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Klima für die KatzKleine Expedition in die Kleine Eiszeit

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SPK-Präsident Hermann Parzinger macht sich für die Frühjahrsausgabe 2024 der Zeitschrift für Ideengeschichte auf eine kleine Expedition in die Kleine Eiszeit

Im Sommer 2021 fanden wir bei der Erneuerung des Daches in unserem "Stammsitz" im Bayerischen Wald Teile einer mumifizierten Katze (Abb. 1). Die Katze unter dem Dach weckte meine Neugier, und ich begab mich auf Spurensuche. Wie lange hatte sie dort schon gelegen? Das aus Fichtenbalken traditionell errichtete Waldlerhaus befindet sich im ältesten Dorfkern des Ortes Hohenwarth (Landkreis Cham). Urkundlich erwähnt wird das Dorf erstmals 1180.

Ein Kollege des Deutschen Archäologischen Instituts half, die Zeit des Fundstücks weiter einzukreisen. Die dendrochronologische Analyse eines Balkens ergab eine Datierung der Baumringfolge von 1459 bis 1521, und aufgrund der erhaltenen Waldkante muss danach der zugehörige Baum im Winter 1521/22 gefällt worden sein. Dies bestätigt die frühneuzeitliche Zeitstellung des Fundhauses, das damit wohl zu den ältesten Blockhäusern im Bayerischen Wald gehört.

Eine 14CDatierung der mumifizierten Katze wiederum, die das LWL-Museum für Naturkunde vornahm, verweist sie auf die Jahre um 1486.  Also, eine unmittelbare Zeitgenossin auf vier Pfoten von Martin Luther (*1483) und Thomas Müntzer (*1489), ein spätmittelalterliches Exemplar von Seidenpfote. Eine weitere genetische Untersuchung und geschlechtliche Bestimmung des Fundes wurden nicht vorgenommen. Ob die Katze eine Kätzin, ein Kätzerich oder gar schwarzer Kater war, muss offenbleiben.

Doch wie ist dieser eigentümliche Befund einer mumifizierten Katze unter dem Dach eines Wohnhauses überhaupt zu erklären? Was hatte die Katze so hoch oben zu suchen? Kaum vorstellbar ist, dass ein Tier dieser Größe aus eigenem Antrieb unter das Dach an diese Stelle gelangte und dort verendete. Noch etwas war rätselhaft. Die Katze unter unserem Dach lag nicht an beliebiger Stelle auf dem Firstbalken, sondern war offenbar bewusst genau in der Mitte des Hauses nahe dem Kamin platziert worden.

Einmal von dem seltsamen Interesse für den zufälligen Fund einer Katzenmumie angestachelt, erfuhr ich rasch, dass der Fund kein Einzelfall war. In den letzten Jahren wurden im Zuge der Sanierung von historischen Altbauten in unterschiedlichen Teilen Bayerns und Baden-Württembergs, aber auch in Österreich, in der Schweiz und im Elsass vermehrt mumifiziere Katzen entdeckt, die auch unter den Dächern dieser Bauten deponiert worden waren (Abb. 2) und in der gezielten Platzierung mit unserem Fund verblüffende Ähnlichkeiten aufwiesen.

Diese Katzenmumien kamen nicht nur in privaten Wohnhäusern wieder ans Licht, sondern auch unter dem Gebälk von Kirchtürmen zum Vorschein. Die jüngsten Funde fanden sich in Häusern des 19.Jahrhunderts, die Beispiele reichen jedoch bis in die frühe Neuzeit zurück, wobei unsere Katze aus dem Blockhaus in Hohenwarth in der Fundliste bisher das älteste Exemplar war.

Petra Schad, eine Archivarin aus Markgröningen, die die Fundorte der mumifizierten Katzen dokumentiert und bei der Recherche für diese Spurensuche mit vielen Auskünften weiterhalf, hat allein 157 Fälle erfasst (ausgehend von den ersten Funden im Landkreis Ludwigsburg, also im Umkreis des schwäbischen Herausgeberortes der Zeitschrift für Ideengeschichte) – aber es dürftenwohl noch viel mehr sein. Man darf wohl davon ausgehen, dass bei der Erneuerung der Dächer der alten Häuser viele gefundene Katzenkadaver ohne besonderes archäologisches Aufheben einfach entsorgt worden sind.

Mumufizierter Katzenschädel
Abb. 1: Die Katzenmumie aus dem späten 15.Jahrhundert. Foto kurz nach der Auffindung im Waldlerhaus (Hohenwarth) im Sommer 2021. Foto: Andreas Rabenbauer, Blaibach
Mumifizierte Katze
Abb. 2: Ein Schicksalsgenosse (etwas jünger) des Fundes aus Hohenwarth. Mumifizierte Katze aus dem Dachgeschoss in der Stelzengasse 4 in Markgröningen, Baden-Württemberg. Aus der Sammlung von Petra Schad. Foto: Petra Schad

Katzenmumien haben eine lange transkulturelle Geschichte, die über das alte Rom weit in die Pharaonenzeit zurückreicht (Abb.3). In Ägypten genossen die Katzen einen heiligen Rang. Noch vor ein paar Jahren gruben Archäologen südlich von Kairo steinerne Sarkophage aus dem Alten Reich aus, in dem sich einbalsamierte und zum Teil vergoldete Holzkatzen, auch die Bronzestatue einer "Katzenkönigin" fanden.

Gegen diese fast 5000 Jahre alten Katzenmumien aus dem Pharaonenzeitalter ist die gut 500 Jahre alte Mumie aus dem Bayerischen Wald wiederum ein recht junges Ding. Mit den einbalsamierten "heiligen" Kultkatzen aus den ägyptischen Gräbern scheinen die ausgetrockneten Dachbodenfunde und tierischen Überbleibsel aus dem späten 15.Jahrhundert oder noch jüngeren Datums dann auch nur wenig gemein zu haben. Welches "unheilige" Schicksal der Katze an der Schwelle zur europäischen Neuzeit bestimmt war, werden wir weiter unten sehen.

Klimagunst in der Vor-Katzenmumien-Zeit

Wie erklärt sich nun die Häufung von mumifizierten Katzenfunden unter den Dächern und Giebeln seit dem 14.Jahrhundert? Und was haben die Mumien mit den Hungersnöten in Europa zu tun? Dafür muss hier mit wenigen Strichen die unmittelbare Vorzeit der Katzenmumien-Funde skizziert werden – die sogenannte mittelalterliche "Warmzeit" (zwischen 950 und 1300). Hier blühte die Landwirtschaft, die Versorgung der Menschen mit Nahrungsmitteln war nicht nur gesichert, sondern erreichte einen beträchtlichen Überschuss.

Diese Blütephase war vergleichbar mit der Situation im Neolithikum, als Ernährung erstmals planbar wurde. Es kam zu einer Bevölkerungsexplosion, neue Städte wurden gegründet, die Kathedralen ließen nicht nur am Sizilischen Musenhof von Kaiser Friedrich II. durch ihre großen Fenster das Sonnenlicht eintreten. Die Natur meinte es für ein paar Jahrhunderte gut mit den Menschen. Auf das Klima war Verlass. Die Baumgrenze in den Alpen lag zum Teil höher als heute, und sowohl Getreide als auch Wein wurden nördlicher als jemals zuvor angebaut. Getreidewirtschaft ist bis in die Bergregionen Norwegens und Schottlands nachgewiesen, und Weinreben fanden sich im Hochmittelalter sogar auf den Britischen Inseln.

Kleine Eiszeit, Großer Hunger

Dieser Zustand änderte sich Anfang des 14.Jahrhunderts abrupt und für mehrere Jahrhunderte. Zwar schwankten auch hier die Temperaturen immer wieder, es war nicht durchgehend eisig, im Mittelwert aber deutlich kälter als zuvor. Es waren jene Jahrhunderte, in denen nicht nur in einem Waldlerhaus im Bayerischen Wald eine Katze unter das Dach gelegt wurde. Der Sommer 1302 etwa war noch mild mit ausreichend Regen, aber bereits im Herbst erfroren im Elsass die Weinstöcke. Im Frühjahr 1303 standen die Bauern in weiten Teilen Deutschlands nach einem strengen Winter vor ihrem vom Frost vernichteten Saatgut.

Doch das waren nur die ersten Vorboten einer aufziehenden Eiszeit. Sie begann mit einer verheerenden Dürreperiode. Neben verdorrten Ernten und vernichtenden Stadtbränden, insbesondere in Italien und Frankreich, kam es auch im Nahen Osten zu einer extremen Dürre, und der Nil führte einen bis dahin kaum gesehenen niedrigen Wasserstand. Die Katastrophe nahm kontinentale Ausmaße an.

Dieser unvergleichlichen Trockenheit folgte sogleich das nächste Desaster. Sintflutartige Regenfälle und Überschwemmungen vernichteten die Ernten, hinzu kamen sehr lange und extrem harte Winter. Im Winter 1315/16 fror die Ostsee zu. Auch die Sommer waren kalt: Ende Juni 1318 soll in Köln Schnee gefallen sein. Die Vegetationsperiode hatte sich auf ein Minimum reduziert.

Die in den klimagünstigen Jahrhunderten stark angewachsene Bevölkerung wurde von diesen Entwicklungen unvorbereitet und mit voller Wucht getroffen. Zu den verlorenen Ernten traten Tierseuchen hinzu. Der "große Hunger" zwischen 1315 und 1321 gilt als größte gesamteuropäische Hungerkatastrophe des vergangenen Jahrtausends. Millionen von Menschen fielen ihm zum Opfer. Ganze Dörfer starben aus und wurden zu Wüstungen.

Zeitgenössische Quellen lesen sich wie Horrorgeschichten. Aus Verzweiflung verzehrten die Ausgehungerten ihre Hunde und Pferde, die Toten lagen auf den Straßen herum, und mitunter kam es wohl auch zu Fällen von Kannibalismus. Flankiert wurde die Hungersnot von Seuchen und Pestepidemien.

Der Dürre folgten mehrere extreme Kältestürze zwischen dem 14. und dem frühen 19.Jahrhundert. An Drastik sind die historischen Schilderungen kaum zu überbieten: Die Winter waren so kalt, dass die Vögel tot vom Himmel fielen oder Kutscher auf ihrem Gefährt erfroren, ehe sie ans Ziel kamen. Die Gletscher der Alpen stießen in die Täler vor und bedrohten deren Besiedlung.

Diese Auswirkungen waren auf der gesamten nördlichen Hemisphäre zu spüren. Das Packeis schob sich vom Nordpol aus nach Süden vor, und die Folge waren für sehr lange Zeit ausgesprochen kalte, lang dauernde Winter und niederschlagsreiche, kühle Sommer. Missernten wurden zur Begleiterscheinung dieser Klimaverhältnisse, und in nasskalten Sommern verfaulte der Weizen oft schon direkt an den Halmen.

Die den Missernten auf dem Fuß folgende Teuerung der Getreidepreise führte zu starken sozialen Friktionen in der Bevölkerung. Das 1565 entstandene Jahreszeitenbild Die Heimkehr der Jäger von Pieter Bruegel dem Älteren ist eines der ersten europäischen Großgemälde aus der Kleinen Eiszeit: Das in dunklen Erdfarben gehaltene Bild zeigt Jäger, die zusammen mit ihren Hunden mühsam durch den hohen Schnee stapfend in ihr von Schneemassen nahezu erdrücktes Dorf zurückkehren, dessen Wasserflächen zugefroren sind. Als einzige Beute tragen sie einen abgemagerten Fuchs mit sich (Abb. 4).

Die Ursachen für die massive Abkühlung des Klimas sind komplex. Eine verstärkte Vulkantätigkeit mit beträchtlichem Ausstoß von Asche, Staub und Gasen, der wiederum die Sonneneinstrahlung reduzierte, kommt hierfür wohl ebenso in Frage wie eine deutlich geringere Sonnenaktivität, eine großflächige Wiederbewaldung durch fortschreitenden Bevölkerungsrückgang und vermehrte Wüstungen, die einen verringerten Treibhauseffekt zur Folge hatten. Aber auch ein schwächerer Golfstrom mit abkühlender Wirkung sowie Änderungen im Umlauf der Erde um die Sonne aufgrund einer veränderten Neigung der Erdachse könnten für diese Veränderungen verantwortlich gewesen sein.

Aber das waren miteinander verschränkte Ursachen-Wirkungsketten – zu komplex für eine Fahndung nach eindeutigen Schuldigen für all die Missernten, das große Hungerleiden, die Epidemien, Elend und Tod.

Hexenpakt und Katzenopfer

In erster Linie sollten die Juden wieder an allem schuld sein. Im Dürrejahr 1305 etwa wurde ihnen im österreichischen Korneuburg die Schändung einer Hostie vorgeworfen, was gleich zu Mord und Totschlag führte. Vergleichbare Gerüchte führten auch zu Pogromen in Wien und anderen Teilen Österreichs.

Ab der Mitte des 14. Jahrhunderts nahmen Judenverfolgungen schließlich im gesamten Heiligen Römischen Reich und in anderen Teilen Mitteleuropas zu. Neben Wucher, Hostienfrevel oder Brunnenvergiftungen wurde den Juden auch der Ausbruch der Pest zur Last gelegt.

Eine weitere Opfergruppe, die für alles Unbill in Verantwortung genommen wurde, waren die "Hexen" – und hier kommen wieder die mumifizierten Katzen ins Spiel. Der Höhepunkt der Hexenverfolgung fällt genau in die Jahrzehnte, in denen sich gehäuft Funde von Katzen unter Dachgiebeln nachweisen lassen.

In etlichen Hexenprozessen wurde den Angeklagten Schadzauber am Wetter und Wettermagie vorgeworfen. Sie wurden als böse Wetterhexen für Eisregen, Frost und Hagel schuldig gesprochen. Aus dem Handwörterbuch des Deutschen Aberglaubens erfahren wir, dass die mumifizierten Katzen mit einem Zauber zur Abwehr von Hexen und anderen Dämonen verbunden waren.

Man deponierte eine Hexe in Form einer toten Katze unter dem Dach, um für die Zukunft Unglück vom Haus und von dessen Bewohnern fernzuhalten. Die verwobene Dämonisierung von Katzen mit Hexen blickt, wie man aus der neueren volkskundlichen Forschung erfahren kann, auf eine lange Tradition zurück. Katzen würden mit Hexen oder dem Teufel, weiß der Volksmund zu berichten, unter einer Decke stecken. Seit dem frühen 15. Jahrhundert finden sich immer wieder Hinweise, dass Hexen sich in Katzen verwandelten.

Der große Katzen-Exorzismus in der Kleinen Eiszeit kennt viele Ausdrucksformen. Im Elsass wurden lebendige Katzen in das Osterfeuer geschleudert, um Hexen zu vertreiben. Im Nassauischen hängte man am Faschingsmontag lebendige Katzen in einem Korb auf und zündete diesen am Tag darauf mit Fackeln unter "Vaterunser"-Beten an, damit das Jahr auch bloß fruchtbar werde. Jede Saison hatte ihre eigenen Katzenbräuche: Zur ersten Aussaat vergrub man einen lebendigen schwarzen Kater, und beim Abschluss der Ernte tötete man eine Katze.

In der longue durée des Aberglaubens über das "verhexte" Wetter wurde über Jahrhunderte an der Legende gestrickt, dass Katzen die Träger allen Unheils sind. Noch heute kann man in populären Fibeln des Aberglaubens lesen, dass die ewig listigen Katzen durch Wände gehen und über Kamine in die Wohnungen einsteigen. Als "Teufelstier" oder "Hexentier" wurden sie im Spätmittelalter zur reinen Personifizierung des Bösen – und damit zum "unheiligen" Opfertier. Beim öffentlichen Karneval, bei der Ernte – und eben auch über dem Kaminsims im privaten Wohnhaus.

Allein in der Zeit vom 16. bis zum 18. Jahrhundert wurden Zehntausende von Frauen bei lebendigem Leibe als Hexen verbrannt und mit ihnen oft noch viel mehr Katzen.

Im Heiligen Römischen Reich hatten sich die Klimakatastrophen und die damit verbundenen Hungersnöte ganz besonders eng mit einer Hexenhysterie verbunden. Dort finden sich auch heute die meisten Belege für Katzenopfer unter den Dächern spätmittelalterlicher und neuzeitlicher Gebäude. Die in Hohenwarth auf dem Firstbalken niedergelegte Katzenmumie führt als bisher ältestes Fundstück diese Reihe an. Momentan ist die alte Katze aus dem Bayerischen Wald auf Durchreise in Westfalen. (Abb. 5).

Einst diente sie in der Kleinen Eiszeit zur Schadabwehr. Heute, in Zeiten der Klimasensibilisierung und einer aufziehenden Heißzeit, ist sie ein Schauobjekt in der Vitrine.

Dieser Beitrag erschien zuerst in der Zeitschrift für Ideengeschichte: Heft XVIII/1 Frühjahr 2024

Zeitschrift für Ideengeschichte
Hunger

Heft XVIII/1 Frühjahr 2024

Hoppe, Kaufmann, Weissberg, Thun-Hohenstein

Wie lässt sich von der existentiellen Macht "Hunger" erzählen? Literaturhistorisch gehört es zu den paradoxen Beobachtungen, dass es ein aller Sprache und Ideen vorgelagerter physischer Mangel ist, der eine reiche Fülle an Literatur aus sich herausgetrieben hat. Mit einem Gespräch über Knut Hamsuns epochalen Roman "Hunger" (1890) setzt die Ausgabe ein. Die moderne Literatur verzeichnet mit dem Kontrollverlust der alten, geordneten Erzählwelt den Auftritt eines neuen, fiebrigen Erzählers, der in einer eigenen Logik des Wahnsinns hinter dem Rücken des Autors das Geschehen voranpeitscht. Auch von diesem "Irren" handelt diese Ausgabe.


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