Die Ausstellung „Läuft“ im MEK nimmt die Menstruation als kulturelles Phänomen in den Blick. Autorin Julia Völcker hat sich die Ausstellung angeschaut – und war überrascht, welche Tabus und Stigmata bis heute bestehen.
„Ey du Muschi, wo sind wir denn hier gelandet?“ Betont lässig bewegen sich drei Teenager-Jungs durch die teils blutrot gestalteten Ausstellungsräume im Museum Europäischer Kulturen in Berlin-Dahlem. Laufen vorbei an Riesenpostern, die die Gebärmutter, Menstruationsblut und den Zyklus illustrieren. Vorbei an Wänden, an denen lange Hemden, weite Unterröcke und knappe Stringtangas – nämlich Unterwäsche und Periodenprodukte von 1880 bis heute gezeigt werden. An Tampons, Monatsbinden und Menstruationstassen in diversen Größen, Formen und Farben – alle zum Anfassen. Dann weiter entlang einer beeindruckenden Objektgalerie mit Alltagsgegenständen, Fotos, Filmausschnitten und Kunstwerken, die von menstruierenden Menschen, von Periodenarmut, Aktivismus oder Müll erzählen. Hier läuft ein Menstruations-Blockbuster, der die Jungs, die sich während ihres Museumsbesuchs wohl nur mal kurz vor ihren Mitschülern verdrücken wollten, magisch anzuziehen scheint. Im Vorbeigehen schauen sie sich die Räume an. Dann verlässt sie der Mut: „Muschi, schnell raus hier!“, sagt einer. Alle gehen. Und demonstrieren eindrücklich, welches Flair die Beschäftigung mit dem vielerorts tabuisierten Thema Menstruation umgibt: Hallo Schamgefühl!

Europäischer Kulturen / Christian Krug
Das scheint im 21. Jahrhundert absurd, bedenkt man doch, dass etwa die Hälfte der Menschheit menstruiert. Rund 450- bis 500-mal blutet eine menstruierende Frau in ihrem Leben. Auch Trans*Männer und nicht-binäre Personen können ihre Periode bekommen. Sie alle fühlen die Blutung körperlich und seelisch, manchmal als Schmerz. Die Periode beeinflusst unser Denken und Handeln, unseren Alltag und unser gesellschaftliches Zusammenleben. Sie verändert Sprache und Räume. Ohne sie gibt es keinen Nachwuchs. Trotzdem werden menstruierende Menschen sowie die Diskurse, die sie begleiten, in sämtlichen Gesellschaften der Welt mit Schwäche und Scham assoziiert und zur Privatangelegenheit verdammt. Ein Umstand, den die Ausstellung zur Menstruation „Läuft“ rund um das Team von Kuratorin Jana Wittenzellner ändern möchte. Die Schau, die mit ihrem poppigen, interaktiven Ausstellungsdesign überdurchschnittlich viele Besucher anzog und nun bis Anfang März 2025 in die Verlängerung geht, versteht sich als Diskursraum, bietet Wissensvermittlung und Erfahrungsaustausch und lädt zum Gespräch ein.
Ein Diskursraum gegen Stigmatisierung
Das ist auch bitter nötig, denn hat man sich in der Unterwäsche-Galerie von 1880 bis heute erst einmal durch die vielen Lagen an Hemden und Unterhosen mit Beinröhren, Klappen und Gummiband gearbeitet und erfahren, wie entwürdigend Frauen um 1900 in etwa sechs Lagen und 2,5 Kilogramm schwere Wäsche menstruierten; hat man sich vergegenwärtigt, wie stark die Ösen des sogenannten Bindengürtels um 1893 am Körper der Frau gescheuert haben müssen oder wie steinhart die Alba Zell-Binde, die die DDR bis 1953 als Reparationsleistung an die UdSSR lieferte, sich zwischen den Beinen angefühlt haben muss; ist man schließlich beeindruckt vom Einfallsreichtum der Frauen, die sich mit selbstgenähten Binden (um 1900) oder neu entwickelten Menstruationstassen (um 1937) Abhilfe verschafften, und schlussendlich erleichtert, selbst ein Kind der selbstklebenden Wegwerfbinde oder des Tampons aus biologisch angebauter Baumwolle zu sein – dann verflüchtigt sich das kurz aufkommende Gefühl von Euphorie dank zivilisatorischer Errungenschaften sogleich wieder. Schnell wird klar, dass in den Diskursen rund um die Menstruation bisher zwar viel geschafft, aber noch zu wenig erreicht wurde.
Misogyne Aussetzer im Wahlkampf
Grund sind misogyne Aussetzer wie zum Beispiel der des designierten 47. Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika. Als Donald Trump im Vorwahlkampf 2015 bei einer TV-Debatte von Fox News-Moderatorin Megyn Kelly kritisch befragt wurde, führte er dies auf Kellys Monatsblutung zurück. „Man konnte sehen, dass Blut aus ihren Augen kam, dass Blut wo auch immer aus ihr rauskam", sagte Trump. Herausgefordert durch diesen sexistischen Kommentar malte Sarah Levy, eine Künstlerin aus Portland, ein Porträt des US-Politikers aus ihrem eigenen Menstruationsblut.

In der Ausstellung im Museum Europäischer Kulturen befindet sich das Kunstwerk „Bloody Trump“ Seite an Seite mit einer Ausgabe des NS-Propaganda-Magazins „Die Arbeitsmaid“ von 1937. Die Zeitschrift warb seinerzeit für den Reichsarbeitsdienst für das gesunde und gebärfreudige „Mädel“, wobei Studien zeigten, dass der Reichsarbeitsdienst zu gestörten Zyklen führte. Was hier in der Ausstellung kurz unter dem Titel „Schwäche und Leistung“ subsummiert wird, ist nicht weniger als die ideologiegetriebene Deutungshoheit einer meist männerdominierten Gesellschaft über die Leistungsfähigkeit des menstruierenden Körpers, die häufig einhergeht mit der Forderung, Frauen vom politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Leben auszuschließen. Wie so oft geht es um Macht. Und so zieht sich das Motiv der Exklusion von Frauen bis zu ihrer völligen Unsichtbarkeit wie ein roter Faden durch die Ausstellung.

Museum Europäischer Kulturen / Michael Mohr
Diskretion gegen den vermeintlichen Super-GAU der Peinlichkeit
Dazu passen auch die in der Schau gezeigten Coupons „für den lautlosen Einkauf“, erfunden von den Hygieneartikelherstellern Camelia und Modess, die die Dame noch zu Beginn der 1950er-Jahre über den Ladentisch schob, um nicht laut nach Binden fragen zu müssen. Das scheint alles lange her, oder? Erstaunlicherweise reichen die Erfindungen für den versteckten Umgang mit der Monatsblutung bis ins Jahr 2021. In der TV-Show „Höhle der Löwen“, überzeugten zwei Gründer die Investor*innen von ihrer Geschäftsidee „Pinky Gloves“, nämlich von pinkfarbenen Einmalhandschuhen mit Klebestreifen zum „hygienischen Entfernen“ und geruchsneutralen Entsorgen von Tampons. Das Produkt wurde aber schnell wieder vom Markt genommen, da es einen Shitstorm in den sozialen Medien auslöste. Sichtbares Blut oder – schlimmer – ein sichtbarer Fleck auf der Jeans gelten vielerorts als Super-GAU der Peinlichkeit. Dahinter verbirgt sich wohl der Wunsch nach Diskretion und mehr noch ein Gefühl vieler Menschen, das die Periode „unrein“ und „eklig“ sei.
Es steht für die Selbstermächtigung von Frauen, die fasziniert und stolz zugleich von den komplexen Vorgängen in ihrem Körper sind
Dass dieser Ekel mitunter groteske Züge annimmt, zeigt ein Höhepunkt der Schau: der Binden-Verbrennungs-Automat. Ein gewaltiger Metallkasten, versehen mit einem Hebel, hängt da an der Rückseite einer Wand. Er demonstriert, dass das Bedürfnis, Menstruationsblut nicht öffentlich sichtbar werden zu lassen, zu erstaunlichen Erfindungen führte. Das Prinzip ist denkbar einfach: Hebel ziehen, Klappe auf, blutgetränkte Binde hinein, Asche heraus. Um die 1910er Jahre von britischen Unternehmer*innen entwickelt, gehörte der hier gezeigte Bindenverbrenner zur Erstausstattung eines süddeutschen Mädchengymnasiums, wo er bis 2014 hing. Ob er tatsächlich so lange in Betrieb war, bleibt fraglich, denn seine Benutzung verursachte Krach, er stank und stellte ein Feuerrisiko dar.

Krug
Weitaus weniger aufregend wurde der Toilettengang für die Frau ab den 1950er Jahren, als mit der weiten Verbreitung wegwerfbarer Menstruationsprodukte der Mülleimer Einzug auf Damentoiletten hielt. Heute ist er serienmäßig mit einem Klappverdeck (nicht reingucken!) und einer Fußklappe (nicht anfassen!) ausgestattet, wobei neuere Modelle, mit einem Sensor versehen und mit desinfizierenden Wirkstoffen präpariert, einen „diskreten Rundumservice“ anbieten.
Mit Mut gegen die Scham
Man könnte nun noch sehr viel Spannendes über den Besuch der Ausstellung „Läuft“ im Museum Europäischer Kulturen erzählen, etwa vom „Tagebuch der Anne Frank“, in dem die Heranwachsende so begeistert von ihrer Periode schrieb, dass das Buch im Japan der 1950er und 1960er Jahre ungeplant zur Aufklärungsliteratur wurde. Oder von Aktivistinnen der Westberliner Frauengesundheitsbewegung, die 1974, ernüchtert von ärztlicher Willkür und Bevormundung durch die Politik, ein noch heute bestehendes Gesundheitszentrum für Frauen gründeten. Man könnte auch vom Einfallsreichtum junger Feministinnen „We are not ovary-acting!“ bei ihren Protestaktionen berichten. Oder man denkt zurück an die drei Teenager, die – hätten sie den Anblick der Ausstellungsobjekte doch ausgehalten – im letzten Raum, der mit „Kunst und Popkultur“ überschrieben ist, sehr viel hätten lernen können.

Krug
Auf Karten sind Besucher*innen eingeladen, Geschichten über ihre Monatsblutung aufzuschreiben, um sie mit anderen Besucher*innen zu teilen. Viele der Karten sind randvoll beschrieben, einige bemalt. Frauen sprechen sehr offen und mutig von der Scham beim Einsetzen ihrer ersten Periode, von Stimmungsschwankungen infolge des Prämenstruellen Syndroms, von Verhütung. Es ist ein wahres Stimmengewirr, das jetzt hier zu hören ist. Es zeugt von dem Bedürfnis, sich – entgegen aller Widerstände – mitzuteilen, es steht für die Selbstermächtigung von Frauen, die fasziniert und stolz zugleich von den komplexen Vorgängen in ihrem Körper sind. Frei nach dem Motto: Ich blute, also bin ich.
Läuft. Die Ausstellung zur Menstruation
- Laufzeit bis 9.3.2025
- Museum Europäischer Kulturen, Arnimallee 25, 14195 Berlin
- Informationen zur Ausstellung
- Katalog zur Ausstellung