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Von Höfen, Prunk und starken Frauen

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Anlässlich seines Jubiläums „100 Jahre GStA in Dahlem“ vergibt das Geheime Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz (GStA PK) Stipendien für Wissenschaftler*innen deutscher Universitäten. Im Interview berichten die drei Stipendiatinnen Corinna Dziudzia, Johanna Evers und Laura Seithümmer von ihren Forschungen und Erfahrungen

Woran forschen Sie aktuell im Geheimen Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz?

Seithümmer: Ich forsche an meinem Dissertationsthema. Dabei geht es um Esther Liebmann, die Hofjüdin von Friedrich III. bzw. I., die ab den 1670er Jahren für den Hof gearbeitet hat. Sie hat 1701 als Witwe die Geschäfte ihres verstorbenen Mannes übernommen und sie bis zu ihrem Tod weitergeführt.

Sie war maßgeblich daran beteiligt, dass sich der Synagogenbau in Berlin verzögert hat, weil sie eine Privatsynagoge bei sich im Haus hatte und die jüdische Gemeinde dazu zwingen wollte, bei ihr in die Synagoge zu gehen und nicht in eine allgemeine Synagoge. In ihrer Zeit hatte Esther Liebmann als Frau und als Jüdin also eine außergewöhnliche Stellung inne.

Evers: Ich forsche ebenfalls zu meinem Dissertationsthema, und zwar zu den Handlungsspielräumen der preußischen Königinnen Luise und Elisabeth. Zum Handlungsspielraum von Königinnen in der Frühen Neuzeit gibt es schon sehr viel Forschung. Wir wissen einiges über deren diplomatische Aktivitäten, ihre Brief-Netzwerke, die Heiratspolitik.

Aber über den Umbruch vom 18. zum 19. Jahrhundert weiß man noch nicht so viel. Hinzukommt, dass es schon sehr viel Forschung zu Luise gibt, aber über Elisabeth wissen wir kaum etwas.

Dziudzia: Hauptsächlich arbeite ich aktuell zu einer damals vergleichsweise bekannten frühaufklärerischen Dichterin und gelehrten Frau, Sidonia Hedwig Zäunemann, die heute jedoch vergessen ist. Mir geht es darum, bislang unbekannte Quellen zu identifizieren und auszuwerten, um mehr über ihre Lebens- und Arbeitsbedingungen in Erfahrung zu bringen.

Mir geht es entsprechend auch um den literarisch-gelehrten Diskurs ihrer Zeit, mit wem sie korrespondierte, was jeweils den Schreibanlass bot zu ihren thematisch vielfältigen Texten oder wer zu ihren Lesern und Leserinnen gehörte.

Wo befinden Sie sich gerade in Ihrer akademischen Laufbahn und wie unterstützt Sie das Preußen-Stipendium in Ihren Plänen?

Seithümmer: Ich arbeite an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf und habe dort 2022 mit meiner Dissertation angefangen, nachdem ich schon meine Masterarbeit in Düsseldorf geschrieben habe. Zurzeit habe ich eine typische Uni-Stelle mit 50 Prozent Lehre und 50 Prozent Forschung. Aber wenn man sich das realistisch anguckt, kommt man natürlich nicht immer zu 50 Prozent Forschung.

Und deswegen ist dieses Preußenstipendium für mich großartig, weil ich vier Wochen lang tatsächlich nur an meiner Doktorarbeit arbeiten kann und nicht die ganzen Uni-Angelegenheiten noch obendrauf kommen. Das Stipendium ist für mich die perfekte Option, um tatsächlich mal Quellen ordentlich zu sammeln. Ansonsten weiß ich nicht, wie ich das hätte machen sollen. Es bietet mir Freiraum für die Forschung.

Evers: Bei mir ist es ähnlich. Meine Promotion ist an der Uni Marburg angesiedelt. Ich habe ursprünglich zwar in Heidelberg studiert, mir dann aber eine Betreuungsperson gesucht, die zu meinem Thema und den Epochenumbruch sehr gut passt. Normalerweise sind das unterschiedliche Lehrstühle. Ich habe aber keine eigene Stelle an der Uni, sondern mich über einen Nebenjob finanziert.

Das Preußen-Stipendium bietet mir die Gelegenheit, in Ruhe für längere Zeit in Berlin zu sein und die ganzen Bestände im Geheimen Staatsarchiv durchzugehen.

Dziudzia: Das Stipendium kam grad zum richtigen Zeitpunkt, meine Habilitationsschrift ist eingereicht, Zeit für neue Vorhaben!

Was war Ihre kurioseste Entdeckung, die Sie bei Ihren Recherchen im Archiv gemacht haben?

Evers: Bei mir sind es Akten, in denen es plötzlich um etwas komplett anderes geht als zu erwarten war. In einer geht es beispielsweise um Anstellungsgesuche, und dann ist da ein Zettel drin mit Kinderwörtern. Dort steht u.a., dass „Wawa“ Mama heißt. Solche Sachen.

Dziudzia: Ich fand kurios, dass man sich um 1700 wirklich sehr viel kalligraphische Mühe mit Briefen gegeben hat, diese Ebene bei Editionen in der Regel allerdings unsichtbar wird.

Fast etwas mehr als eine Kuriosität ist der Befund, dass das Kupferstichporträt von Johann Christoph Gottsched ein modernes, aufklappbares Passepartout erhalten hat – im Gegensatz zum Stich seiner Frau, das ohne Passepartout in der Mappe liegt. Dabei korrespondieren beide bildsprachlich: neben einander gelegt wenden sie sich einander zu, sie haben die gleichen Bücher im Hintergrund.

Zeitgenössisch sah man beide als gleichrangig, sie galt sogar postum als das eigentliche dichterische Talent von beiden. Spätere Generationen allerdings haben nur sein Porträt mit einem extra angefertigten Rahmen versehen, was uns viel erzählt über die spezifische Wertschätzung mancher Bestände im Gegensatz zu anderen.

Seithümmer: Also für mich ist das Gesamtergebnis eigentlich sehr spannend. Ich befasse mich ja mit einer Zeit, in der die jüdische Gemeinde in Berlin noch sehr jung ist, weil sie erst 1671 überhaupt gegründet wird. Hauptsächlich bestand sie aus vertriebenen Juden aus Wien.

Wir wissen, jüdische Geschichte ist immer die Geschichte von Vertreibungen. Was ich spannend finde, ist, dass man zu manchen Teilbereichen des gesellschaftlichen Miteinanders ganz, ganz viele Dokumente findet. Zu anderen aber überhaupt nichts.

Das Preußen-Stipendium ist dafür gedacht, Wissenschaftler*innen aus ganz Deutschland die Möglichkeit zu bieten, hier im Archiv zu arbeiten, aber auch die übrigen Institutionen der SPK zu besuchen. Worüber mussten Sie während Ihres Aufenthalts in Berlin am meisten schmunzeln?

Seithümmer: Weil ich nur vier Wochen hier bin, musste ich mir meine Zeit gut einteilen. Frau Evers und ich waren aber in der Staatsbibliothek zu Berlin. Diese Möglichkeit, auch in der Stabi vor Ort zu recherchieren, das war tatsächlich sehr, sehr hilfreich. Es hat mich darin bestätigt, dass es zu Friedrich III. bzw. I. und seinem Vater nahezu nichts an Forschungsliteratur gibt.

Ganz anders sieht es bei Friedrich dem Großen aus. Ich stand vor den Regalen und habe dort nur die Bände gefunden, die ich schon kannte. Man denkt ja immer, man hat irgendwas übersehen. Das kann nicht sein, dass es nur so wenig gibt. Wenn man dann aber in einer so großen Bibliothek wie der Stabi nichts findet, dann ist es wohl so. Da musste ich schmunzeln.

Dziudzia: Ich über Lokalitäten namens Eierschale, in die man in Dahlem geht, wenn man auf die Luise und den Alten Krug keine Lust hat.

Evers: Ich schmunzele häufig bei der Lektüre von Luises offenen und manchmal derben Briefen. Ich kann mir dann sehr gut vorstellen, wie es in den Schlössern ein bisschen lockerer zugegangen ist.

Ansonsten fand ich kurios, dass so viele Tourist*innen Fotos im Eingangsbereich der Stabi machen. Ich kenne ganz viele hübsche Bibliotheken, aber so etwas habe ich noch nicht erlebt.

Was würden Sie zukünftigen Stipendiatinnen und Stipendiaten empfehlen und mit auf den Weg geben?

Dziudzia: Kleingeld nicht vergessen für den Kaffeeautomaten!

Seithümmer: Rechtzeitig eine Wohnung zu suchen. Es ist gar nicht so einfach, in Berlin etwas zu finden, wo man für ein paar Wochen bleiben kann.

Und dann sich möglichst gut vorbereiten, um optimal die Zeit auszunutzen.

Evers: Beidem würde ich mich anschließen. Aber ich fand tatsächlich, in die Findbücher vor Ort zu gucken auch sehr wertvoll. Mir hilft es, alles im Zusammenhang zu sehen. Ich verstehe dann die Behördenstruktur viel besser.

Und schließlich die Wochenenden bestmöglich zu nutzen, um all die Museen zu besuchen.

Preußen-Stipendium

Anlässlich seines Jubiläums „100 Jahre in Dahlem“ vergibt das Geheime Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz (GStA PK) bis zu 7 Stipendien für ein- bis dreimonatige Forschungsaufenthalte am GStA PK.


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