Ein Mann sitzt vor einer efeubewachsenen Wand

SPK-Sommerinterview mit Achim BonteKreativität und Kraft im Riesen stärken

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Im Innenhof des Café Felix in der Stabi unter den Linden ging die SPK-Sommerinterviewreihe in die nächste Runde: Der Generaldirektor der Staatsbibliothek zu Berlin, Achim Bonte, erzählt, was Bibliotheken im 21. Jahrhundert ausmacht und warum die Stiftungsreform keinen Museumsverbund mit angehängtem Rest hervorbringen wird

Der kürzlich verstorbene ehemalige Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble sagte bei seiner Rede anlässlich der Einweihung des Hauses Unter den Linden: „Früher galten Bibliotheken als Informationsmonopolisten. Heute ist es ihre Aufgabe, kommerzielle Informationsmonopole zu verhindern. Gerade in einer digitalisierten Öffentlichkeit brauchen wir neutrale und verlässliche Institutionen, die Wissen dokumentieren, zugänglich machen – und ja, auch filtern!“ Hat er recht?

Bonte: Ja und nein. Er hat insofern völlig recht, als wir als gemeinwohlorientierte, vertrauenswürdige Einrichtung gesichertes Wissen vorhalten wollen. Damit erfüllen Bibliotheken gerade in einer Zeit erbittert umkämpfter Weltdeutungen eine zentrale gesellschaftliche Funktion. Schäubles Aussage suggeriert andererseits, dass Bibliotheken das Wissensmanagement alleine meistern könnten. Angesichts des enormen Wachstums und der fortschreitenden Spezialisierung von Kultur und Wissenschaft verstehen wir uns inzwischen eher als werteorientierte Wissensagentur mit vielen weiteren Beteiligten denn als allwissender Wissensfilter. 

Wir suchen deshalb Menschen, die sich an der Wissensarbeit beteiligen. Wir wollen Kreisläufe von Senden und Empfangen schaffen und unsere Häuser entsprechend öffnen. Wir versuchen das durch die Zusammenarbeit mit vielen anderen Institutionen und gesellschaftlichen Gruppen, die sich für bestimmte Anliegen engagieren oder eben tiefes Wissen haben, was zum Teil noch nicht einmal gedruckt verfügbar ist.


Gibt es da auch Widerstände in so einem traditionsreichen Haus?

Bonte: Durchaus. Das traditionelle Bild sieht die Bibliothek manchmal als Hüterin des heiligen Grals, zu dem alle pilgern und die Bibliothekar*innen quasi als Gralswächter, die umfassend entscheiden können, was gute und was schlechte Bücher sind. Aber wir haben die Weisheit nicht gepachtet und stehen nicht auf einem Sockel. Im Kollegium diskutieren wir unseren aktuellen Auftrag deshalb sehr offen und bemühen uns um Verständnis für die verschiedenen Sichtweisen. Letztlich sind alle Kolleg*innen mit großer Expertise und Begeisterung für die Stabi am Werk und wissen, dass Veränderung keine Kritik an einer erfolgreichen Vergangenheit, sondern eine notwendige Investition in die Zukunft bedeutet. 

Bei Ihrem Antritt 2021 sagten Sie zu Ihrer Vision einer Bibliothek im 21. Jahrhundert: „In einer Zeit rasch wachsender Verfügbarkeit von Information und Wissen bedeutet die neue Bibliotheksidee die entschlossene Ausweitung des Angebots über die klassischen Verteil- und Speicherfunktionen hinaus. Sie beinhaltet eine Haltung, die den Menschen ins Zentrum des Denkens und Handelns rückt.“ Haben Sie diese Perspektive in den vergangenen drei Jahren auf Ihre Arbeit in der Stabi anwenden können?


Bonte: Ja, in dieser Hinsicht freue ich mich, dass wir nach außen und innen viele wichtige Schritte machen konnten. Gegenüber unseren Nutzenden haben wir mit der Gründung eines Nutzendenrats, mit passgenaueren Dienstleistungsangeboten und einer großen Ehrenamtsinitiative die Ohren geöffnet und unsere Arme weit ausgebreitet. Kraft und Kreativität aus der Gesellschaft betrachte ich für die gute Entwicklung von Bibliotheken als essentiell.
Unter den Mitarbeitenden scheint mir der Gedanke gewachsen, dass sich der Wert der Bibliotheken nicht nur an der Größe und Einzigartigkeit der Bestände, sondern in erster Linie an ihren vielfältigen Fähigkeiten und dem je spezifischen Beitrag der Mitarbeitenden für das Betriebsergebnis bemisst. Mit unserem betont beteiligungsoffenen Strategieprozess „Stabi 2030“ und vielen neuen Formaten für Kommunikation, Partizipation und abteilungsübergreifendes Kennenlernen haben wir einen neuen Geist in der Stabi genährt.
 

Die Strategie „Stabi 2030“ formuliert den Anspruch, den Dialog zwischen Forschung und Gesellschaft zu stärken. Wie sieht denn eine gelungene Wissenschaftskommunikation aus?

Bonte: Grundvoraussetzung scheint mir, dass wir tatsächlich echten Austausch, d.h. eine Zwei-Wege-Kommunikation orchestriert bekommen. Nicht zuletzt durch die Digitalisierung und die dadurch erleichterte Sichtbarkeit und Reichweite von Kommunikation erlebe ich ein wachsendes Missverhältnis zwischen Sendern und Empfängern.

Will heißen: sehr viel mehr Menschen und Institutionen suchen Adressaten, die ihnen zuhören und sich auf sie einlassen, als es solche gibt, die sich die Zeit zum Zuhören nehmen wollen oder können. Aus diesem Grund halte ich es für ebenso wichtig, weniger eigenständig Themen setzen zu wollen, als im Interessenverbund mit anderen Einrichtungen breiter angelegte Kampagnen zu verabreden oder aktuell stark beachteten bzw. umkämpften wissenschaftlichen, kulturellen oder sozialen Anliegen eine Bühne zu geben.

Also die Stabi als Bühne der Gesellschaft? 

Bonte: Es geht um einen gerechteren Zugang zu Bildung, Wissen und Kultur. Bei der Eröffnung des Stabi Kulturwerks haben wir ganz bewusst ein paar Schüler*innen aus Neukölln in die erste Reihe eingeladen, um ihnen zu sagen:  „das ist auch euer Schatz“. Uns geht es darum, jene, die den Aufstieg durch Bildung schaffen wollen, zu ermutigen und zu stärken.

Besonders für sog. First Generation Academics können wir Schwellen abbauen, aber auch Akademiker*innen in der Qualifikationsphase sind froh über zielgruppenspezifische Unterstützung. Zugleich können wir in der Öffentlichkeit noch zu wenig bekannten Ideen und Initiativen eine Bühne geben, weil Bibliotheken wie unsere eben solch vielbesuchte, hoch angesehene Institutionen mit großartigen Möglichkeiten sind. 

Wird die Stabi damit zum vielgepriesenen Haus für alle oder bleibt sie Forschungsbibliothek? 

Bonte: Die Staatsbibliothek ist ein Haus für alle, die forschen und sich persönlich weiterentwickeln wollen. Das ist nicht unumstritten, weil die vielfältigeren Nutzenden auch vielfältigere Ansprüche haben. Wir versuchen, über unterschiedlich ausgestattete Räume und eindeutige Raumwidmungen den differenzierten Bedarfen gerecht zu werden.

Es wäre natürlich viel unkomplizierter, wenn in unsere großen Gebäude am Tag nur 200 Leute kämen, die genau wissen, wie sie sich zu benehmen haben, die Spitzenforschende sind und sich hier wie im Paradies fühlen können. Unser Anspruch ist aber größer: Spitzenforschung, Citizen Science und Veranstaltungsprogramm sollen in der Stabi gleichermaßen Raum finden. Da ist Fingerspitzengefühl gefragt. Wir lernen zusammen mit unseren Nutzenden kontinuierlich hinzu. 

Sie haben sich auch international umgeschaut. Was machen die Bibliotheken z.B. in Skandinavien anders?

Bonte: Das allgemeine öffentliche Bild von Bibliotheken ist bemerkenswert positiv, aber oft antiquiert: Buch, Tisch, Regal. Um zum Beispiel zu verdeutlichen, warum es dringend nötig ist, einen unserer vielen uniformen Lesesäle in eine Lounge umzubauen, sind wir mit Kolleg*innen der Bauverwaltung nach Finnland gefahren. Die Bibliothek in Helsinki ist ein sehr gutes Beispiel dafür, wie man sich öffnen und zugleich die Balance zwischen Sicherheit und Freizügigkeit wahren kann: indem man Menschen Vertrauen schenkt und sie ermächtigt, mit dem Haus selbständiger umzugehen. Darum unsere Devise: vertrauen, öffnen, beteiligen. 

Bleiben wir beim Thema Internationales. Wie wichtig sind internationale Kooperationen für die Staatsbibliothek? 

Bonte: Angesichts unserer zahlreichen internationalen Kontakte haben wir Schwerpunktregionen definiert. Eine ist Ostasien, wo wir neben Harvard inzwischen wohl der beste Forschungsknoten der westlichen Welt sind, speziell im Bereich digitaler Dokumente, und wo wir bei unklarer Weltlage den Informationszugang für die Wissenschaft offenhalten können.

Daneben haben wir schon aufgrund unserer Geschichte einen weiteren Schwerpunkt in Ostmitteleuropa. Vor allem mit Polen sollte es meines Erachtens darum gehen, durch dichte Kontakte auf operativer Ebene eine Vertrauensschicht zu stärken, die längerfristig zu einer Entkrampfung der gesamten Beziehungen führen kann.

Es sei daran erinnert, dass rund 80 % des Buchbestands in polnischen wissenschaftlichen Bibliotheken im Zweiten Weltkrieg zerstört wurden. Wir Deutsche haben in Polen das angerichtet, was die Russen jetzt in der Ukraine versuchen: die systematische Zerstörung von Kultur und Wissenschaft eines Landes. 

Das Stabi Kulturwerk öffnete im Sommer 2022 seine Pforten. Warum braucht eine Bibliothek eigentlich ein Museum?

Bonte: Wenn Sie das Schatzhaus der Stabi Unter den Linden besuchen, sehen Sie zunächst ein riesiges graues Haus, das mit 107 Metern Breite und 170 Metern Länge einen ganzen Straßenblock füllt. In der Regel ahnen Sie daher nicht, dass in diesem Haus mit der weltweit größten Mozart-Sammlung, einer Gutenberg-Bibel, über 2.000 wertvollen Nachlässen und zahlreichen weiteren Kostbarkeiten aus aller Welt ein bedeutender Teil des Weltkulturerbes aufbewahrt wird.

Vieles lässt sich im Internet darstellen, aber die Aura des Originals von Bachs h-Moll-Messe oder Beethovens neunter Symphonie bleibt unübertroffen. Wir nennen unsere Ausstellungsfläche übrigens ausdrücklich nicht „Museum“, sondern „Kulturwerk“, weil es auch hier weniger um das Anstaunen, sondern um lebendigen Austausch gehen soll. 

2021 kamen Sie aus der SLUB in Dresden nach Berlin, kommendes Jahr wird die SKD-Präsidentin Marion Ackermann Parzinger-Nachfolge. Kennen Sie sich aus Dresden? Welche Erwartungen knüpfen Sie an die neue Leitung?

Bonte: Frau Ackermann und ich kennen und schätzen uns aus mehrjähriger enger Zusammenarbeit und stimmen in vielen wichtigen Punkten überein. Ich gehe davon aus, dass sie auf der Basis der immensen Arbeitsleistung von Herrn Parzinger den Reformprozess kraftvoll fortsetzen und ihm natürlich zugleich auch ihre individuelle Farbe geben wird.

Die Reform ist das große Thema der Stiftung. Der Druck ist enorm, die Erwartungen innen und außen sind es auch. Wo steht die SPK? 

Bonte: Wie viele andere Institutionen schleppt auch die SPK einen großen Rucksack voller Traditionen mit sich herum. Es ist prinzipiell ein langer Prozess, bis aus dem Tanker ein Schnellboot geworden ist - und in der öffentlichen Wahrnehmung ein noch viel längerer. Aber inzwischen ist Manches geschehen und der Vorwurf der Unbeweglichkeit wird zunehmend unfair.  

Aus meiner Sicht sind wir momentan vielleicht noch zu sehr auf Strukturveränderungen fokussiert. Die Stiftungsreform sollte im weiteren Verlauf vor allem auch eine Betriebskulturreform sein. Eine Reform, bei der es um Fragen von Wertekanon, Transparenz und gelingender Zusammenarbeit geht: Wie schauen wir auf Hierarchie und welchen Anspruch haben wir an moderne Führungsarbeit? Wie ermöglichen wir echte Partizipation und wie gehen wir mit Risiken und Fehlern um? Wie weit darf der Sicherheits-, Richtigkeits- und Gründlichkeitsanspruch eine große Kulturmaschine beherrschen?

Kultur und Wissenschaft bedeuten stets Risiko und sind von Machergeist getrieben, die SPK ist kein Finanzamt und braucht darum auch einen anderen Geist. Sie verfügt über eine gewaltige Energie und Kreativität.  Wir sollten das durch verbesserte betriebskulturelle Rahmenbedingungen ausschöpfen.

Der Fokus der SPK-Reform liegt ja eher auf den Museen. Geraten die Belange der anderen Einrichtungen dabei ins Hintertreffen?  Wie sehen Sie die Rolle der Stabi im Stiftungsverbund? Und generell: Sind Sie zufrieden mit den Zielen und Maßnahmen der Reform?

Bonte: Die Reform verfolgt meines Erachtens die richtigen Ziele, über Tempo und Interessenschwerpunkte werden die Meinungen naturgemäß immer ein wenig auseinandergehen. Bisher habe ich nicht den Eindruck, dass wir uns zu einem Museumsverbund mit angeschlossenem Rest entwickeln.

Das wäre auch gar nicht nicht klug, da die Stabi als eine der größten Bibliotheken der Welt in die künftige Entwicklung der „neuen“ SPK einiges einbringen kann: vom Digitalisierungs- und KI-Knowhow über ein dichtes internationales Kooperationsnetzwerk und hohes Drittmittelaufkommen bis hin zu Impulsen für eine zeitgerechte, agile Unternehmenskultur. 

Die Stabi ist quasi das Rechenzentrum der ganzen SPK, im Strategiepapier Stabi 2030 wird die „umfassende Wirkungskraft der Digitalisierung“ hervorgehoben. Was hat es damit auf sich und warum ist Digitalisierung in einer zunächst analog anmutenden Institution wie einer Bibliothek so bedeutsam?

Bonte: Die Digitalisierung hat in den letzten 30 Jahren unser Leben durchgreifend verändert. Als ich 1994 erstmals damit in Berührung kam, nutzten 0,4% der Weltbevölkerung das Internet, heute sind es weltweit immerhin 67%, in Deutschland 94%; und die Entwicklung der Chancen und Risiken von Digitalisierung ist noch nicht abgeschlossen.

Vor diesem Hintergrund liegt es auf der Hand, dass gerade Institutionen, die sich mit der Verteilung von Information und Wissen beschäftigen, ihre Geschäftsmodelle und Produkte kontinuierlich überprüfen und weiterentwickeln müssen. Damit sind wir bei den Archiven, Bibliotheken und Museen der SPK. Mit einem integrierten Rechenzentrum der ganzen SPK haben wir verbesserte Aussicht, die Herausforderungen der Digitalisierung annehmen zu können. Nachdem im Bereich von Hardware und Bürosoftware schon einiges vollbracht worden ist, werden wir uns im nächsten Schritt vermehrt um die spartenübergreifende Softwareentwicklung kümmern. Bibliotheken sind längst keine analogen Institutionen mehr.

Sie sind Generaldirektor von zwei Häusern. Haben Sie ein „Lieblingskind“? Bzw. ist das dringend renovierungsbedürftige Haus Potsdamer Straße nicht ein ziemlich großes Sorgenkind?

Bonte: Ich finde, beide Häuser haben ihre je eigenen Qualitäten und ergeben zusammen ein stimmiges Bild der Stabi Berlin. Hier der majestätische, traditionsbewusste königliche Bau Unter den Linden mit herausragenden Arbeitsbedingungen für Spitzenforschende aus aller Welt, dort das besonders einladende, demokratische Gebäude von Hans Scharoun und Edgar Wisniewski, das den offenen Informationszugang und die Bildungschancen für alle unterstreicht.

Der architektonische, städtebauliche und funktionale Wert des Hauses Potsdamer Straße ist bei allen, an der vorgesehenen Grundinstandsetzung beteiligten Stellen völlig unbestritten. Der bauliche Zustand besorgt mich inzwischen sehr. Daher erwarte ich mit der in diesem Fall offensichtlich in besonderem Maße aufzubringenden Geduld, dass wir nun bald alle Voraussetzungen für den Sanierungsbeginn an der Potsdamer Straße erfüllt haben werden. 

Wie fanden Sie eigentlich die Idee, die Galeries Lafayettes in eine Bibliothek umzuwandeln?

Bonte: Soweit ich unterrichtet bin, ist die Frage derzeit noch nicht vom Tisch. Ich fand und finde die Idee, im Herzen Berlins eine moderne öffentliche Metropolenbibliothek einzurichten, absolut bestechend. Falls es so kommen sollte, hätte Berlin nicht nur den notwendigen Magneten für die Friedrichstraße, sondern mit der Zentral- und Landesbibliothek Berlin, unserem Haus Unter den Linden und dem Grimm-Zentrum der Humboldt-Universität eines der dichtesten Bibliotheksquartiere der Welt. 500 Meter südlich von uns befände sich die ZLB, 400 Meter nördlich die Universitätsbibliothek. Was will man mehr?


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