Zum vierten und letzten Sommerinterview fahren wir nach Dahlem und treffen die Direktorin des Instituts für Museumsforschung, Patricia Rahemipour, im Garten einer Villa mit Verbindungen.
Frau Rahemipour, in der SPK der Standorte hat es Dahlem doch eigentlich ungeheuer schwer. Zwei Museen sind weggezogen, das dritte könnte auf dem Sprung sein – und der Forschungscampus Dahlem muss sich erst noch beweisen. Keine guten Aussichten. Woher nehmen Sie Ihre Hoffnung, dass Dahlem ein starker Standort wird, der leuchtet?
Diese Hoffnung kommt wahrscheinlich aus meinem Museumsverständnis heraus. Für mich sind Museen mehr als nur Ausstellungen. Es sind sammelnde Einrichtungen, Orte der Forschung. In der Corona-Pandemie wurde ich oft gefragt: Was macht ihr denn jetzt, da die Museen geschlossen haben? Seid ihr dann nur noch zu Hause und freut euch des Lebens? Eben nicht! Gerade in dieser Zeit wurde doch klar, was wir abseits der Ausstellungstätigkeit tun. Am Standort Dahlem lässt sich das besonders gut studieren. Wir haben im Moment keinen Ort in der SPK, wo wir so genau und deutlich einen Blick hinter die Kulissen von Museumsarbeit ermöglichen können. Das leistet der Forschungscampus Dahlem. Hier wird über die Zukunft der Museen verhandelt, und zwar jenseits des klassischen Verständnisses.
Wo stehen denn aus Ihrer Sicht die Museen heute? Sie haben kürzlich eine vielbeachtete Studie zum Thema „Vertrauen in Museen“ veröffentlicht. Man könnte daraus lesen, dass Museen Urteilskraft schärfen, zur Mündigkeit erziehen. Kann man das auf diese Formel bringen?
Nein, das würde zu kurz greifen. Wir wollten herauszufinden, inwiefern Museen auch Orte der Demokratiebildung sein können. Wir haben eine vergleichbare Studie aus den Vereinigten Staaten angeschaut und wollten wissen: Wie sieht das eigentlich in der deutschen Gesellschaft aus, die momentan stark im Umbruch ist und auseinanderdriftet, wo wir viele Gefahren durch populistische Parteien sehen und auch Ängste um die Demokratie erkennen.
Patricia Rahemipour ist seit 2019 Direktorin des Instituts für Museumsforschung.
Foto: SPK / Photothek / Felix Zahn
Aber was können denn Museen hier ausrichten?
Wir haben den Fokus auf das Thema Vertrauen gelegt und haben Museen mit zahlreichen anderen Institutionen verglichen – öffentlichen wie privaten. Wir haben die Menschen gefragt: Im Vergleich zu diesen Institutionen, wo ordnet ihr die Museen ein? Und der wirklich erstaunliche Befund ist gewesen, dass wir nach der Familie und Freunden am allermeisten den Museen vertrauen. Es sind neutrale Orte. Da steht eben kein großer Pharmakonzern im Hintergrund und sagt: ‚Mach mal das bekannt oder geh mal in diese oder jene Forschungsrichtung‘. Bei der Studie handelte es sich übrigens um eine bevölkerungsrepräsentative Studie für alle Museen in Deutschland mit über 1.000 Befragten.
Die Präsidentin der Klassik Stiftung Weimar, Ulrike Lorenz, hat kürzlich im SPIEGEL von „vermittelnden Institutionen“ gesprochen, die dazu beitragen könnten, die „Gräben nicht noch tiefer werden zu lassen“. Es gehe darum, zivile Tugenden zu stärken und zum freimütigen Gedankenaustausch zu befähigen. Gehen Sie da mit?
Ich bin da ganz bei Frau Lorenz. Die Museen bieten Orte der Auseinandersetzung, sie bieten - etwas pathetisch formuliert – auch Orte der Haltung. Ich nenne als eines von vielen Beispielen hier die Zeche Zollern in Dortmund: Dort wurde im Rahmen einer Kolonialismus-Ausstellung versucht, einen Safe Space für Menschen mit Fluchtgeschichte, People of Color etc. zu schaffen. Sie wurden jeden Samstagmorgen eingeladen, sich im Museum auf einem sicheren Territorium zu bewegen. Prompt gab es einen Riesenaufschrei. Da wurde dann beispielsweise von der AfD gesagt: ‚Nein, Moment mal, damit diskriminiert ihr weiße Deutsche.‘ Das Museum hat in dieser Situation jedoch Haltung gezeigt und gesagt: ‚Wir diskutieren das aus mit euch.“ Da wurde die Tür also nicht zugeschlagen, sondern gesagt: „Wir öffnen noch weiter und holen euch rein.“ Im Herbst wird eine große Tagung in der Zeche Zollern stattfinden, auf der sich Museumsvertreter*innen noch einmal intensiv mit dem Thema beschäftigen. Ich denke, das ist ein gutes Beispiel dafür, wie Museen als Orte heute schon funktionieren.
Ich glaube, was wir noch stärker machen müssen, ist die Rolle der Museen im Bereich Bildung. Hier müssen wir noch stärker Besucher*innenforschung betreiben und schauen: Wer kommt schon und wer nicht, wen müssen wir wie ansprechen?
"Keine Angst vor Diskussionen": Patricia Rahemipour über den Umgang mit AfD-Wähler*innen.
Foto: SPK / Photothek / Felix Zahn
Und wie sprechen Sie AfD-Wähler an? Die gehen ja auch ins Museum.
Ich habe keine Angst vor Diskussionen. Ein Museum muss das aushalten. Die allermeisten Menschen haben, wenn sie an ein Museum denken, ein konkretes Haus vor Augen bzw. einen Raum, den man besuchen kann. Aber hier passiert mehr! Muss mehr passieren! Für mich ist sehr wichtig, im Gespräch zu bleiben. Natürlich gibt es Grenzen, keine Frage. Aber diese Grenzen kann man im Gespräch ausloten. Das ist zumindest meine Erfahrung.
Sie sehen den Erfolg von Museen nicht nur in den Besuchszahlen. Wie passt das mit der SPK-Strategie 2030 zusammen, die genau darauf abzielt, mehr Besucher*innen in die Häuser zu holen?
Ich lese die Strategie etwas anders. Ich bleibe dabei, dass die reinen Besuchendenzahlen noch nichts über den Erfolg eines Museums sagen. Natürlich ist das ein Indikator, aber nicht der einzige. Am Institut für Museumsforschung interessiert uns, welche Indikatoren es noch geben könnte. Ist es erfolgreich, wenn 200.000 Menschen im Jahr kommen oder ist es nicht auch ein Erfolg, wenn man eine Schulgruppe dafür gewonnen hat, sich über Jahre mit einem Museumsthema auseinanderzusetzen und die Schüler*innen von einst dann wiederkommen, wenn sie selbst Familie haben? Es deutet sich an, dass es vielfältige Indikatoren sind und unsere Strategie für die SPK 2030 bildet das ja mit ihrem Motto „Wir verbinden Menschen, Zeiten, Räume“ auch ab. Stark macht die SPK diese Vielfalt an kleinen und großen Einrichtungen, die weltweit häufig einzigartig sind.
Ich bleibe dabei, dass die reinen Besuchendenzahlen noch nichts über den Erfolg eines Museums sagen
Patricia Rahemipour
Lassen Sie uns noch einmal auf den im Entstehen begriffenen Forschungscampus Dahlem zurückkommen, der ja innerhalb der Museumslandschaft etwas Besonderes ist. Wie würden Sie ihn beschreiben? Was macht er, was soll er sein?
Der kürzlich eröffnete DenkRaum ist für den FC Dahlem ganz zentral und wichtig. Was wir dort machen, ist gerade keine Ausstellung im herkömmlichen Sinn, wir wollen kein weiteres Museum schaffen. Wir möchten dort einen Blick hinter die Kulissen von Museen ermöglichen und die Arbeit zeigen, die sonst nicht sichtbar ist.
Zudem möchte der Forschungscampus verschiedene Disziplinen vereinen: Es reicht eben meist nicht, nur als Archäologin auf ein Objekt zu schauen, es lohnt sich, einen Ethnolog*innen hinzuzuziehen, einen Naturwissenschaftler*innen – je nach Fokus, den ich einnehme. Wenn wir das am Forschungscampus gut und konsequent umsetzen, dann hat das im besten Fall auch eine Wirkung auf die SPK als Ganzes, nämlich einen Raum zu schaffen, wo man seine Disziplin verlässt, Synergien nutzt und tatsächlich übergreifend arbeitet. Und zu guter Letzt: Uns geht es im Forschungscampus Dahlem auch darum, Wissen zu enthierarchisieren. Das ist ein Aspekt, den ich auch ganz persönlich sehr wichtig finde – vielleicht, weil ich selber aus einem klassischen Arbeiterhaushalt komme. Ich habe so viel Wissen von meinen Eltern mitbekommen, aber kein akademisches. Dennoch ist dieses Wissen für mich ungemein wertvoll, ob nun als Handwerkerwissen oder als Erfahrungswissen. Museen müssen sich in meinen Augen öffnen für das Wissen anderer. Der Forschungscampus soll dazu animieren, dass das auch weitergegeben wird.
Können Sie dafür ein Beispiel nennen?
Nehmen Sie die prähistorische Archäologie. Dort wurden regelmäßig irgendwie s-förmige Objekte aus Knochen gefunden. Sie stammen aus dem Paläolithikum, sind also altsteinzeitlich. Die Archäologen wussten viele Jahre nicht, worum es sich hierbei genau handelt, wozu sie verwendet wurden. Man hat Überlegungen angestellt, es könnte sich um Schmuck handeln, um Ohrringe, irgendwelche Erweiterungen am Körper, am Kopf etc. Und dann hat man sich gemeinsam mit Ethnolog*innen diese Artefakte erneut angeschaut und man hat erkannt, dass es sich um Speerschleudern handelt.
Okay, das verstehen wir. Aber wozu kann das Wissen eines*r Handwerker*in für Sie nützlich sein?
Ein Beispiel aus der Zeit meiner Magisterarbeit. Ich habe über die Jüngere Eisenzeit geschrieben. Damals habe ich ein eisenzeitliches Handwerkerdepot mit sehr vielen Objekten wie Hämmern und Feilen untersucht. Es befanden sich auch zwei sogenannte Feuerböcke in dem Depot. Ich hatte keine Ahnung, wie man die nutzt. Erst in Gesprächen mit Handwerker*innen wurde mir das klar. Genau das meine ich, wenn ich von einer Enthierarchisierung des Wissens spreche. Ich habe noch ein Beispiel aus meiner Zeit am Botanischen Garten Berlin. Dort haben wir ein Projekt mit dem Titel „Big Picknick“ ins Leben gerufen, in dem es um die Ernährung der Zukunft ging. Es war als intergenerationelles Projekt angelegt. Beispielsweise haben alte Leute ihren Enkeln und anderen jungen Menschen erzählt, wie sie sich nach dem Krieg ernährt haben, welche Pflanzen sie gepflückt haben, welche essbar sind und welche nicht. Das konnten die Botaniker zumeist so genau gar nicht mehr sagen. Also haben wir sehr eng mit einem Seniorenheim hier in Dahlem zusammengearbeitet.
Und wer soll zum Forschungscampus Dahlem kommen?
Darüber haben wir lange diskutiert. Wenn wir intern denken, dann sind das natürlich Personen aus den sogenannten Herkunftsgesellschaften der in den Sammlungen befindlichen Objekte, die eingeladen sind, mit diesen Objekten zu arbeiten und diese zu beforschen. Davon abgesehen sind es aber vor allem Leute aus dem Kiez, also das lokale Publikum, das wir mit dem FC Dahlem ansprechen können und möchten. Die Dahlemer sind ja unglaublich aktiv und interessiert. Der Forschungscampus soll gezielt auch Kontakte nach Dahlem, Zehlendorf und Steglitz pflegen. An dieser Stelle sei darauf hingewiesen, dass die kleinen Museen in Deutschland, abseits der großen Städte, sehr viel weniger Probleme hatten, sich nach Corona wieder zu erholen. Der Grund dafür ist, dass sie sehr stark auf ihre lokalen Besuchsgruppen setzen und nicht auf Touristen. Daraus resultiert, dass die Bindung der Menschen an „ihr“ Museum in vielen Fällen sehr viel enger ist. Der Gasometer in Oberhausen ist ein gutes Beispiel. Obwohl er noch gar nicht so alt ist, ist er zum Wahrzeichen geworden. Oberhausen ist mit dem Strukturwandel ja wie fast alle anderen Ruhrgebietsstädte in eine große Problemsituation geraten. In dieses Vakuum hinein ist der Gasometer mit seinem Programm gekommen und hat die Menschen stark angesprochen und auch ein Bedürfnis nach Identifikation gestillt. Dahlem ist zugegeben sehr anders gelagert als Oberhausen, aber ich glaube dennoch, dass der Forschungscampus auch so eine Funktion übernehmen kann.
Villa mit Verbindungen: Die Redakteure des SPKmagazins sprechen mit Patricia Rahemipour im Garten des Instituts für Museumsforschung.
Foto: SPK / Photothek / Felix Zahn
Frau Rahemipour, Sie gehören dem Interimsvorstand der SPK an, wo ja die großen Themen der Stiftung verhandelt werden. Können Sie dort die Anliegen des Standorts Dahlem gut platzieren?
Das ist, metaphorisch gesprochen, ein bisschen wie bei einer Partei, die ihre Identifikation aus der ewigen Oppositionsrolle zieht. Natürlich spielen auch bei uns die großen Player eine große Rolle. Und natürlich ist es so, dass ich für Dahlem manchmal sehr laut werben muss. Der Forschungscampus kann immer nur so weit springen, wie er personell und finanziell ausgestattet ist. Da hat es Dahlem nicht ganz leicht. Der Standort wird nicht mit einer solchen Selbstverständlichkeit behandelt wie andere. Ich bin aber der festen Überzeugung, dass die SPK auf lange Sicht gut beraten ist, den Standort Dahlem nicht außer Acht zu lassen. Das ist ungefähr so wie der Bezirk Prenzlauer Berg, der 2003 alle Schulen geschlossen hatte und dann völlig überrascht war, als 2009 aus den geburtenstarken Jahrgängen die ersten in die Grundschule kamen.
Und ich glaube, dieser Effekt wird Berlin auch im Hinblick auf seine Museums- und Kulturlandschaft ereilen. Irgendwann ist die Mitte voll. Und dann spätestens – Visit Berlin macht ja jetzt schon darauf aufmerksam – müssen wir dezentralisieren und auch andere Orte bespielen. Wie erläutert, können wir genau das in Dahlem leisten, indem wir einen anderen Ansatz wählen. Weiter gedacht, auch mit Bezug auf die Zielgruppen, können wir zum Beispiel Touristen, die schon häufiger in Berlin waren und alles schon gesehen haben – also gewissermaßen schon das Selfie vor der Nofretete gemacht haben – nach Dahlem locken, um einmal einen Blick in den „Maschinenraum“ der SPK zu werfen, den wir mit dem FC Dahlem gewähren.
Zum Abschluss: Was wäre Ihr Wunsch für die Zukunft, sowohl für das Institut für Museumsforschung als auch für die SPK als Ganzes? Gibt es eine Vision, die Sie besonders anspricht, die besonders wichtig für Sie ist?
Ich gehöre wirklich zu den Fans der SPK-Reform. Wenn die Stiftung es schafft, diese Bewegung, diese stetige Neujustierung beizubehalten – wenn auch vielleicht nicht immer in dieser extrem hohen Geschwindigkeit – dann schaffen wir den Umbau. Wenn das gelingt und man sich auch in Zukunft gewissermaßen nach links und rechts umguckt, kann die Stiftung lokal, national und international strahlen. Und dann ist sie auch ein wunderbarer Arbeitsplatz.