ForschungsFRAGEN: Elektronische Musik

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Benedikt Brilmayer ist wissenschaftlicher Mitarbeiter im Musikinstrumenten-Museum des Staatlichen Instituts für Musikforschung. Hier beantwortet er Ihre Fragen rund um elektronische Musikinstrumente, die „Neue Musik“ und wie viel Geld man wohl mit einer Beethoven-Geige machen könnte.

Welche Herausforderungen stellen elektronische Instrumente für eine museale Sammlung dar und sollten oder müssten die Instrumente in der Sammlung eigentlich gespielt werden?

Benedikt Brilmayer: Überraschenderweise stellen elektronische Instrumente innerhalb eines Sammlungskontextes gleich eine Vielzahl an Herausforderungen dar. Die Gründe dafür sind komplex und liegen in der spezifischen Beschaffenheit der betreffenden Objekte begründet. Bei Musikinstrumenten kommt darüber hinaus eine nicht zu unterschätzende Frage hinzu: nämlich die nach dem Spiel darauf und dem charakteristischen, ephemeren Klang, der ein bedeutender Aspekt der Identität des Objektes ist.

Klavierähnliches Tasteninstrument

Das Heliophon, Kat.-Nr. 5286, erbaut von Bruno Helberger und Peter Lertes, ca. um 1940, ist ein gutes Beispiel für die große Bandbreite an Materialien früher elektronischer Instrumente, wie beispielsweise Drähte, Röhren, Schalter, aber auch Holz und zahlreiche weitere. Darüber hinaus ist dieses Instrument ein Einzelstück und für die frühe Geschichte elektronischer Instrumente ein wertvolles Beispiel. Foto: schnepp renou

Besondere Herausforderungen des Umgangs einer Sammlung mit elektronischen Instrumenten werden zunächst durch deren charakteristische Materialität eröffnet. Die äußeren Kunststoffhüllen sowie die zahlreichen Bedienelemente an Druckknöpfen, Kippschaltern, Dreh- und Schiebereglern etc. sind dabei lediglich die Spitze des Eisberges. Wie sich zeigt, beginnen Kunststoffe rasch zu altern. Dabei sondern sie beispielsweise sogenannte Weichmacher oder Lösungsmittel ab und können innerhalb von wenigen Jahrzehnten ihre Stofflichkeit stark verändern. Das bedeutet, dass derartige Oberflächen im schlimmsten Falle bei Berührung sprichwörtlich zerkrümeln können. Bei den Schaltern und Druckknöpfen sind zudem die mechanischen Bewegungen ein Problem und besonders bei den Dreh- und Schiebereglern kann auch nur ein kleiner Rest an Schmiermittel über die Jahrzehnte zu einer Verklebung führen. Aber noch viel gravierender sind die Probleme bezüglich der Bewahrung der Elektronik im Inneren der Instrumente.

Bauelemente wie Mikrochips, aber auch einfachere Teile wie Widerstände und Batterien oder – wie in den ersten elektronischen Instrumenten aus den 1920er und 1930er Jahren – die verschiedenen Formen der Vakuumröhren stellen Sammlungen vor schier unlösbare Probleme. Einige dieser elektronischen Bauelemente bestehen aus mikroskopisch kleinen Schichten verschiedener Metalle, die über Jahre hinweg miteinander chemisch reagieren. In größerem Maßstab sind Oxidations- und Korrosionsprozesse zweier Metalle auch an Lötstellen sichtbar und führt natürlich zu Dysfunktionalitäten.

Diese hier in aller Kürze und Unvollständigkeit skizzierten Alterungsprozesse spielen sich also am und im Objekt selbst ab. Nun kommen aber noch einige zusätzliche Herausforderungen hinzu. Bei nicht elektronischen Musikinstrumenten in Sammlungen, wie Cembali, Orgeln, Violinen, Gamben, Flöten oder Blechblasinstrumenten können wir, die Sammlungsmitarbeiter:innen, auf z.T. Jahrhunderte alte Traditionen im Umgang mit Material, Werkstoffen und Werkzeugen zurückgreifen und diese in entsprechend eingerichteten Werkstätten nutzen und anwenden.

Elektronische Instrumente sind jedoch in einem industriellen Kontext gefertigt und mit Bauelementen ausgestattet, die höchst komplex und in großen Fertigungsanlagen hergestellt werden. Schon Vakuumröhren – von Mikrochips einmal ganz abgesehen – können in Restaurierungswerkstätten nicht nachgebaut werden. Das bedeutet, dass „Ersatzteile“ nicht hergestellt werden können und aufwändig gesucht werden müssen. Versucht man darüber hinaus, nur originale Bauteile (also entweder solche, die verwendet wurden, als das Objekt gebaut wurde, oder solche, die bei Umbauprozessen verwendet wurden, je nachdem, welchen Objektzustand man „wieder herstellen“ möchte) statt moderne, wird die Ersatzteilproblematik in ihrer gänzlichen Tiefe erst wirklich evident. Und bezüglich der Vakuumröhren steht man derzeit vor der absurden Situation, dass diese selbst begehrte Sammlerstücke, überwiegend von Privatsammlern historischer Rundfunkgeräte oder Elektronik im Allgemeinen sind!

Abschließend noch ein kurzes Wort zum Spiel auf elektronischen Instrumenten, um sie zu erhalten: In der Tat ist es für eine Verlängerung der Lebensdauer der oben angesprochenen Bauelemente wichtig, sie in Betrieb zu nehmen, da Stromfluss Alterungsprozesse der Elektronik-Bauteile zu verlangsamen scheint (systematische Forschungen hierzu sind kaum vorhanden und in meinen Arbeiten konnte ich mich an Materialprüfungsprozessen orientieren, wie sie in der Forschung für Medizintechnologie vorkommen). Die Schwierigkeit dabei ist allerdings, dass man ein funktionsfähiges Instrument vor sich hat, wovon man leider nicht immer ausgehen kann. Und sollte es wieder in einen funktionalen Zustand versetzt werden, müsste man zunächst eine gründliche Bestandsaufnahme und Wartung vornehmen – von der Dokumentation ganz zu schweigen. Da ein restauratorischer Umgang mit derartig komplexen Technologien sowie Geräten gerade erst gelehrt wird, die nötigen Infrastrukturen an Sammlungen aber in den seltensten Fällen etabliert sind, stellt der Umgang mit elektronischen Instrumenten im Sammlungskontext eine enorme und komplexe Herausforderung dar.

Wie waren die Reaktionen auf das Aufkommen elektronischer Klangerzeuger und der elektronischen Musik?

Benedikt Brilmayer: Die Reaktionen waren natürlich extrem unterschiedlich. Besonders interessant, wenn man die Entstehungsgeschichte überblickt, sind die Begründungen und auch die Verteilung der positiven und negativen Kritiken auf die unterschiedlichen „Gruppen“, wie Komponisten, Musiker, Forscher, (Musik- und Elektrik-)Laien usw.

Ein erstes Beispiel ist das sogenannte Telharmonium bzw. Dynamophon des U.S.-Amerikaners Thaddeus Cahill, das ab 1897 Töne durch sich drehende zahnradähnliche Walzen erzeugte. Cahill selbst sah in seinem Instrument – natürlich auch hinsichtlich einer erfolgreichen Vermarktung – eine Möglichkeit, über Telefonleitungen alle Menschen mit Musik zu versorgen. Sofern sie einen kleinen Beitrag zahlten. Und die Musik seines Instrumentes wurde von verschiedenen Kritikern ebenfalls sehr positiv aufgenommen. Oft wird pauschalisierend gesagt, dass auch der Komponist Ferruccio Busoni dieses Instrument bewunderte. Das tat er jedoch unter einer sehr präzisen Perspektive. Seine Vorstellungen von der Realisierung kleinerer Intervalle als Halbtonschritte, nämlich Drittel- und Sechsteltöne, sah er neben Gesangsstimme und Streichinstrumenten auch durch das Dynamophon umsetzbar. Die Musik, die auf dem Dynamophon gespielt wurde, umfasste überwiegend Werke der Klassik, der Romantik, aber auch zahlreiche US-amerikanische Schlager und populäre Lieder: Cahill musste ja auch wirtschaftlich denken. Dieses Beispiel zeigt nebenbei, dass die Entstehung einer dezidiert elektronischen Musik erst einige Jahre nach der Entwicklung entsprechender Instrumente einsetzte.

Als eine weitere Station kann die „Internationalen Musik-Ausstellung in Frankfurt a.M.“ im Jahr 1927 gesehen werden. Der öffentliche Rundfunk hat bereits ein Jahr zuvor seinen Betrieb aufgenommen und ist als kommende kommende Entwicklung abzusehen und Instrumentenkonstruktionen mit dieser neuartigen Technologie werden reflektierter wahrgenommen. Der Russe Lev Termen stellt anlässlich dieser groß konzipierten Ausstellung sein Instrument, das damals „Termen-Vox“ oder auch „Ätherophon“ genannt wird, einer breiten Öffentlichkeit vor. Die z.T. überschwänglich positiven Reaktionen zielen weniger auf die Musik, sondern auf die ungewöhnliche Spielweise ab. Ohne das Instrument zu berühren kontrolliert man die Tonhöhe und Lautstärke mit beiden Händen, die sich in elektromagnetischen Feldern bewegen. Außergewöhnliche Bedien- und Spielweisen waren oft ein positiv wahrgenommenes Charakteristikum neuentwickelter elektronischer Instrumente. Die kritischen Reaktionen auf das Termen-Vox allerdings gehen deutlich auf die eintönige Klangfarbe sowie das eingeschränkte musikalische Potential dieses Instrumentes ein. Auch Lev Termen spielte überwiegend klassisch-romantisches Repertoire auf seinem Instrument, das heute als Theremin bekannt ist. Seine Auftritte lösten ein regelrechtes Bastel- und Entwicklungsfieber aus und bis in die frühen 1930er Jahre stehen Komponisten, Bastler und Entwickler dieser neuen Tendenz der Erzeugung von Klängen, die zu immer besseren und komplexeren Klang-Ergebnissen führt, sehr offen gegenüber. Im Publikum, auch dem fachlich gebildeten, finden sich natürlich einige Kritiker, die der Elektronik beispielsweise einen leblosen oder maschinellen bzw. technizistischen Klang attestieren. Die neuen Potentiale aber, wurden von vielen Hörern durchaus positiv aufgenommen.

Erst nach dem zweiten Weltkrieg wird in Deutschland eine „neue“ elektronische Musik komponiert werden: im Studio für elektronische Musik des damaligen NWDR in Köln erarbeitete ein Kreis von Experten um Herbert Eimert, Robert Beyer und Werner Meyer-Eppler eine radikale neue Art von Musik, die zur Klangerzeugung und –übermittlung die Arbeit mit Tonbändern proklamierte und umsetzte. Diese Musik stieß seitens der „normalen“ Hörerschaft zunächst auf breite Ablehnung. Nicht nur die Klänge, auch die musikalische Syntax stellten Hörer:innen wie Künstler:innen vor große Herausforderungen und es dauerte einige Jahre, bis dieses Genre sich endgültig in den Kanon der Neuen Musik einreihen und darin etablieren konnte. Heute würde niemand mehr die Bedeutung von elektronischer Musik für die Musikgeschichte des 20. Jahrhunderts leugnen..

Klavierähnliches Tasteninstrument
Der legendäre und ab den 1970er-Jahren weithin verbreitete VCS 3 der britischen Firma Electronic Music Studios, revolutionierte durch seine kompakte Bauweise und vielfältiges Klangpotential die Welt der Synthesizer. In seinem Inneren sind zahlreiche elektronische Bauelemente, wie Kondensatoren, Platinen, Microchips, deren Erhaltungszustand nur schwer zu eruieren ist. Foto: schnepp renou
Schwarz-Weiß-Aufnahme eines Mannes, der mit den Händen eine Terme bedient
Lev Termen spielt sein Theremin, damals besser bekannt als Ätherophon, in einem öffentlichen Konzert 1927. Gleichsam aus dem Äther entlockt der Entwickler die Klänge aus seinem Instrument. Kritiker bescheinigten dem Klang allerdings eine eher geringe Qualität, da er sehr Sinus-lastig war und damit recht technizistisch klang. Foto: Bildarchiv des Musikinstrumenten-Museums SIM PK
Schwarz-Weiß-Aufnahme eines Mannes, der mit den Händen eine Terme bedient
Das erste öffentliche Konzert mit gleich drei Trautonien. Gespielt wurden Paul Hindemiths Sieben Stücke für drei Trautonien mit dem Untertitel Des kleinen Elektromusikers Lieblinge, die er eigens für dieses Konzert komponierte. Er selbst sitzt in der Mitte, Sala im Vordergrund und Rudolph Schmidt im Hintergrund. Das Konzert fand in der heutigen Universität der Künste statt und wurde von der Fachwelt sehr positiv aufgenommen. Foto: Bildarchiv des Musikinstrumenten-Museums SIM PK
Schwarz-Weiß-Aufnahme eines Mannes, der mit den Händen eine Terme bedient
Die vier Streichinstrumente aus dem Besitz Ludwig van Beethovens. Sie sind als Dauerleihgabe dem Beethoven-Haus Bonn überlassen und dort ausgestellt. Foto: Bildarchiv des Musikinstrumenten-Museums SIM PK.

Was ist wertvoller: eine Geige aus Beethovens Umfeld oder eine Gitarre von Jimmy Hendrix?

Benedikt Brilmayer: Derartige Fragen erreichen uns oft und werden gerne anlässlich Erläuterungen zur Stradivari-Violine in unserer Sammlung gestellt. Die Antwort? Eigentlich ganz einfach: was verstehen Sie unter „Wert“? Den reinen Geldbetrag? Den emotionalen, also auch höchst subjektiven Wert? Museen und Sammlungen führen im Grunde genommen eine permanente Diskussion um den Begriff „Wert“. Je nach Sichtweise, je nach Sammlungsschwerpunkt, je nach Arbeitsaufgabe kann sich der Wert eines Objektes sehr unterschiedlich darstellen. Für das Musikinstrumenten-Museum gehören die Streichinstrumente aus Beethovens Umfeld, die als Dauerleihgabe im Beethoven-Haus Bonn zu sehen sind, definitiv zu den wertvollsten Instrumenten.

Da wir nicht explizit zur Geschichte der Pop-Musik sammeln, hätte die Jimmy-Hendrix-Gitarre (er bevorzugte das Modell Fender Stratocaster) für uns nicht so einen hohen Wert. Für entsprechende Sammlungen und Museen, die sich der Pop-Kultur widmen, läge der Fall hier wohl genau anders herum. Welchen Geldbetrag diese Instrumente beispielsweise auf einer Auktion erzielen würden, hängt dann auch davon ab, was Sammler:innen dafür bezahlen würden und das ist eine sehr subjektive Angelegenheit.

Sammlungen und Museen diskutieren „Wert“ aber überwiegend losgelöst von pekunären Faktoren. So kann ein Sammlungsobjekt durch berühmte Vorbesitzer:innen wertvoll sein, sogar identitätsstiftend wirken. Die Namen Beethoven und Hendrix erfüllen dieses Kriterium übrigens beide, nur für sehr unterschiedliche „Zielgruppen“. Ein weiterer Faktor könnte beispielsweise aber auch die Bedeutung eines Objektes für eine bestimmte kulturelle Strömung sein. Auch kann ein Objekt wie ein Musikinstrument innerhalb mehrschichtiger Entwicklungslinien gesehen werden, nämlich dem Wandel der Musik und der Musikpraxis, aber auch des (damit verbundenen) Musikinstrumentenbaus sowie des kulturellen Austauschs verschiedener regionaler und nationaler Musik- und Instrumentenbautraditionen. Der Begriff „Wert“ ist also nicht nur sehr vielschichtig aufzufassen, sondern eben in seiner Vielschichtigkeit auch Ausdruck einer charakteristischen Perspektive auf das betreffende Objekt


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