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Blockbuster in der Stabi: Die Oppenheim Collection

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Christoph Rauch ist seit 2010 Leiter der Orientabteilung an der Staatsbibliothek zu Berlin. Im August 2023 nahm er wertvolle Fracht aus Köln entgegen: Über 400 herausragende handschriftliche Zeugnisse aus der Sammlung des bedeutenden Orientforschers, Sammlers und Diplomaten Max von Oppenheim (1860–1946).

Herr Rauch, wie kam es dazu, dass die Handschriften der Max-von-Oppenheim-Stiftung als Dauerleihgabe in die Obhut der Orientabteilung der Staatsbibliothek zu Berlin übergeben wurden?

Die Staatsbibliothek besitzt die größte und bedeutendste Sammlung orientalischer Handschriften in Deutschland, das heißt alte unikale Schriftzeugnisse aus dem Nahen Osten, aus Südasien, aber auch hebräische und afrikanische Handschriften aus dem fünften bis ins 20. Jahrhundert. Es ist so, dass wir seit vielen Jahren große Anstrengungen unternehmen, um unsere Sammlung besser sichtbar zu machen. Wir haben deshalb mit Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft ein umfassendes Erschließungsprojekt gestartet und von den 42.000 Handschriften, die wir verwahren, auch schon einige tausende digitalisiert. Ziel ist der Aufbau eines großen Verbundkatalogs orientalischer Handschriften für alle Sammlungen in Deutschland, also nicht nur die der Berliner Staatsbibliothek, sondern auch von allen Bibliotheken, die Bestände haben, aber oftmals weder die Mittel noch Fachexpertise besitzen, um diese im Netz zu zeigen. Dabei unterstützen wir sie.

In diesem Zusammenhang hat sich dann Christopher Freiherr von Oppenheim, der Vorstandsvorsitzende der Max-von-Oppenheim-Stiftung, vor etwa zwei Jahren an mich gewandt. Er wollte die Sammlung, die sich in Köln am Orientalischen Seminar der Universität befand, als Dauerleihgabe nach Berlin geben, da vor Ort keine optimalen Bedingungen im Hinblick auf die Lagerung, Restaurierung und Nutzung dieser fragilen Materialien gegeben waren. Die Max-von-Oppenheim-Stiftung hatte Interesse daran, dass die Bestände stärker in die Forschung eingebracht und zugänglich gemacht werden – Möglichkeiten, die die Stabi bietet.

Christoph Rauch (Leiter der Orientabteilung an der Staatsbibliothek zu Berlin), Christopher Freiherr von Oppenheim (Vorstandsvorsitzender der Max-von-Oppenheim-Stiftung) und Achim Bonte (Generaldirektor der Staatsbibliothek zu Berlin) (v.l.n.r.) bei der Vertragsunterzeichnung.

Foto: SBB-PK

Wer war eigentlich Max von Oppenheim?

Max von Oppenheim war ein Sprössling aus einer Bankerdynastie in Köln. Er stammte aus einer alteingesessenen jüdischen Familie, die im 18. Jahrhundert das Bankhaus Sal. Oppenheim gegründet hat, das bis zur Bankenkrise in den 2000er-Jahren eine große Privatbank in Deutschland blieb.

Max von Oppenheim war eigentlich dafür prädestiniert, in das Bankgeschäft einzutreten. Er sollte die Nachfolge seines Vaters in der Leitung antreten und hat dann auch Jura studiert. Nach dem Studium bekam er aber die Möglichkeit, Reisen und Expeditionen in den Nahen Osten und in den Orient zu machen. Oppenheim hatte dabei weiterhin die Unterstützung seines Elternhauses, obwohl er sich vom Bankgewerbe abgewandt hatte, was zu der Zeit nicht selbstverständlich war.  

Aufgrund seines Jurastudiums interessierte er sich sehr dafür, als Diplomat aktiv zu werden. Er erhielt die Möglichkeit einer Anstellung im Auswärtigen Amt und war daraufhin einige Jahre als Attaché im deutschen Generalkonsulat in Kairo tätig. Oft ist es das, womit man heute den Namen Max von Oppenheim in Verbindung bringt, denn im Ersten Weltkrieg begründete er die sogenannte Nachrichtenstelle für den Orient. Sie hatte zum Ziel, die unter englischer oder französischer Besatzung lebenden Muslime im Nahen Osten zu bewegen, gegen die Kolonialmacht anzukämpfen und somit Deutschland in die Karten zu spielen.

Da er aufgrund seiner jüdischen Herkunft wenig Aufstiegsmöglichkeiten hatte, wandte Oppenheim sich verstärkt seinen archäologischen und orientalistischen Forschungen zu. Er leitete Ausgrabungen im Gebiet des heutigen Syriens, hat alte hethitische Städte ausgegraben, Ausgrabungsfunde mit nach Deutschland gebracht und in Berlin ein Museum dafür eröffnet. Da er sich für die Geschichte und für das Leben der Beduinen interessierte, publizierte er als Orientalist seine Forschungsergebnisse.

Ein Mann sitzt in einem Arbeitszimmer, schwarz-weiß Foto
Max Freiherr von Oppenheim in seinem Arbeitszimmer im Expeditionshaus während der Tell Halaf Expedition, undatiert. © Max von Oppenheim Stiftung
Schwarz-weiß Fotos eines Mannes mit weißem Turban
Max von Oppenheim, Kairo, undatiert. © Max von Oppenheim Stiftung

Und er hat dann vor Ort Handschriften gesammelt?

Genau. Er war im Nahen Osten als Archäologe unterwegs, dann auch in politischer Funktion in Nordafrika. Und auf all diesen Reisen hat er Kunstobjekte und Handschriften gesammelt. Und Sie müssen wissen, dass sich der Buchdruck in der arabischen Welt eigentlich erst im 19. Jahrhundert wirklich durchgesetzt hat. Das heißt, bis weit ins 19. Jahrhundert hinein wurde literarische Werke oder religiöse Texte immer handschriftlich kopiert. Deshalb spielen Handschriften in diesen Regionen so eine große Rolle. Und wenn jemand wie Oppenheim um 1900 herum Bücher erwerben wollte, die Kultur oder Religion oder Geschichte behandelten, dann waren das eben in erster Linie Handschriften. Zahlreiche dieser Schriften wurden auch künstlerisch gestaltet, also mit Illuminationen, Schmuckwerk oder teilweise sogar mit Miniaturen ausgeschmückt. Oppenheim hat sich sehr für diese künstlerische Seite interessiert und Handschriften gesammelt, die besonders schön oder besonders hochwertig ausgestattet waren.  

Der Bestand, den wir nun übernommen haben, besteht ungefähr aus 400 Objekten. 220 davon wurden direkt von Oppenheim gesammelt, die Max-von-Oppenheim-Stiftung hatte aber in jüngerer Zeit die Möglichkeit, mit Mitteln der Stiftung noch Handschriften zu erwerben, die nichts mit Oppenheim persönlich zu tun haben. Da diese Teil der Stiftung sind, kamen sie auch mit zu uns nach Berlin. Aber wenn man den Kern der Sammlung betrachtet, also die von Oppenheim persönlich gewählten Stücke, kann man sehen, dass speziell diese einen besonderen künstlerischen Wert haben.

Und lässt sich auch inhaltlich eine Richtung ablesen?

Der Koran ist schon ein deutlicher inhaltlicher Schwerpunkt, allein 50 von diesen 220 Objekten sind Koran-Handschriften. Dabei ging es ihm wohl weniger um den Inhalt, denn es gab zu der Zeit auch schon Druckausgaben. Der Fokus lag für Oppenheim eben eher auf der materiellen Kultur, der Ausstattung und der Entwicklung der Kalligrafie. Es handelt sich um Korane, die über einen Zeitraum von fast 1000 Jahren kopiert wurden: Die ältesten Fragmente datieren auf 1000 n. Chr., die jüngeren Korane stammen aus dem 19. Jahrhundert. In diesem Zeitraum hat sich die künstlerische Gestaltung und kalligraphische Entwicklung der arabischen Schrift natürlich weiterentwickelt und verändert, was die Sammlung Oppenheim gut dokumentiert. Das ist, könnte man sagen, einer der Schwerpunkte der Sammlung. Jenseits der Korane ist die Sammlung weit gestreut durch die verschiedenen Bereiche Literatur, Religion, Recht und Theologie.

Von besonderem Wert ist auch eine Handschrift, die Max von Oppenheim 1928 geschenkt bekommen hat. Zu der Zeit weilte der afghanische König in Deutschland und hat ihm den „Diwan“ des berühmten persischen Dichters Hafis überreicht. Es handelt sich dabei um eine Handschrift aus dem persischen Raum, die zu Beginn des 16. Jahrhundert von dem berühmten Kalligraphen Sultan Ali Mashhadi kopiert worden war – wirklich ein herausragendes Objekt! Diese Überlieferung zeigt einerseits den Wert der Sammlung, beweist auf der anderen Seite aber auch die diplomatischen Beziehungen, die Oppenheim unterhielt.

Aufgeschlagenes historisches Buch mit reichen Verzierungen
Gedichtsammlung des berühmten persischen Dichters Hafiz, geschrieben im Jahre 1505 von dem bekannten Kalligraphen Ali Mashhadi – ein Geschenk des afghanischen Königs Amanullah Khan an Max von Oppenheim. © Max von Oppenheim Stiftung
Aufgeschlagenes offenes historisches Buch mit reichen Verzierungen
Gedichtsammlung des berühmten persischen Dichters Hafiz, geschrieben im Jahre 1505 von dem bekannten Kalligraphen Ali Mashhadi – ein Geschenk des afghanischen Königs Amanullah Khan an Max von Oppenheim. © Max von Oppenheim Stiftung

In Köln war die Sammlung Oppenheimer behelfsmäßig in einem Büro untergebracht. In welchem Zustand sind die Schriften? Ist da jetzt viel Restaurierungsarbeit nötig?

Die Handschriften sind trotzdem in ganz gutem Zustand, da muss kein „Rettungskommando“ her und die Handschriften vorm Zerfall retten. Die Max-von-Oppenheim-Stiftung hat sich durchaus bemüht, den Zustand der Sammlung regelmäßig zu dokumentieren. Es gibt zum Beispiel ein Gutachten eines Restaurators, der sich alles angeschaut und Handlungsempfehlungen gegeben hat.

Für Objekte wie diese ist es wichtig, sie sicher und geschützt zu lagern, und das können wir in Berlin langfristig anbieten. Wir bewahren die Objekte in einem in einem Magazin unter der Erde auf – diebstahl- und bombensicher. Selbst wenn da jemand zur falschen Zeit an den Türen rüttelt, wird direkt die Polizei informiert. Es herrschen zudem stabile klimatische Bedingungen vor, das heißt, dass die Temperaturen immer zwischen 18 und 20 Grad liegen und die Luftfeuchtigkeit stets den gleichen Wert um die 45% hat. So können wir die Schriften langfristig vor Schäden wie Schimmelbildung oder Tintenfraß schützen.

Also das heißt restauriert werden muss erst mal nichts?

Nein, das werden wir uns im Detail natürlich noch mal anschauen, wenn es um die Digitalisierung geht. Die starten wir im Sinne der Max-von-Oppenheim-Stiftung und mit deren finanzieller Unterstützung ab 2025. In der Vorbereitung schauen sich die Kolleginnen aus unserer Restaurierungswerkstatt jedes Objekt einmal an, dann wird entschieden, wie man es digitalisieren kann, ohne es zu beschädigen und ob restauratorische Maßnahmen ergriffen werden müssen. Für diese Sichtung des Bestands werden wir das nächste Jahr nutzen. Dann können wir uns ein besseres Bild machen.

Aufgeschlagenes offenes historisches Buch mit reichen Verzierungen
Arabisches Gebetsbuch (Dalāʾil al-ḫairāt) aus Nordafrika. © Max von Oppenheim Stiftung
Aufgeschlagenes offenes historisches Gebetsbuch mit reichen Verzierungen
Arabisches Gebetsbuch (Dalāʾil al-ḫairāt) aus Nordafrika. © Max von Oppenheim Stiftung

Welche Bedeutung hat die Sammlung Oppenheim für die Stabi?

Jede Handschrift ist ein Unikat. Selbst wenn der Text in unserer Sammlung bereits existiert, was häufig der Fall ist, sind die künstlerischen und kalligraphischen Details einzigartig. Von daher ist schon allein das ein Zugewinn für unsere Sammlung. Einige sind wirklich selten und in der Form kaum erhalten.

Allerdings handelt es sich bei den vom Orientalischen Seminar der Uni Köln nach dem Krieg angekauften Objekten, die sich neben den 220 von Oppenheim persönlich gesammelten in der Sammlung befinden, überwiegend um schiitische Handschriften aus dem Iran. Eine solche Sammlung ist hier in Deutschland oder überhaupt in Europa unterrepräsentiert, weil man sich früher, vor allem im 19. und frühen 20. Jahrhundert, als die Sammlung der Stabi entstand, für diese Sonderströmungen im Islam wenig interessierte. Das ist also ein großer inhaltlicher Gewinn für uns.

Ansonsten möchte ich noch hervorheben, dass in der Sammlung Oppenheim auch 50 Bucheinbände enthalten sind. Historische Einbände, Buchdeckel aus Leder mit Intarsienarbeiten oder mit Prägungen, wo überhaupt kein Buch oder keine Handschrift mehr erhalten ist. Es sind wirklich nur die Buchdeckel oder die Bucheinbände, die aber künstlerisch einen sehr hohen Wert haben. Und das ist für uns besonders interessant, weil wir planen, ein Projekt zur kunsthistorischen Erschließung von Bucheinbänden durchzuführen.

Mit der Rückkehr der Handschriften nach Berlin schließt sich außerdem ein Kreis: Berlin war ein zentraler Wirkungsort von Oppenheim. Er hatte, wie bereits erwähnt, archäologische Ausgrabungen im Nahen Osten durchgeführt, in Berlin ein Museum dafür gebaut und mit seinen eigenen Geldern ein Institut zur Erforschung des Orients eingerichtet.

Max von Oppenheims Arbeit im diplomatischen Dienst im Ersten Weltkrieg spiegelt sich auch in unseren Sammlungen auf die ein oder andere Art wieder: Es gab im Südosten von Berlin das sogenannte Halbmondlager, dort waren muslimische Kriegsgefangene untergebracht. Sie wurden sehr zuvorkommend behandelt und sollten durch Propaganda überzeugt werden, sich gegen ihre Kolonialmächte zu wenden. Es wurde zum Beispiel eine Lagerzeitung in türkischer und arabischer Sprache herausgegeben. Viele dieser Dokumente wie Flugblätter und Lagerzeitungen, aber auch Gefangenenbriefe, befinden sich bei uns in der Staatsbibliothek.

Arbeiten Sie auch mit thematisch verwandten Institutionen aus der SPK zusammen, beispielsweise mit dem Museum für Islamische Kunst der Staatlichen Museen zu Berlin?

Ja, durchaus. Wir haben in den letzten Jahren gemeinsame Ausstellungen im Museum für Islamische Kunst durchgeführt. Das war natürlich toll, dass wir unsere Bestände im Museum zeigen konnten, weil sie dort eine viel größere Aufmerksamkeit bekommen – zu der Zeit hatten wir als Bibliothek noch kein eigenes Museum. Das Museum für Islamische Kunst ist, wie auch die Kunstbibliothek, ebenfalls Kooperationspartner in unserem Handschriftenportalprojekt Qalamos.

Jetzt haben Sie ja mit dem Stabi Kulturwerk einen eigenen Ort, wo Sie ausstellen können. Ist das dann mit den Oppenheim-Handschriften auch geplant?

Noch gibt es keine konkreten Pläne. Als der Freiherr von Oppenheim zu Besuch war, um mit Herrn Bonte (Generaldirektor der Staatsbibliothek) die Vereinbarung für die Dauerleihgabe zu unterschreiben, sagte er gleich, dass er sich das wünschen würde. Wir möchten die Objekte und unsere Forschung natürlich auch der Öffentlichkeit zugänglich machen, es ist also durchaus zu erwarten, dass wir innerhalb der nächsten Jahre eine kleine Sonderausstellung zu den Oppenheim-Handschriften durchführen werden.

Gibt es das Museum von Oppenheim in Berlin eigentlich noch?

Nein, das ist tragischerweise während des Zweiten Weltkrieges durch Bomben zerstört worden. Man hat vielleicht schon mal vom Tell Halaf Museum gehört: Oppenheim hat in Syrien eine hethitische Siedlung ausgegraben, riesige Götterfiguren, Tiere und Herrscherfiguren aus Basalt. Diese Objekte hat er mit nach Berlin gebracht und wollte sie eigentlich dem Pergamonmuseum übergeben, aber dort hatte man derzeit keine Kapazitäten dafür. Deshalb hat Oppenheim einfach selbst ein Museum gebaut. Nach der Zerstörung im Zweiten Weltkrieg wurden sie später teilweise wieder rekonstruiert. 2011 gab es dann eine große Sonderausstellung dazu. Wir haben also nicht nur enge Bezugspunkte zum Museum für Islamische Kunst, sondern auch zum Vorderasiatischen Museum der Staatlichen Museen zu Berlin

Oppenheims Handschriften wurden im Krieg zum Glück nicht zerstört. Nach dem Tod von Oppenheim 1946 brachte einer seiner Mitarbeiter sie nach Köln, wo sie bis vor kurzem lagerten. Jetzt freuen wir uns, dass sie nach Berlin zurückgekehrt sind.


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