Das kulturelle Erbe in der Kompakkt-Ansicht

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Im Interview erklärt Zoe Schubert von der Stabi, wie die Software (Semantic) Kompakkt die Verwendung von 3D-Modellen entscheidend erweitert. Mit einem offenen Ansatz und innovativen Funktionen bietet das Tool Kultureinrichtungen die Möglichkeit, ihre Bestände interaktiv zugänglich zu machen. Dies öffnet auch neue Perspektiven für die Forschung.

Frau Schubert, aktuell arbeiten Sie innerhalb mehrerer Projekte bei der SPK mit der Software (Semantic) Kompakkt, wie kam es dazu?

Schubert: Mein Hintergrund liegt in den digitalen Geisteswissenschaften. Ich habe Medieninformatik und Medienkulturwissenschaft an der Universität zu Köln studiert und früh wissenschaftlich gearbeitet, dabei vor allem in verschiedenen interdisziplinären Projekten wie digitaler Langzeitarchivierung und unterschiedlichen 3D Themen.

Vor vier Jahren kam ich zur Staatsbibliothek, die eine zentrale Rolle beim Aufbau der Nationalen Forschungsdateninfrastruktur im Bereich der materiellen und immateriellen Kulturgüter spielt. Konkret arbeite ich hier im Community Management des Projekts NFDI4Culture mit Schwerpunkt auf Digitalisierung und Anreicherung von Kulturobjekten.

Daneben steuere ich das von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderte Projekt Pop-up 3D, das zum Ziel hat, ein Referenzkorpus von 100 Bilderbüchern des ‚langen‘ 19. Jahrhunderts mit Ziehlaschen, Drehscheiben und anderen Spielelementen zu digitalisieren – unter Ermöglichung, beliebige Bewegungssequenzen dauerhaft zitierfähig für Dritte reproduzierbar zu machen.

Und dabei also mit (Semantic) Kompakkt. Könnten Sie uns einen Überblick über die Software geben?

Gern, aber dazu muss ich etwas weiter ausholen. Eines meiner letzten Projekte, bevor ich zur Stabi wechselte, war Kompakkt, das von mir mit einem kleinen Team an der Universität zu Köln ursprünglich für die Verwendung von 3D in der Lehre entwickelt wurde. Dabei entstanden ein kostenloses Online-Repositorium und ein 3D-Viewer, der speziell für kollaboratives Arbeiten und Storytelling konzipiert ist. Die erste Version erschien 2017.

Im Gegensatz zu kommerziellen Lösungen wie Sketchfab für 3D Objekte (Vergleichbar mit Youtube für Videos) ist Kompakkt vollständig quelloffen und für den freien Zugang zu Objekten des kulturellen Erbes optimiert. Es ermöglicht den Nutzenden das Teilen, Erkunden und kollaborative Annotieren von Objekten in modernen Webbrowsern.

Darüber hinaus wurde in den letzten Jahren eine semantische Erweiterung, Semantic Kompakkt, mit einer Wikibase-Anbindung im Open Science Lab der TIB Hannover im Rahmen des Projekts NFDI4Culture implementiert. Sie ermöglicht das Hinzufügen von semantischen Daten und Annotationen zu multimedialen Inhalten. Auch daran bin ich aktiv beteiligt.

Screenshot der Software (Semantic) Kompakkt.
Screenshot der Software (Semantic) Kompakkt.
Screenshot der Software (Semantic) Kompakkt.
Screenshot der Software (Semantic) Kompakkt.
Screenshot der Software (Semantic) Kompakkt.
Screenshot der Software (Semantic) Kompakkt.

Sie arbeiten also eng mit anderen Institutionen zusammen.

Genau. Beispielsweise haben wir im Kontext des Projekts NFDI4Culture erfolgreich Pilotprojekte gesucht, bei denen unsere Technologie verwendet werden kann. Gerade in letzter Zeit melden sich außerdem viele Institutionen bei uns, die zuvor mit Sketchfab gearbeitet haben, da das Programm zunehmend kommerzialisiert wird. Insbesondere Kultureinrichtungen suchen aus diesem Grund nach Alternativen.

Seit dem Start in Köln entwickeln wir bis heute in einem interdisziplinären Team an mehreren Universitäten, Forschungseinrichtungen und Bibliotheken in Deutschland (Semantic) Kompakkt weiter.

Neben der Zusammenarbeit mit deutschen Institutionen haben wir auch unterschiedliche  internationale Verbindungen aufgebaut. Ich bin z.B. aktives Mitglied der technischen Arbeitsgruppe des International Image Interoperability Framework (IIIF) für 3D-Objekte. Diese Initiative entwickelt einen globalen Standard für 3D-Modelle aus Archiven, Bibliotheken und Museen, weshalb ich über Sparten- und Ländergrenzen hinweg mit zahlreichen Kultureinrichtungen im Austausch stehe.

Was genau kann man mit (Semantic) Kompakkt machen?

Kompakkt ermöglicht es, 3D-Modelle aus allen Perspektiven im Webbrowser zu betrachten und mit Anmerkungen zu versehen. So können Nutzende eigene Informationen in  Fenstern an verschiedenen Stellen des 3D-Modells platzieren.

Semantic Kompakkt bietet zusätzlich die Möglichkeit, alle Informationen zu den 3D-Modellen semantisch, d.h. nach Linked Open Data-Prinzipien, zu modellieren. Diese Inhalte werden in einem Wikibase gepflegt.

Die Basisversion von Kompakkt funktioniert also ohne Wikibase und ohne semantische Verknüpfungen, während Semantik Kompakkt diese Funktionen hinzufügt. Die semantische Variante ist vor allem für wissenschaftliche Zwecke interessant.

Nutzende, die nicht wissenschaftlich arbeiten, sind oft zufrieden, wenn sie das 3D-Modell im Browser interaktiv anzeigen können. Viele integrieren die Modelle direkt in ihre eigenen Medienverwaltungssysteme. Ein Vorteil von Kompakkt ist es nämlich, dass die 3D-Modelle nicht zwangsläufig in dieses System hochgeladen werden müssen. Sie können auf einem beliebigen Server verbleiben, während nur der Viewer auf der eigenen Website eingebunden wird.

Haben Sie ein konkretes Anwendungsbeispiel?

Das bereits erwähnte, vor wenigen Monaten begonnene Projekt Pop-up 3D liefert ein gutes Beispiel. Hier wollen wir die historischen Spielbilderbücher nicht nur als “Flachware”  behandeln und ihre Bewegungsangebote im Video dokumentieren, sondern darüber ihre charakteristische Interaktivität im digitalen 3D-Modell abbilden.

Die Bücher aus dem Bestand der Staatsbibliothek haben ganz unterschiedliche Spielfunktionen: Einige umfassen z.B. transparente Seiten, die man erst erkennt, wenn man sie gegen das Licht hält. Diesen Effekt simulieren wir in 3D, um die Lichtdurchlässigkeit zu zeigen.

Bei anderen Büchern können z.B. Laschen herausgezogen, Kulissen aufgebaut und kleine Figuren aufgestellt werden – und viele weitere Dinge mehr.

Um diese interaktiven Elemente im Digitalen nachvollziehbar zu machen, brauchen wir neben dem reinen 3D Modell auch entsprechende Animationen. Diese sollen in Kompakkt individuell bespielt und dabei referenzierbar gemacht werden können.

Forschenden auf der ganzen Welt, die zu den Werken publizieren, wird damit also die Möglichkeit gegeben, beliebige Bewegungssequenzen dauerhaft zitierfähig und für Dritte reproduzierbar zu machen.

Und was kann man mit den vernetzten Daten dann machen?

In der theaterwissenschaftlichen Sammlung der Universität zu Köln hatten wir beispielsweise japanische Theatermasken, deren Herkunft uns nicht bekannt war. Wir haben sie gescannt, online gestellt und Wissenschaftler*innen in Japan kontaktiert, um Informationen dazu zu erhalten. Dadurch konnten wir die Objekte virtuell präsentieren, ohne vor Ort sein zu müssen – ein großer Vorteil. Die Forschenden in Japan konnten ihre Anmerkungen dann virtuell direkt an den Objekten anbringen.

Forschende möchten in ihren Publikationen oft präzise auf bestimmte Objekte oder Details verweisen. Mit Kompakkt können sie einfach Links setzen, die zu den gewünschten Stellen im Modell führen, sodass andere sie direkt betrachten können.

Auch in den Kulturwissenschaften und der Archäologie gibt es zahlreiche Anwendungsbeispiele. Ein Kollege von mir hat beispielsweise zu türkischen Schattenspielfiguren geforscht, mit denen man aus konservatorischen Gründen nicht mehr interagieren darf. Mithilfe unserer 3D-Modelle kann man diese Figuren inzwischen virtuell „bespielen“.

Insgesamt bietet die Digitalisierung viele Vorteile. Auch komplexere Objekte können damit auf neue Weise zugänglich gemacht werden.

In Berlin-Friedrichshagen entsteht ein hochmodernes Depotgebäude für die Staatlichen Museen zu Berlin, in dem die Bestände fotografisch und digital erfasst werden. Arbeiten Sie mit den Kolleg*innen im SPK-Verbund dort zusammen?

Ja, ich bin mit meiner NFDI4Culture-Kollegin aktives Mitglied der Gruppe, die das Betriebskonzept für die Digitalisierungsstrecke in Friedrichshagen entwickelt. Im Rahmen des Spielbuchprojekts beschäftigen wir uns ebenfalls mit verschiedenen in diesem Kontext relevanten Aspekten. Wir erstellen unter anderem photogrammetrische Aufnahmen unserer Bücher. In Zukunft könnte es daher möglich sein, diese Werke in Friedrichshagen zu scannen, sobald die entsprechenden Geräte verfügbar sind.

Unser Projekt ist ein gutes Beispiel dafür, wie die Staatsbibliothek von den Digitalisierungsinfrastrukturen der SPK in Friedrichshagen profitieren kann. Momentan optimieren wir unsere Workflows – vom Digitalisieren der Objekte bis zur Präsentation. Dabei prüfen wir den benötigten Speicherplatz, die Gestaltung unserer Arbeitsabläufe, die Archivierung der fertigen Modelle und die notwendigen Schritte zur Bearbeitung und Veröffentlichung.

Obwohl unser DFG-Projekt bereits vor der endgültigen Fertigstellung der Digitalisierungsstrecke in Friedrichshagen abgeschlossen sein dürfte, gibt es dort bereits Kapazitäten, die wir nutzen können, wie Speicherplatz oder Serverressourcen. Daher stehen wir in engem Austausch mit den Kolleginnen und Kollegen in den IT-Abteilungen von Stabi und SPK.

Wie können kulturelle Institutionen verantwortungsvoll mit ihren 3D-Modellen umgehen, wenn es um Veröffentlichung, Datenkontrolle und den langfristigen Zugang geht?

Eine zentrale Frage für Institutionen, die 3D-Modelle besitzen, ist es, wie sie diese verantwortungsvoll zugänglich machen können. Häufig veröffentlichen sie ihre Modelle auf der Plattform Sketchfab – das ist vergleichbar mit dem Hochladen von Inhalten auf YouTube – was aus unterschiedlichen Gründen problematisch sein kann, wie aktuell, wenn für kommerzielle Zwecke benötigte Funktionalitäten kostenpflichtig werden.

Auch die Speicherung von 3D-Modellen auf fremden Servern ist unter Umständen kritisch. Besonders wenn digitale Objekte mit öffentlichen Mitteln erzeugt wurden, müssen Institutionen sorgfältig überlegen, wo und wie sie ihre Daten zur Verfügung stellen. Dabei darf nicht über wichtige Fragen wie Rechte, Datenschutzbestimmungen und zukünftige Kontrolle hinweggesehen werden.

Allerdings greifen Institutionen dabei immer wieder auf die verbreitetste Lösung zurück, ohne sich über Open-Source-Alternativen zu informieren, die möglicherweise sogar wissenschaftlichen Ansprüchen eher gerecht werden.

Es geht nicht darum, für eine bestimmte Plattform zu werben, sondern darum, bewusst zu reflektieren, wo die eigenen Daten liegen, wer die Kontrolle darüber hat und welche langfristigen Kosten entstehen könnten. Daher setzen wir uns für verantwortungsvolle Lösungen ein.

Und ähnlich wie die Smithsonian Institution, die einen eigenen quelloffenen 3D-Viewer (Voyager) entwickelt hat, um eine angemessene Präsentation ihrer digitalisierten Sammlungsobjekte sicherzustellen, könnte die SPK für diesen Zweck beispielsweise Kompakkt nutzen, dessen Viewer sich flexibel an individuelle neue Anforderungen anpassen lässt – seien diese spartenspezifisch oder einem anlassbezogenen Bedarf geschuldet, wie etwa im Rahmen unseres Spielbuchprojekts an der Stabi.


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