Gudrun Hoinkis vom Geheimen Staatsarchiv treibt die Anwendung von Normdaten voran. Und macht das Archiv zur Anlaufstelle für andere Einrichtungen
Wer meint, bei Normdaten handele es sich um eine dröge Angelegenheit, der kennt Gudrun Hoinkis nicht. Wohl kaum einer kann das System der digitalen, genau festgelegten Schlagworte so begeistert erklären wie sie, die Leiterin der Bibliothek des Geheimen Staatsarchivs Preußischer Kulturbesitz (GStA). Pflanzen, Bücher, ihr Fahrradhelm: Gudrun Hoinkis sitzt in einem hellen Büro im historischen Haus in Dahlem, Archivstraße 12. Und zeigt auf ihren Bildschirm. Friedrich der Große, Frederic le Grand, Fryderyk Wielki oder doch lieber Alter Fritz? Egal welchen Begriff sie eingibt in den GND-Explorer, ein Recherchetool zur Gemeinsamen Normdatei – nur wenige Klicks reichen aus, um über den preußischen König unzählige Informationen sichtbar werden zu lassen. „Die Gemeinsame Normdatei hat großes Potenzial. Mit ihr ist es möglich, riesige Datenbestände zu erschließen, zu verknüpfen und in ganz neuen Zusammenhängen darzustellen“, sagt Gudrun Hoinkis.
Gudrun Hoinkis im Bibliotheksmagazin.
Foto: GStA PK / Vinia Rutkowski
Noch haben die Archive und viele andere Einrichtungen eigene Hausregeln: Ihre online gestellten Daten sind nicht normiert. Friedrich II. zum Beispiel geben die verschiedenen Archive durchaus unterschiedlich in ihre Datenbanken ein – in verschiedenen Varianten also. Normdatensätze dagegen sind einheitlich, nach einer festen Struktur angelegt, nach klaren Regeln, die international anerkannt sind, mit einer ID für jeden Datensatz, und mit Pflichtfeldern. Bei Personen gehören dazu zum Beispiel das Geburtsdatum, der Geburtsort, der Beruf und geografische Bezugsorte. Auch für Sachbegriffe, Körperschaften, Geografika oder bestimmte Werke gibt es Normdaten. Sie alle sind zusammengefasst in der Gemeinsamen Normdatei (GND), einer riesigen Datenbank, die von der Deutschen Nationalbibliothek in Frankfurt am Main koordiniert wird. In Frankfurt tagt auch der GND-Ausschuss, der die gemeinsamen Standards immer wieder bespricht – und bei dem Gudrun Hoinkis zukünftig als Gast dabei ist.
Sie gehört zu denen, die die Anwendung in den Archiven vorantreiben möchte. Denn anders als in den Bibliotheken, in denen Normdaten schon längst intensiv genutzt werden, war man in den Archiven lange skeptisch. Viele fragten: Lohnt sich der Aufwand überhaupt? Schließlich dauert es jeweils rund eine viertel Stunde, um einen Normdatensatz anzulegen. Und wie genau ist der Workflow? Entscheidungen sind zu treffen: Welche Personen, die in einem bestimmten Schriftstück genannt werden, sind es zum Beispiel wert, in die Datei aufgenommen zu werden? Für wen könnten sich die Nutzerinnen und Nutzer interessieren? Lohnt es sich etwa bei einer Gerichtsakte, nicht nur den Richter und den Angeklagten aufzunehmen, sondern auch eine bestimmte Zeugin?
An der Technischen Hochschule Wildau hat Gudrun Hoinkis gerade ein Studium der Bibliotheksinformatik abgeschlossen. Titel ihrer Masterarbeit: Wie kommt die GND ins Archiv? Mit den rund 50 Archivarinnen und Archivaren im GStA arbeitet sie eng zusammen. Unterstützt wird sie auch durch die Arbeit ihrer Kolleginnen Silke Jagodzinski und Franziska Mücke. Ihr Engagement steckt an, auch deshalb, weil sie kein Datenfreak ist, kein Nerd, sondern weil sie ein Faible für schöne Bücher hat, „die man noch richtig in die Hand nehmen kann“, wie sie selbst sagt. Schon ihre Mutter war Bibliothekarin – noch gut kann sie sich an die alten Bibeln erinnern, die ihre Mutter ihr gezeigt hat, damals, in der Staatsbibliothek Unter den Linden, noch vor der Wende. Sie hat eine Ost-Biografie, musste sich anstrengen, ihr Werdegang verlief nicht so glatt wie der vieler Kolleginnen und Kollegen aus dem Westen: Zuerst hat sie eine Ausbildung zur Assistentin an wissenschaftlichen Bibliotheken gemacht und dann ihr Abitur nachgeholt, auf dem zweiten Bildungsweg, bevor sie Bibliothekswesen studieren und Diplombibliothekarin werden konnte.
Seit 2006 schon leitet Gudrun Hoinkis die Bibliothek des GStA, kümmert sich mit drei Mitarbeiterinnen um die 180.000 Bände, die das große Archiv ergänzen. In dieser Bücherwelt kennt sie sich aus: Von ihrem Büro sind es nur wenige Schritte bis zur Bibliothek. Im Bibliotheksmagazin eilt sie die kleine Stahltreppe hinauf auf die zweite Ebene, die Regelreihen entlang, bückt sich, und schon hält sie in Händen, was sie sucht: einen Reiseführer über „Ostpreußen mit Angaben für Automobilisten“ aus dem Jahr 1935, Signatur 17 O 102 – ein gutes Beispiel dafür, warum Normdaten so eine tolle Sache sind, warum sie Wissen vermehren.
Denn das Buch gehörte einer mondänen, reiselustigen Berliner Schriftstellerin: Marie von Bunsen. Wenn man deren Namen in der Gemeinsamen Normdatei eingibt, dann bekommt man Hinweise zum Vater, zur Mutter, verschiedenen Berufen, Orten – ein Klick führt zum nächsten. Eine Grafik mit vielen bunten Punkten macht die Verknüpfungen anschaulich. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler könnten den Normdatensatz von Marie von Bunsen mit ihrem Sammelgut in Archiven oder Museen verknüpfen und so noch umfangreichere Informationen bekommen. Opernkarten, Briefe, Portraits, oder auch die Autos, mit denen die Schriftstellerin die Welt eroberte – bei einer Recherche in der Deutschen Digitalen Bibliothek könnte das alles angezeigt werden. Das ganze Leben der Marie von Bunsen könnte sichtbar werden.
Klar ist: Je mehr Daten in der GND aufgenommen sind, desto zahlreicher werden die Möglichkeiten. Gudrun Hoinkis baut darum eine sogenannte GND-Agentur auf, eine Anlaufstelle für alle Archive in Berlin und Brandenburg, die weniger Personal, weniger Kapazitäten und weniger Expertise haben als das Geheime Staatsarchiv. Die Bibliotheksleiterin arbeitet als Redakteurin, sie berät, regt an - und prüft die Eingaben der kleineren Archive, etwa des Digitalen Frauenarchivs. Neue, einheitliche Normdatensätze entstehen, die international genutzt werden können. So ebnet das Geheime Staatsarchiv anderen den Weg zur Gemeinsamen Normdatei. Um neue Forschung möglich zu machen.