Mit dem Forschungsprogramm „4A Lab“ erreicht der Klimawandel die Museen – und die SPK wird für internationale Wissenschaftler erst so richtig interessant.
Mais, Tomaten, Getreide: Wenn Bat-ami Artzi durch die riesigen Depots des Ethnologischen Museums stöbert, dann ist sie auf der Suche nach Pflanzen, genauer: nach Abbildungen von Pflanzen, mit denen die Inka und die Chimu, die großen Andenvölker, ihre Gefäße geschmückt haben, Vasen, Krüge, Schalen. Tausende solcher Gefäße befinden sich in den Beständen des Ethnologischen Museums – eine wahre Fundgrube ist das für die junge israelische Kunsthistorikerin. „Schriftliche Zeugnisse aus der Zeit der Inka und Chimu gibt es keine, darum helfen uns Pflanzenbilder, das Leben dieser Völker zu verstehen“, sagt sie. Bat-ami Artzi hat viele Fragen: Wie wurden die Gefäße damals genutzt? Für ein bestimmtes Ritual? Bei der Arbeit? Welche Botschaft halten sie für uns bereit? Und welche Bedeutung hatte eigentlich Mais? Wie wurde er gezüchtet und angebaut? Und was verrät das über die Menschen damals, ihre Lebensbedingungen und ihr soziales Gefüge?
Wer Bat-ami Artzi zuhört, dem wird schnell klar: Ihre Forschung ist nicht auf Kunstgeschichte beschränkt – sie berührt auch andere Disziplinen: Archäologie sowieso und auch die Anthropologie, genauso wie die Ästhetik oder die Botanik. Und wenn sie wissen möchte, ob dieses oder jenes Gefäß eigentlich von Frauen oder Männern verwendet wurde und warum und wie, dann wird sie auch zur Genderforscherin. Die Disziplinen der Wissenschaft treten bei ihr also in einen Dialog, die starren Grenzen der Fächer werden überwunden, und es entsteht etwas Neues, eine neue Erkenntnis.
Das ist der Grund, warum Bat-ami Artzi in das Stipendienprogramm „4A Lab“ aufgenommen wurde, ein Forschungsprojekt, das herausragende Nachwuchswissenschaftlerinnen und Nachwuchswissenschaftler für einen Zeitraum von jeweils neun Monaten bis maximal zwei Jahre nach Deutschland bringt, vor allem nach Berlin. Dabei stehen die vier „A“ für Art Histories, Archeologies, Anthropologies, Aesthetics (Kunstgeschichte, Archäologie, Ethnologie und Ästhetik). In der Villa Parey im Tiergarten ist die Koordinierungsstelle der internationalen Forscher untergebracht. „4A Lab“ ist eine Kooperation bedeutender Organisationen: des traditionsreichen Kunsthistorischen Instituts in Florenz (KHI) und der Stiftung Preußischer Kulturbesitz (SPK) mit all ihren fünf Einrichtungen – plus der Humboldt-Universität zu Berlin und dem Forum Transregionale Studien. Zusammen bilden sie das, was die Gründer von „4A Lab“ einen „experimentellen Dialograum“ nennen.
Jeder Partner bringt sein Bestes ein: Das Kunsthistorische Institut in Florenz steht für herausragende Spitzenforschung. Es hat schon im 19. Jahrhundert deutsche Kunsthistoriker in die Renaissancestadt geführt und gehört längst zur Max-Planck-Gesellschaft. Das KHI ist innovativ: Sein Schwerpunkt liegt auf der transkulturellen kunsthistorischen Forschung. „Wichtig ist uns, Kunstgeschichte nicht nur aus europäischer Perspektive zu betrachten. Wir wollen aus unterschiedlichen Richtungen auf die ästhetischen und kulturellen Phänomene dieses Fachs und verwandter Disziplinen schauen“, sagt Hannah Baader, die seit vielen Jahren am KHI forscht und „4A Lab“ wissenschaftlich verantwortet. Sie ist es vor allem, die die jungen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler intensiv betreut und sie begleitet - in den Botanischen Garten nach Dahlem genauso wie zum Frankfurter Kunstverein an den Main. Mit den Stipendiaten will sie Workshops und Seminare organisieren, Plattformen schaffen. „Wir teilen unser Wissen“, sagt sie.
Der andere große Partner des neuen Stipendiaten- und Forschungsnetzwerks ist die Stiftung Preußischer Kulturbesitz - das sind also über die Staatlichen Museen hinaus auch die anderen vier Institutionen, deren Vertreterinnen und Vertreter jetzt zusammenkamen, um die jungen Forscher des „4A Lab“ willkommen zu heißen und ihre Freude über die künftige Zusammenarbeit zu zeigen. „Mit dem Programm erreichen wir neue Dimensionen: Wir werden noch größer, noch breiter, noch internationaler“, sagte Hermann Parzinger, Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, beim Treffen in den schlichten Räumen des Instituts für Musikforschung. Das Programm biete die „Riesenchance“, junge Nachwuchskräfte an die SPK zu binden, und neues Wissen aus den Berliner Beständen zu erschließen, sagte Parzinger. „4A Lab“ macht die SPK international noch sichtbarer. Schließlich bietet Berlin mit seinen Sammlungen, Archiven, Bibliotheken und Universitäten eine einzigartige Forschungsinfrastruktur, die für internationale Wissenschaftler höchst attraktiv ist. Ein Aspekt war Parzinger besonders wichtig: „Wir wollen nicht nur Gastgeber sein, wir wollen von Ihnen lernen.“
Denn „4A Lab“ hat Modellcharakter. Indem es die Grenzen nicht nur der Regionen, sondern vor allem der Disziplinen und schließlich sogar der Organisationen und Einrichtungen überschreitet, geht es neue Wege. Dazu gehört sein Anspruch, auch gesellschaftlich relevant zu sein. Denn zum Thema hat es in diesem und nächsten Jahr „Pflanzen“, verbunden mit ökologischen Fragen – und trifft damit den Kern der Zeit. Angelehnt an die „environmental humanities“ entstehen neue, eigene Zugänge zum Klimawandel, entstehen neue Erzählungen zu Umwelt und Umweltschutz: Ohne Pflanzen können wir unseren Lebensraum nicht bewahren. Pflanzen geben uns Nahrung und bieten Erholung, sie verlangsamen die Erderwärmung – und sind Teil der Geschichte des Anthropozäns, jener Epoche, in der der Mensch die Natur endgültig seiner Macht unterworfen hat. In einer Zeit, in der sich Museen und Archive auch in Berlin in einem Prozess des Umbruchs befinden, sich öffnen und sich stärker für ihr Publikum interessieren, lädt „4A Lab“ ein zur aktuellen Debatte. Kurzum: Das Projekt macht Museen und Archive zu Orten des gesellschaftlichen Dialogs.
Pflanzen sind – wie in unserer Kultur – seit je auch in unseren Museen und Archiven präsent. Sind nicht gar die Leinwände der Gemälde aus Leinen? Der „Middelburger Altar“ des niederländischen Malers Rogier van der Weyden, der um 1450 entstand, kommt jedenfalls ohne Holz nicht aus. Und ohne Pilze! Oben, auf dem Dach des Stalls, hat sie Lucas Vanhevel, einer der „4A Lab“-Stipendiaten entdeckt, als er die Bestände der Gemäldegalerie erforschte. Warum gerade Pilze auf einem Bildnis zu Christi Geburt? „Weil Pilze viele Jahrhunderte lang für das Modell der spontanen Fortpflanzung standen“, erklärt Vanhevel, ein Spezialist für die kulturhistorischen Dimensionen dieser Geschöpfe. Das interessiert den Kunsthistoriker: Seit wann weiß man eigentlich, dass Pilze mit den Pflanzen nur verwandt sind? Warum finden sie viele Menschen unheimlich, gar mystisch? Und welche Rolle spielten einst die Maler, um naturwissenschaftliches Wissen zu generieren? Vanhevel schwärmt von dem riesigen Forschungsmaterial, das die Berliner Archive bieten, von den botanischen Handbüchern, den Kupferstichen und Zeichnungen. Und findet überall: Pilze. Speisepilze, Giftpilze, psychedelische Pilze.
So öffnet uns „4A Lab“ die Augen. Fast könnte man sagen: So werden Pflanzen zum roten Faden, der sich durch die Berliner Depots, Archive und Ausstellungssäle zieht. Und zur Klammer. Mit dem frischen Blick der jungen Forscherinnen und Forscher, mit ihrem Blick von außen, werden neue Interpretationen der Sammlungen möglich und alte Gewissheiten in Frage gestellt, gerade auch strukturelle. Barbara Göbel, Direktorin des Ibero-Amerikanischen Instituts, sagte es beim Treffen mit den Stipendiaten so: „Es ist Ihre Aufgabe, uns Berliner zu stören!“