wohl auch bleiben wird.

Wenn er mal wieder in Cremona ist, geht er natürlich immer in eines der Museen, in denen Streichinstrumente ausgestellt sind. Einmal entdeckte er da mit seinem geschulten Auge ein Cello von Stradivari, dessen Korpus um einige Zentimeter kürzer geschnitten worden war. Ein Besucher hörte ihn darüber mit einem Freund diskutieren und bat um weitere Erläuterungen. Doch je mehr die beiden Experten erklärten, desto entgeisterter schaute der Besucher und befand völlig desillusioniert, dass der ganze Zauber für ihn nun abgefallen wäre, weil er sich „in einem Museum voller Fälschungen“ befände! Er ließ sich nicht mehr mit der Welt versöhnen, auch nicht, als ihm Ziegler zu verdeutlichen versuchte, dass die Kürzung Ausdruck von Wertschätzung sei, denn gerade bei teuren Instrumenten haben ihre Besitzer solche Eingriffe vorgenommen, um sie den sich ändernden künstlerischen Ansprüchen anzupassen.

So setzt sich die Problemlage für die Restaurator*innen heute zusammen: Die Objekte sollen im authentischen Zustand erhalten werden. Das heißt, dass die – ursprünglichen oder später hinzugekommenen - Spuren der Geschichte bestehen bleiben. Dazu kommt ein inzwischen anderer Umgang mit den nötigen Ressourcen, die für die verschiedenen Objekte verwendet wurden, vor allem besondere Hölzer, wie Palisander. Wenn ihm ein Musiker sagt, dass er Kunststoff auf seinem Bogen nicht erträgt, muss Ziegler schlucken, denn das Elfenbein, das ursprünglich benutzt wurde, ist als „weißes Gold“ längst ein hoch gehandeltes Schmuggelgut, das nur durch Wilderei in Afrika auf den Markt kommt. Deshalb möchte er es aus ethischen Gründen nicht mehr gebrauchen. „Wir könnten Materialien aus unseren Altbeständen verwerten, aber wir haben auch eine Vorbildfunktion. Wenn wir nachhaltigere Materialien einsetzen, verbessert das vielleicht deren Image.“

Sensibel an der Schnittstelle von Bewahren und Beschützen denkt Barnes Ziegler natürlich an die Verantwortung gegenüber der Gesellschaft und an Generationengerechtigkeit: „Was bringt es uns, eine Stradivari in perfektem Zustand zu erhalten, wenn durch die fortschreitende Klimaerwärmung die Materialien nicht mehr in der Qualität zur Verfügung stehen und unsere zeitgenössischen und zukünftigen Instrumentenmacher*innen keine Möglichkeiten mehr haben, neue Instrumente mit den traditionellen Techniken und Materialien zu fertigen? Für mich sind die Objekte vor allem Dokumente und Quellen, welche das eigentliche Kulturgut, also das Handeln der Menschen in ihren Kontexten und Traditionen repräsentieren.“


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