Hat Leni Riefenstahl eine Volksgruppe im Sudan ausgebeutet? Ein kollaboratives Projekt von Ethnologischem Museum und Kunstbibliothek hat nun die Fotografierten selbst um ihre Perspektive gebeten
„700 Kisten Dynamit“, nannte SPK-Vizepräsident Gero Dimter den Nachlass Leni Riefenstahls, den die Stiftung 2018 geschenkt bekam. Bei Lichte betrachtet sind die Pappkartons mit gesammeltem und entschärftem Schriftgut, Fotografien und Filmen von Hitlers Lieblingsregisseurin nicht mehr so leicht entzündlich wie noch vor Jahren. Vieles, sehr vieles ist über Leni Riefenstahl bekannt. Auch der aktuelle Kinofilm zeigt noch einmal eine unbelehrbare Frau, die ihren Lügen selbst glaubt. Was ist nun mit dem Werk? Ganz bewusst konzentrierte sich die Forschung zunächst auf Fotografien aus dem Sudan. Dorthin war Riefenstahl nämlich in den 1960er und 70er Jahren gereist, um mit der Kamera „dem Schönen nachzujagen“ (wie sie es nannte). „Das Schöne“ waren in diesem Fall „meine Nuba“ (wie sie sie nannte), eine nord-ostafrikanische Volksgruppe, die in den Nuba-Bergen lebt.
Riefenstahl veröffentlichte zwei Bildbände mit einer Auswahl ihrer Nuba-Fotografien, die Susan Sontag in ihrem Essay „Fascinating Facism“ (1975) einerseits als Porträts von Menschen, die unberührt von der „Zivilisation“ in purer Harmonie mit ihrer Umwelt leben, beschrieb, um sie dann in den Kontext von Riefenstahls Gesamtoeuvre einzuordnen: Susan Sontag sah Riefenstahls Nuba-Bilder als drittes Tableau eines Triptychons faschistischer Kunst: vom das einsame Ich erhöhenden Kampf mit den Elementen in den Bergfilmen über die ästhetisierten Naziaufmärsche in „Triumph des Willens“ zu den exotistisch in Szene gesetzten, physisch perfekten Kämpferkörpern ursprünglicher Nuba-Krieger. Und auch „Der Spiegel“ teaserte 1976 seine Besprechung der Bildbände unter dem Titel „Blut und Hoden“ mit dem Satz „Vom schwarzen Korps der SS zu den schwarzen Körpern der Nuba“ an.
Portrait von Dawud Kuku Londi aus Kau mit der charakteristischen Haargestaltung und Gesichtsbemalung, die den Armring-Kämpfern vorbehalten ist. Die Identifikation des Mannes erfolgte durch den Ortsvorsteher aus Kau in der kollaborativen Forschung. Kau, 1975 © Staatliche Museen zu Berlin, Kunstbibliothek / Nachlass Leni Riefenstahl
Andere Kontexte führen zu anderen Bedeutungen
Soweit der westliche Blick, genauer gesagt, der westliche Blick des vergangenen Jahrhunderts, zu prä-postkolonialen Zeiten. 2024 lautet die Frage, wie eigentlich die fotografierten Nuba die Sache sehen – auch als Dynamit? Fühlen sie sich objektifiziert? Um das herauszufinden und sich dem Riefenstahl-Nachlass auf neue Art zu widmen, haben Kunstbibliothek und Ethnologisches Museum das von BKM geförderte Projekt „Rassismus – Kolonialismus – Faschismus? Deutsch-Sudanesische kollaborative Erschließung und Präsentation des Nuba-Werks von Leni Riefenstahl“ ins Leben gerufen, dessen Ergebnisse Ende Oktober auf einem Symposium diskutiert wurden.
Allein die Keynote von Dr. Guma Kunda Komey Kalo vom Pan-Nuba Council machte klar: der Kontext ist wichtig und in diesem Fall ist es die verheerende politische Lage im Sudan. Abgesehen von Hunger, Bürgerkrieg und Vertreibung muss die ethnische Gruppe der Nuba gegen Ausgrenzung und Marginalisierung. kämpfen. Das Kollaborationsprojekt zu den Riefenstahl-Fotos sei ein Mehrwert in diesem Kampf der Nuba, da es diese als Akteur*innen und Besitzende der eigenen Geschichte und Gegenwart anerkenne. Das Projekt sei ein Meilenstein im Kampf der Nuba um ein kollektives Gefühl von Einheit, Zugehörigkeit und einem würdigen gesellschaftspolitischen Schicksal, so Guma weiter.
Die Nuba sehen Riefenstahls „Kunstfotografien“ als ethnologische Zeugnisse, die ihre Geschichte und materielle Kultur und teilweise bereits vergessene kulturelle Praktiken zeigen und somit zu ihrer Identitätsbehauptung als eigenständige ethnische Gruppe beitragen. Riefenstahl selbst sahen die Nuba übrigens als „sonderbare Großmutter“ an. Als ihnen allerdings klar wurde, dass die „sonderbare Großmutter“ sie fotografierte, fühlten sie sich ausgebeutet. Mittlerweile steht die Frage nach Kompensation für diese Ausbeutung im Raum.
Von passiven Objekten zu Akteur*innen
Natürlich hat Riefenstahl die Nuba damals ohne Einverständniserklärung oder irgendeinen Hauch der Idee von Recht am eigenen Bild fotografiert. Hätten die Nuba damals einen Datenschutzbeauftragen gehabt, wäre er eingeschritten. Und natürlich muss der Umgang mit den Riefenstahl-Bildern darum heutzutage unter ethischen Gesichtspunkten erfolgen. Als allererstes geht es darum, die Bilder an die Fotografierten zurückzugeben – und neue Bedeutungen zu kreieren. Teil des Projektes war eine Pop-Up-Ausstellung mit den Nuba-Bildern in Uganda im Mai dieses Jahres – eine Premiere, die Bilder waren noch nie in Afrika ausgestellt worden. Und der Höhepunkt des Berliner Symposiums war die Rückgabe aller Nuba-Fotografien in digitalisierter Form.
Identitätsbildend sind die Nuba-Bilder von Leni Riefenstahl übrigens in beiden Kontexten wie Ethnologe und Sudan-Experte Kurt Beck betonte: nicht nur die Nuba im Kampf gegen Marginalisierung, auch die nachkriegsdeutsche Gesellschaft mit ihrer repressiven Sexualmoral habe sich durch die exotistischen Fotos der „edlen Wilden“ ihrer selbst vergewissern können – nicht zuletzt, weil diese meist nackt waren.
Nicht nur in dieser Hinsicht wäre übrigens eine weiterer Perspektivenvergleich sehr interessant: In der Sammlung des bpk befindet sich der Nachlass einer anderen westdeutschen Frau, die in den 1970ern mit der Kamera in einem afrikanischen Land unterwegs war (wenn auch im Senegal): Leonore Mau. Diese sagte über Riefenstahls Nuba-Bilder übrigens, sie finde diese eigentlich zu schön.
Weiterführende Links
- Projekt zum Riefenstahl-Nachlass
- Symposium „Discussing the Project ‚Nuba Images by Leni Riefenstahl‘“
- Website des Pan-Nuba Council
- Zur derzeitigen politischen Lage im Sudan
- Blogbeitrag: Im Hexenhäuschen: Zu Besuch bei Leni Riefenstahl
- Der aktuelle Kinofilm „Riefenstahl“
- Interview: Die Neuentdeckung der Leonore Mau