Der Musikwissenschaftler, Restaurator und Kurator Emanuele Marconi trat am 15. Juli 2024 die Nachfolge von Conny Restle als Direktor des Musikinstrumenten-Museums an. Wir haben ihn zum Interview getroffen.
Herr Marconi, Sie sind für einen Wissenschaftler sehr breit aufgestellt. Erzählen Sie ein wenig über Ihre vielen beruflichen Pfade.
Marconi: Ich habe eigentlich als Restaurator angefangen und 2004 in Mailand an der Civica Scuola di Liuteria meinen Abschluss gemacht. Bis in die 2010er-Jahre habe ich Instrumente gebaut und aufgearbeitet. Die Museumswelt habe ich in diesen Jahren während verschiedener Praktika kennengelernt und schnell festgestellt, dass es hinter den Kulissen noch viel interessanter ist, als wenn man nur in den Ausstellungsräumen als Besucher*in unterwegs ist.
Aber das war noch nicht alles…
Nein, parallel habe ich auf Rat einer Kollegin von einem Pariser Museum noch Musikwissenschaft und Musikgeschichte an der Universität Padua studiert. 2008 machte ich in Bologna den Bachelor und 2013 an der Pariser Sorbonne mit einer Arbeit über Geigen und deren Restaurierungspraktiken auf der Grundlage von schriftlichen Quellen aus dem 19. Jahrhundert meinen Master. In dieser Zeit habe ich schon am Musée de la Musique in Paris gearbeitet. 2019 begann ich an der Sorbonne mein Promotionsstudium, das ich mit einer Arbeit über die Einrichtung und Entwicklung des Museums für Blasinstrumente in La Couture-Boussey abgeschlossen habe.
Aber das ist doch immer noch nicht alles an Qualifikation, oder?
Das stimmt. Zwischendurch habe ich immer wieder in verschiedenen internationalen Museen für Musikinstrumente gearbeitet, um mein Spektrum zu erweitern und so breit wie möglich aufgestellt zu sein. Ich reise gerne, lerne gerne neue Menschen und Institutionen kennen. Ich bin neugierig darauf, wie andere Institutionen organisiert sind und wie sie arbeiten. Und ich liebe Herausforderungen an sich.
Der Musikwissenschaftler, Restaurator und Kurator Emanuele Marconi trat am 15. Juli 2024 die Nachfolge von Conny Restle an, die Ende 2023 in den Ruhestand gegangen ist.
Der aus Italien stammende 44-Jährige war zuvor Direktor und Kurator beim Le Musée des Instruments à vent (Musée des France) in La Couture-Boussey. Davor war er an Museen in Vermillion (Vereinigte Staaten), Genf, Paris und Mailand tätig.
Foto: Emanuele Marconi im Musikinstrumenten-Museum. © SIMPK/Anne-Katrin Breitenborn
Wie hat man sich das vorzustellen?
Ich habe immer auch als selbstständiger Restaurator gearbeitet, um den Kontakt zum Handwerk und zum Material nicht zu verlieren. Ich war zudem als Softwarentwickler tätig. Für das Musikinstrumentenmuseum in Mailand habe ich als Kurator gearbeitet und vier Jahre als Wissenschaftler für ein Projekts des Italienischen Kulturministeriums. Ich war Research Fellow im Musée de la Musique de Paris und anschließend Kurator am Musée d‘Art et d‘Histoire in Genf. Weil ich gerne in die USA wollte, habe ich drei Jahre die Leitung des Conservation Department im National Music Museum der University of South Dakota in Vermillion übernommen. Eine spannende Zeit, in der ich viel ausprobieren und viel lernen konnte.
Wie groß war der Unterschied, von öffentlichen Museen Europa an eine amerikanische Universität zu gehen?
Gewaltig. Deshalb wollte ich es ja auch. Natürlich wollen alle zunächst das Beste für ihre Sammlungen und deren Präsentation in der Öffentlichkeit. Doch in Amerika ist man in erster Linie von privatem Geld abhängig. Das heißt, man muss Menschen von seiner Vision überzeugen und diese dazu bringen, Geld dafür zu geben – zuallererst die Mitglieder des Boards, also des Aufsichtsrats. Interessanterweise sagen die eigentlich nie „nein“, sondern starten immer mit „let’s find the money“.
Zuletzt waren Sie aber doch wieder in Frankreich?
Ja, als Direktor und Kurator beim Musée des instruments à vent, das ja auch Thema meiner Dissertation war.
Wo liegt das?
In der Normandie, in La Couture-Boussey, weil diese Ecke in Frankreich immer das Herz des Blasinstrumentenbaus gewesen ist. Es gehört, wie auch das Musée de Musique in Paris, zu den Musées de France, ist also eine staatliche Einrichtung.
Ist das jetzt wirklich alles, oder gibt es noch mehr berufliche Marconi-Facetten?
Beinahe – ich habe darüber hinaus immer auch freiberuflich gearbeitet, zum Beispiel als Berater für öffentliche und private Sammlungen, oder Veranstaltungen zu den Themen Musik und Musikinstrumente konzipiert. Videodokumentationen über den Geigenbauer Luca Primon und den Komponisten Niccolò Paganini und die Entwicklung einer Datenbank für die Verwaltung der privaten Gemäldesammlung „Bruno Pinto“ in Bologna gehörten auch zu meinen Projekten. Seit 2015 habe ich auch regelmäßig Organologie und Konservierungswissenschaften an verschiedenen Universitäten in Amerika, Italien, und Frankreich unterrichtet.
Das heißt sie haben sich schon immer sehr international aufgestellt und vernetzt…
Ja, mir waren Austausch und Internationalität immer sehr wichtig. Deshalb bin ich seit vielen Jahren Mitglied im International Committee for Museums and Collections of Instruments and Music, seit 2022 habe ich dort den stellvertretenden Vorsitz. Einige Jahre gehörte ich der Kommission an, die sich beim Musée de la Musique an der Philharmonie de Paris um Neuerwerbungen kümmert. Ich habe immer wieder an Ausstellungen mitgearbeitet und während meiner Tätigkeit in La Couture-Boussey natürlich auch diverse Ausstellungen konzipiert und durchgeführt.
Und jetzt sind Sie in Deutschland…
Genau das fehlte mir noch. Und es war natürlich ein traumhafter Zufall, dass nicht nur in diesem Moment eine der tollsten Positionen, die man in meinem Bereich bekommen kann, ausgeschrieben war, sondern dass ich auch das Glück hatte, sie zu bekommen.
Sie sind also sehr universell ausgerichtet. Richtig?
Ich denke schon. Wir haben alle unsere Vorlieben. Ich hatte in meinem Leben immer wieder Zeiten, in denen ich an bestimmten Instrumenten gearbeitet habe, Cembali, natürlich an Zupfinstrumenten, und in den letzten Jahren Blasinstrumenten. Da konnte ich mich fokussieren. Aber das große Ganze habe ich immer im Auge behalten: das macht mehr Spaß und ist interessanter. Ich schaue global auf die Sammlung.
Wie sehen Sie die Berliner Musikinstrumente-Sammlung?
Sie ist großartig, mit einigen außergewöhnlichen Objekten. Natürlich sieht man auch in dieser Sammlung die Vorlieben ihrer Direktorinnen und Direktoren. So haben wir immer noch Möglichkeiten zu ergänzen. Für mich ist auch wichtig, dass wir diese Sammlung in Bezug zum heutigen Instrumentenbau bringen. Wir leben im 21. Jahrhundert und dürfen nicht immer nur die Vergangenheit sehen. Hier fehlt auch ein wenig die Sichtbarkeit im internationalen Kontext. Das ist etwas, was ich über die nächsten Jahre in den Blick nehmen möchte. Wir müssen zudem inklusiver, diverser und nachhaltiger werden.
Was möchten Sie sonst noch verbessern?
Deutsch ist leider nicht mehr die Sprache der Wissenschaft, da müssen wir uns auch auf Englisch einstellen, um ein größeres Publikum zu erreichen. Spezialist*innen wie Lai*innen weltweit müssen einen einfachen Zugang haben, auch sprachlich. Wir müssen entscheiden, welche Medien wir heute wie einsetzen, um das Publikum von morgen zu erreichen. Ich will mich stärker mit anderen Institutionen vernetzen. Wir haben jetzt die Chance, an der Neugestaltung des Kulturforums zu partizipieren und uns einzubringen. Auch die Möglichkeiten, die der Standort neben der Philharmonie in sich birgt, sind doch grandios. Das gibt es sonst nur in Paris. Das will ich mehr nutzen. Ein toller Konzertsaal, die Digital Concert Hall, Musikolog*innen und Akustiker*innen. Da ist so viel Expertise an einem Ort.
Weitere Wünsche?
Ich will den Fokus stärker auf Sammlungsbestände des 20. und 21. Jahrhunderts richten und zeitgenössische, europäische und außereuropäische Instrumentenbauerinnen und Instrumentenbauer einbeziehen, auch um diese Instrumente in ihrer Aufführungspraxis zu zeigen.
Haben Sie selbst denn noch Zeit, ein Instrument zu spielen?
Sehr wenig. Aber ich war auf diesem Gebiet nie besonders gut. Keiner wird es vermissen oder bedauern. Am wenigsten ich selbst.
Was mögen Sie bisher an Berlin?
Die Größe, die Weitläufigkeit, die vielen Parks. Ich denke, hier kann ich eine Balance zwischen professionellem und privatem Leben, zwischen Konzentration und Spaß finden.