Ingrid Männl hat einiges dazu beigetragen, das Geheime Staatsarchiv zu öffnen. Da passt es gut, dass sie jetzt über Alexander von Humboldt arbeitet
Eigentlich ist Ingrid Männl schon gar nicht mehr da, eigentlich ist sie seit April schon raus aus dem GStA, dem Geheimen Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz, müsste nicht mehr nach Dahlem fahren jeden Morgen, in die Archivstraße 12, so wie in den vergangenen dreieinhalb Jahrzehnten, denn eigentlich ist sie schon im Ruhestand.
Wenn da nicht Alexander von Humboldt wäre! Der Mann, der ganz entschieden dazu beigetragen hat, dass Preußen zu einem Kulturstaat wurde. Ingrid Männl, die erfahrene Archivarin, arbeitet an einer Publikation über ihn, die kurz vor dem Abschluss steht. „Es ist zwar eine sehr individuelle Handschrift, aber man liest sich ein“, sagt sie.
Verbindet den Verbund der SPK: Alexander von Humboldt
Mehr als 30.000 Briefe hat Humboldt in seinem langen Leben geschrieben. Viele davon liegen im GStA. Sie sind Ingrid Männls Leidenschaft, oder ganz sachlich: ihr Forschungsgegenstand. Immer neue bringt sie aus den Tiefen des Archivs ans Licht. Einige, an denen sie gerade arbeitet, die sie liest, studiert, abtippt, liegen in hellblauen Mappen auf ihrem Schreibtisch, in ihrem Zimmer unten im Parterre links, Nummer 39.
Sie untersucht die Spuren, die der große Wissenschaftler in den Einrichtungen der Stiftung Preußischer Kulturbesitz hinterlassen hat. Und das sind viele: In den Staatlichen Museen zum Beispiel würde es so manche Vase und Statue, so manches Kunstwerk ohne ihn nicht geben. Auch die Staatsbibliothek wäre ohne ihn eine andere. Viele Handschriften und Bücher gehen auf ihn zurück. Und gelang es ihm nicht sogar, den Etat der Stabi zu erhöhen? „Alexander von Humboldt ist ein Band, das die Einrichtungen der SPK bis heute verbindet“, sagt Männl.
Zu der leidenschaftlichen Beschäftigung mit Humboldt ist sie erst vor einigen Jahren, am Ende ihres Berufslebens, gekommen. Wie schon im Studium so lagen auch während ihrer beruflichen Tätigkeit im Archiv ihre Schwerpunkte in den früheren Epochen. „Das 19. Jahrhundert ist mir fast ein bisschen zu aktuell“, sagt sie mit diesem sympathischen, selbstironischen Augenzwinkern, das für sie so typisch ist. Sie schenkt Tee nach. Und ist einfach viel zu beschäftigt, um wehmütig zu werden.
Ein Traumjob
Noch gut kann sie sich an den Tag erinnern, als sie sich hier in der Archivstraße vorgestellt hat, in ihrem dunkelblauen Kostüm, im September 1988. Frisch von der Uni Gießen kam sie, wo sie bei Peter Moraw wissenschaftliche Mitarbeiterin war, den Kopf voll Latein und Geschichte, und zwar: mittelalterlicher. Das Thema ihrer Promotionsschrift, für die sie von der Universität einen Dissertationspreis erhielt, war: „Gelehrte Juristen“ - 1250 bis 1440. Die Authentizität, die Aura historischer Quellen faszinierte sie. Schon in der Schule, im hessischen Alsfeld, hatte sie sich dafür interessiert, war von einem guten Lehrer gefördert worden. Jetzt wollte sie da ran, das Talent zum Beruf machen.
Alexander von Humboldt ist ein Band, das die Einrichtungen der SPK bis heute verbindet
Ingrid Männl
Nur vier Tage, nachdem sie sich in Dahlem vorgestellt hatte, kam die Zusage. Ein Traumjob, bis heute. Spannend kann Ingrid Männl erklären, was es mit dem Wort „geheim“ im Geheimen Staatsarchiv auf sich hat, was der Unterschied ist zwischen „arcanum“ und „secretum“, dass „geheim“ eben bedeutet: mit dem Herrscher vertraut zu sein.
So wie es eben Alexander von Humboldt war, der den preußischen Herrscher fast täglich traf, der großen Einfluss hatte auf Friedrich Wilhelm III. und Friedrich Wilhelm IV., der sie beriet, in Kulturdingen für sie verhandelte, seine Netzwerke nutzte – der so eine Art Kulturminister war. Dieser charismatische Alexander von Humboldt ist so ganz nach Ingrid Männls Geschmack. Sein Schreibstil begeistert sie. Seine Sprache: ausdrucksstark, bildhaft, individuell.
Gar nicht mal so geheim: Das GStA öffnet seine Türen
Doch Männl weist noch auf etwas anderes hin: darauf, dass Humboldt sein Wissen breit bekannt machen wollte, dass er Bücher schrieb, damit sie gelesen würden. Wissenschaftskommunikation heißt das heute. Ingrid Männl kennt sich da aus: Im GStA war sie viele Jahre für die Öffentlichkeitsarbeit zuständig.
In den 35.000 laufenden Metern Archivalien hat sie manchen Schatz entdeckt und publik gemacht, hat immer wieder Jahresberichte, Forschungsnewsletter und das SPK-Magazin beliefert, hat einige Jahre lang den Tag der Archive organisiert, bevor diese Aufgabe in andere Hände überging. Die Plakate dafür hat sie teilweise selbst gestaltet. „Mit Rekordzahlen von über 500 Teilnehmerinnen und Teilnehmern waren wir da sehr erfolgreich“, erinnert sie sich. „Einmal kamen mehr als 60 Personen zu einer Lesung. Und am Büchertisch haben wir einmal 1400 Euro eingenommen.“
Ingrid Männl hat einiges dazu beigetragen, das Archiv zu öffnen. Ein Höhepunkt: die internationale und interdisziplinäre Tagung zum Reichskammergericht, die sie konzipiert hatte und die den Abschluss eines von der DFG geförderten Langzeitprojekts bildete. Ein anderer: das Fundraising-Projekt, mit dem die farbigen, schön gezeichneten Johanniteraufschwörungstafeln plangelegt, restauriert und digitalisiert werden konnten. Einst wiesen Adlige mit solchen Tafeln ihre Herkunft nach, um so in den Johanniterorden aufgenommen zu werden.
Mehr als tausend davon werden im GStA aufbewahrt. „Unser Ziel war es, 10.000 Euro mit dem Projekt einzunehmen. Doch am Ende wurden es sechs Mal so viel.“ 300 Euro kostete eine Patenschaft. Für Ingrid Männl war es eine tolle Erfahrung: Sie stand mit den adligen Nachfahren und Paten in engem Kontakt, konnte das Projekt wissenschaftlich begleiten. Ehrgeizig, kreativ konnte sie für das GStA eine neue Einnahmequelle erschließen, frischen Wind hineinbringen, konnte zeigen: Das ehrwürdige Dienstgebäude an der Archivstraße in Dahlem, es steht nicht nur für Kontinuität, sondern auch für Offenheit und Innovationen.
Weiterführende Links
Jubiläumsjahr: Geheimes Staatsarchiv feiert 100 Jahre Standort Dahlem
Hundert Jahre wird es in diesem Jahr alt, ein großes Fest. Mit einer spannenden Geschichte, die in den acht von verschiedenen Kolleg*innen des Geheimen Staatsarchiv unter Leitung der Archivarin Constanze Krause als Kuratorin erarbeiteten Ausstellungsvitrinen der Ausstellung „Auch Geheime Archive sehnen sich nach Licht“ vor dem großen Forschungssaal im Obergeschoss nacherzählt wird.
Wenn Ingrid Männl davorsteht, wird man durchaus nachdenklich: Ab der dritten Vitrine war sie selbst mit dabei! Sie hatte damals das Referendariat für den höheren Archivdienst kaum begonnen, da fiel die Mauer. Sie hat mitgeholfen, als die Archivalien aus Merseburg zurückgeführt wurden und die Eisenbahnwaggons im Westhafen ankamen. Mit der Leiter ist sie im Magazin die Aktenberge hochgeklettert, um zu prüfen, ob die Pakte auch alle in der richtigen Reihenfolge lagen. Noch immer hat sie guten Kontakt zu den Kolleg*innen von damals. „West und Ost haben sich prima ergänzt. So hat es bei uns mit der Wiedervereinigung gut geklappt“, sagt sie.
Eine gute Idee: Vitrinenausstellungen bringen Licht ins Archiv
Und die acht Schauvitrinen? Auch die sind so eine Geschichte. Sie hat sie einst selbst aus dem Übergang zum Aktenmagazin herausgeholt und hier an diesem prominenten Platz vor dem Forschungssaal anbringen lassen, zunächst, um darin eine von ihr gestaltete Dauerausstellung zu präsentieren: Brandenburg, Preußen und Europa.
Noch so eine Idee von ihr, um die Bestände des GStA zu präsentieren, quer durch alle Jahrhunderte, vom Deutschen Orden bis zum Traum vom deutschen Oxford im Berliner Südwesten, der Dahlemer Wissenschaftslandschaft.
Ingrid Männl, so ist zu hoffen, wird ein Teil von ihr bleiben: Zwar muss sie ihr Zimmer jetzt endgültig räumen. Aber sie wird sich dann im Forschungssaal einen Arbeitsplatz suchen – als einfache Benutzerin.