Sebastian Küchler-Blessing ist Domorganist in Essen und Jury-Vorsitzender beim Felix Mendelssohn Bartholdy Hochschulwettbewerb 2023. Wir sprachen mit ihm über die Vorfreude auf den Wettbewerb und die Verantwortung als Jury-Vorsitzender.
Der Felix Mendelssohn Bartholdy Hochschulwettbewerb ist der älteste und auch einer der bedeutendsten Nachwuchsmusikwettbewerbe Deutschlands. Er wird einmal im Jahr von der Stiftung Preußischer Kulturbesitz in Zusammenarbeit mit der Rektorenkonferenz der deutschen Musikhochschulen und der Universität der Künste Berlin veranstaltet.
Herr Küchler-Blessing, Was ist Ihr fachlicher Hintergrund und worin besteht Ihre Rolle beim Felix Mendelssohn Bartholdy Hochschulwettbewerb (FMBHW) 2023?
Sebastian Küchler-Blessing: Ich habe Kirchenmusik, Musiktheorie und das Konzertfach Orgel studiert und bin seit 2014 Domorganist am Essener Dom. Seit demselben Jahr lehre ich liturgisches Orgelspiel/Improvisation und Orgel an der Robert-Schumann-Hochschule Düsseldorf. Mit dem FMBHW fühle ich mich persönlich sehr verbunden, weil ich den Wettbewerb 2012 selber gewonnen habe. Die Fächer, die es bei dem Wettbewerb gibt, sind Violine und Klaviertrio, Klavier und Komposition, Violoncello und Orgel sowie Gesang und Streichquartett. Sie wechseln sich über die Jahre hinweg ab. Beim nächsten FMBHW 2023 hat mich der künstlerische Leiter Sebastian Nordmann mit dem Jury-Vorsitz im Fach Orgel betraut. Das bedeutet, dass ich etwa festlegen konnte, an welchem Instrument der Wettbewerb stattfinden soll.
Wie sahen die Vorbereitungen für den kommenden Wettbewerb konkret aus?
Es ging unter anderem darum, auszusuchen, wer in die Jury kommt. Es gibt da gewisse Vorgaben in den Statuten des Wettbewerbs, der übrigens der älteste Musikwettbewerb Deutschlands ist und erstmals 1871 durchgeführt wurde. Diese Vorgaben besagen etwa, dass je zwei Professor*innen aus allen in der Rektorenkonferenz vertretenen deutschen Musikhochschulen in der Jury vertreten sein müssen. Auch zum Programm des Wettbewerbs gibt es in den Statuten einige Vorgaben. Außerdem stellte sich die Frage, wer das Auftragswerk komponieren sollte, das während des Wettbewerbs alle Teilnehmenden spielen müssen. Auch wenn es so wirkt, als wenn, etwa im Programm, viel in den Statuten vorgegeben sei, war es eine unfassbar schöne Arbeit, denn de facto hatten wir in diesem Prozess riesige Freiheiten. Für jemanden mit meinem Hintergrund ist das eine große Spielwiese, um sich kreativ auszutoben.
Sind Sie vor allem im Hintergrund mit der Organisation beschäftigt oder treten Sie auch als Jurymitglied während des Wettbewerbs auf?
Als Juryvorsitzender werde ich Teil der Auswahlkommission vor Ort sein. Die ganze Jury wird dann voraussichtlich warm angezogen in der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche sitzen und aufmerksam lauschen. Wir hören uns alle 21 Teilnehmenden an und besprechen uns dann, wobei ich als Vorsitzender eine moderierende Rolle haben werde.
Wird es im kommenden Wettbewerb hauptsächlich um Orgelmusik gehen?
Es wird um zwei Fächer gehen, Violoncello und Orgel, wobei die beiden Jurys voneinander unabhängig besetzt sind. Es wird auch keine Gesamtrunde geben, wie in anderen Wettbewerben, sondern die Fächer bleiben getrennt. Auch die Sonderpreise werden in dieser Auflage unabhängig voneinander in den einzelnen Fächern vergeben.
Sie haben erwähnt, dass Sie selber mal den Preis gewonnen haben. Ist es eine besondere Ehre, in der Jury für diesen altehrwürdigen Wettbewerb zu sitzen?
Definitiv! Es ist der Wettbewerb, zu dem die besten deutschen Musikstudierenden kommen. Jede Musikhochschule in Deutschland kann maximal zwei Leute entsenden. Es gibt auch nicht die Möglichkeit, sich einfach zu bewerben, sondern die Teilnehmenden müssen von ihrer jeweiligen Hochschule ausgewählt und nominiert werden. Man vertritt seine Hochschule in Berlin – das ist ein großer Vertrauensvorschuss – und wenn man es schafft, diesen auf den ältesten deutschen Musikpreis zurückgehenden Preis oder auch den Preis des Bundespräsidenten zu gewinnen, dann ist das schon ein großer Triumph für Musikschaffende in Deutschland.
Ist so ein Wettbewerb ein Karrieresprungbrett für die Teilnehmenden?
Definitiv. Über den schieren Wettbewerbserfolg hinaus haben wir im Fach Orgel in diesem Jahr glücklicherweise geschafft, dass einige Kolleg*innen von deutschen Kathedralkirchen und Konzerthäusern zugestimmt haben, Einladungen zu Preisträgerkonzerten auszusprechen. Das ist eine große Sache, denn es gibt an den großen Konzerthäusern und Kathedralkirchen nicht viele Orgelkonzerte im Jahr und normalerweise ist es besonders für Nachwuchsmusiker*innen so gut wie unmöglich, da unterzukommen. Bei mir im Essener Dom gibt es etwa Raum für Einladungen zu fünf großen Solokonzerten pro Jahr oder auch im romanischen Dom zu Speyer sind es sieben Gastkonzerte. Wer dieses Mal beim Wettbewerb erfolgreich abschneidet, darf sich darauf freuen, beim ältesten deutschen Kirchenmusikfestival ION in Nürnberg zu spielen, im Freiburger Münster, der Philharmonie Essen, eben dem Dom zu Speyer oder in der Thomaskirche in Leipzig, die ja untrennbar mit Felix Mendelssohn Bartholdy und der auf ihn zurückgehenden Bach-Wiederentdeckung verbunden ist.
Wie läuft der Wettbewerb genau ab? Schildern Sie doch mal den Ablauf aus Ihrer Sicht als Jurymitglied …
Anfang November 2022 war Einsendeschluss für Bewerbungen, das heißt: bis dahin mussten die Leute bei ihrer Hochschule gewissermaßen vortanzen und die Hochschule musste beschließen, sie zu entsenden. Im Fach Orgel haben wir 21 Anmeldungen. Gleichzeitig haben sie auch die Noten des Auftragswerks erhalten, das eigens für den Wettbewerb geschrieben wurde und das von allen Teilnehmenden in der ersten Runde zu spielen ist.
Was ist das für ein Werk?
Wir hatten großes Glück, den renommierten ungarischen Organisten und Komponisten Zsigmond Szathmáry zu gewinnen: Er darf zu den bedeutendsten Vertretern der Neuen Musik gezählt werden. Sein Werk ist sechs Minuten lang und heißt “Rubik’s Cube”, in Anlehnung an die bunten Rätselwürfel, und ist ziemlich wild. Höchst anspruchsvoll, sehr gestisch und sehr, sehr energetisch. Und die Teilnehmenden sind nun dabei, das Stück zu lernen und sich vorzubereiten. Mit den weiteren knapp 70 Minuten vorzubereitender Musik ist der Aufwand also ein großer.
Das geschieht dann im Januar, während des eigentlichen Wettbewerbs?
Es wird in der zweiten Januarwoche zwei Wettbewerbsrunden geben. In der ersten Runde spielt jeder ein in Grundzügen gegebenes Programm, das neben dem erwähnten Auftragswerk von Szathmáry auch Orgelwerke von Johann Sebastian Bach und Felix Mendelssohn Bartholdy enthält. Von den 21 Teilnehmenden können nach dieser Runde acht weiterkommen. Im Finale spielen diese acht dann jeweils 45 Minuten Musik und dann liegt es an uns als Jury, zu schauen, wer am besten ist und sich durchsetzt.
Nach welchen Kriterien wählen Sie in der Jury das aus?
Es hat tatsächlich vor Kurzem erst einen Artikel in der FAZ gegeben, in dem einige große Musikwettbewerbe aufgrund von undurchsichtigen Auswahlkriterien in die Kritik gerieten. Beim FMBHW lässt sich das aus meiner Sicht ausschließen: Die Wettbewerbsstatuten sind veröffentlicht und gestalten alles fair, transparent und nachvollziehbar. Auch mit dem konkreten Jurykollegium können wir, hoffe ich sagen zu können, dass so etwas in unserer Juryarbeit ausgeschlossen ist. Meiner Überzeugung nach gibt es objektivierbare Kriterien, nach denen eine Jury entscheiden kann oder, besser, muss. Ein solches Kriterium wäre etwa die Frage: Funktioniert das Dargebotene musikalisch? Es muss natürlich möglichst fehlerfrei gespielt sein, aber das ist nicht alles – bei der Musik geht es um handwerkliche Präzision, aber auch um Emotionen. Ein weiteres Kriterium wäre: Wie ist der Umgang mit dem Instrument? Da geht es dann um den Umgang mit Klangfarben, die zur Musik passen müssen. Glücklicherweise existieren teilweise noch die originalen Instrumente, auf denen Bach oder Mendelssohn Bartholdy gespielt haben, so dass es eine Referenz gibt, an der wir uns orientieren können. Aber es ist natürlich auch möglich, ganz andere Wege zu gehen und neue Klangfarben, neue Spielweisen zu präsentieren. Schlussendlich muss es in sich schlüssig sein und musikalisch Sinn ergeben.
Felix Mendelssohn Bartholdy Hochschulwettbewerb
Der Felix Mendelssohn Bartholdy Hochschulwettbewerb ist einer der bedeutendsten Nachwuchsmusikwettbewerbe Deutschlands. Er wird einmal im Jahr von der Stiftung Preußischer Kulturbesitz in Zusammenarbeit mit der Rektorenkonferenz der deutschen Musikhochschulen und der Universität der Künste Berlin veranstaltet.
Gibt es etwas, worauf Sie sich besonders freuen, wenn es im Januar konkret wird?
Ich bin unfassbar neugierig. Ich habe mich in den Vorgaben zur Programmgestaltung bemüht, die Tür möglichst weit aufzustoßen. Es gibt von Mendelssohn verhältnismäßig wenig Orgelmusik. Das sind wunderschöne Werke, aber es existieren in der Virtuosität oder vielleicht auch in der Espressivität doch Unterschiede zu dem, was er für andere Instrumente geschrieben hat. Es war mir daher ein Anliegen, explizit auch Transkriptionen – also Umarbeitungen von Werken für andere Besetzungen – zuzulassen und zu fördern. Dabei kann ganz aufregendes Neues entstehen und es haben sich fast die Hälfte der Teilnehmenden entschieden, Transkriptionen Mendelssohn’scher Werke zu spielen.
Das klingt vielversprechend.
Ich bin extrem gespannt, welche Programme wir hören werden und wie diese als Ganzes präsentiert werden. Dabei erfährt man auch nochmals viel über die Teilnehmenden: Welche Komponist*innen bringen sie mit, wie gestalten sie ihr Programm, wie ist der Gesamteindruck, der dabei entsteht? Welche Gedanken macht sich jemand über das reine technische Spielen hinaus? Im besten Fall sitzen wir da unten in der Kirche, werden von oben schier erschlagen von dem, was da an Erfindungsgeist, an Musikalität kommt, und wissen am Ende gar nicht, wem wir denn jetzt die Preise geben sollen. Das wäre die Idealvorstellung für mich.