Der Reformer

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Klaus-Dieter Lehmann, geboren 1940, ist Kulturmanager und Bibliothekar. Nach seiner Zeit als Generaldirektor der Deutschen Bibliothek war er von 1998 bis 2008 Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz und anschließend bis 2020 Präsident des Goethe-Instituts.

© SPK / Urban Ruths

Anno 2008 bestieg ein Bayer den imaginären Preußenthron als Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz. Nicht in seiner Berufskleidung als Archäologe mit offener Hemdenbrust und Spaten, sondern korrekt in feinem Tuch und dem Laptop in der Aktentasche.

Hermann Parzinger, der Mann, der aus der Steppe kam und zum Enkel von Heinrich Schliemann stilisiert worden war, entschied sich, sesshaft zu werden. Er übernahm die Verantwortung für eine Einrichtung mit 16 nationalen Museen, der Staatsbibliothek, dem Geheimen Staatsarchiv, dem Ibero-Amerikanischen Institut und weiteren Forschungseinrichtungen und sollte ein modernes Deutschlandbild der Kunst und Kultur schaffen.

Erstmals hatte sich Hermann Parzinger 1992 von München aus auf den Weg gemacht, um in Frankfurt für die Römisch-Germanische Kommission zu arbeiten. Aber nachdem er erst einmal die Mainlinie überschritten hatte, gab es kein Halten mehr.

Schon 1995 finden wir ihn in Berlin. Dort leitete er erfolgreich als Gründungsdirektor die Eurasienabteilung des Deutschen Archäologischen Instituts (DAI), 2003 übernahm er die Leitung der gesamten Einrichtung. Auch wenn er jetzt vor allem seine kulturund wissenschaftspolitischen Fähigkeiten einsetzen musste, so hat er auch als Präsident des DAI seine eigenen wissenschaftlichen Arbeiten weitergeführt.

Hermann Parzinger kam als hoch dotierter Wissenschaftler in das Amt des Stiftungspräsidenten, Leibniz-Preisträger, ausgezeichnet mit zahlreichen Ehrendoktorwürden und Akademiemitgliedschaften, versiert in zehn Fremdsprachen, vertraut mit der Welt. Es war für ihn ein Bekenntnis zu einer gesamstaatlichen Verantwortung und zugleich die Überzeugung, Text- und Bildkultur der preußischen Sammlungen aufeinander zu beziehen und in einem
sinnvollen Kontext zusammenzuführen.

Das Zusammenspiel der drei Sparten – Museen, Bibliotheken, Archive – unter einem Dach sah er als große Chance für die Zukunft, insbesondere für die Entwicklung als außeruniversitäre Forschungseinrichtung. Dazu musste ein Weg gefunden werden, der die Trägerschaft von Bund und Ländern sowohl hinsichtlich der strukturellen als auch der finanziellen Verantwortung einforderte.

Das Zusammenspiel der drei Sparten – Museen, Bibliotheken, Archive – unter einem Dach sah er als große Chance für die Zukunft

Lehmann über Parzinger

Die Stiftung Preußischer Kulturbesitz wurde 1957 mit Sitz in West-Berlin errichtet, um die verstreuten kulturellen Sammlungen des ehemaligen Landes Preußen zu sichern. Für den Ostteil Berlins blieb die Zuordnung bei der Zentralregierung der DDR. Erst die Wiedervereinigung ermöglichte die Zusammenführung der geteilten Sammlungen. Nach einer intensiven Verhandlungsphase einigten sich Bund und alle 16 Länder auf eine gemeinsame Trägerschaft.

Beschlossen wurde die Belegung der Museumsinsel mit den archäologischen Sammlungen und den abendländischen Kulturen bis 1900, der Ausbau des Kulturforums für die Moderne und die überzeugende Struktur für die Staatsbibliothek mit den beiden Häusern Unter den Linden und an der Potsdamer Straße.

Die seit Jahren beklagte chronische Unterfinanzierung der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, die nach der Wiedervereinigung noch einschneidender wurde, war dabei ein wesentliches Hindernis, die großen Potenziale der Sammlungen zu erschließen, die einzigartigen Kunstschätze erfolgreich für die Öffentlichkeit zu vermitteln und die internationale Sichtbarkeit durch tragfähige Kooperationen zu stärken. Es galt, den gefesselten Riesen zu befreien.

Trotz aller Bemühungen blieben die öffentlichen Kassen klamm, und damit jener finanzielle Schub aus, der notwendig gewesen wäre, um die eingeschränkte Funktionsfähigkeit zu beheben.

2020 nahm sich der Wissenschaftsrat des Themas an und verabschiedete die Strukturempfehlungen zur Stiftung Preußischer Kulturbesitz. Das Gremium sprach von der »Dysfunktionalität der Verwaltung« in der Stiftung und sah in der Zerschlagung der Strukturen das Heil für eine gesicherte Entwicklung. Die chronische Unterfinanzierung war auch für den Wissenschaftsrat ein massives Defizit.

Für Hermann Parzinger war die Vorstellung, die Stiftung aufzuteilen, völlig inakzeptabel. Er wies auf die erstaunliche Weitsicht der Stifter von 1957 hin, die für ihn uneingeschränkt gültig ist: »Die in Generationen aufgebauten Sammlungen in Archiven, Bibliotheken und Museen ergänzen sich gegenseitig und ergeben ein kulturelles und geistesgeschichtliches Gesamtbild. Ein Zerreißen des organischen Zusammenhangs ist unbedingt zu vermeiden.« Kultur in diesem Sinn braucht Wissen, braucht Bildung, braucht Geschichte und Tradition. Zukunft braucht Herkunft, hat der Philosoph Odo Marquard einmal formuliert.

Hermann Parzinger konnte durch sein intensives Werben, seine schlüssige Argumentation und sein taktisches Geschick nicht nur Bund und Länder überzeugen, sondern auch nach innen eine klare Position für den Zusammenhalt erreichen. Das war eine schwierige Phase, in der die Fliehkräfte die Gesamtverantwortung ansonsten zerstört hätten.

Mit seinen beeindruckenden Nehmerqualitäten hat er die Stiftung in der Krise zusammengehalten. Als Judokämpfer mit dem Schwarzen Gürtel hat er offensichtlich gelernt, sich auf den Gegner einzustellen, ihn zu beschäftigen, abzuwarten und im entscheidenden Moment zu handeln. Judo heißt übersetzt Siegen durch Nachgeben. Das bedeutet nicht aufgeben, sondern auf die Chance zu warten. Dazu gehören das eigene Selbstvertrauen und die Bereitschaft sich auf den Anderen einzustellen.

Diese Eigenständigkeit und Unabhängigkeit zeichnen ihn aus. Sein Engagement für Kultur und Wissenschaft war geprägt von dem Bewusstsein, dass nicht alles den Gesetzen des Marktes und des Nützlichen unterworfen werden kann, dass es Gegenwelten geben muss, die Kreativität, Fantasie und Wissen fördern. Es war ihm wichtig, eine Begegnung mit allen Kulturen der Welt zu ermöglichen, kulturvergleichende Perspektiven zu eröffnen.

Mit seinen beeindruckenden Nehmerqualitäten hat er die Stiftung in der Krise zusammengehalten

Lehmann über Parzinger

Und nicht nur das! Er hat auch den Willen geweckt, den Erneuerungsprozess in die eigene Hand zu nehmen. Der Reformprozess ist eingeleitet. Er soll mehr Eigenständigkeit für die einzelnen Einrichtungen bringen, soll Querverbindungen untereinander ermöglichen und er soll strategisch gemeinsam formulieren.

Die Einsicht hat sich durchgesetzt, dass ein Auflösen des Verbundes zwar gute einzelne Museen und Institute schafft, aber das Gesamtpotenzial als internationaler Player wahrgenommen zu werden, verloren geht. Mit der voranschreitenden Digitalisierung, mit der Verbindungen zwischen den unterschiedlichen Kultursparten hergestellt werden, lassen sich vielfältige neue Erkenntnisse und Synergieeffekte erzielen.

Die Stiftung Preußischer Kulturbesitz hat die ersten Schrittfolgen geleistet, um aus einer Kulturbürokratie einen Kulturbetrieb zu machen: mehr Autonomie der Museen, schnellere Handlungsfähigkeit der Einrichtungen, gezieltere Marketingmaßnahmen und insgesamt flachere Hierarchien. Es ist ein mühevoller Weg, dessen Ende auf das Jahr 2030 ausgerichtet ist. Die Stiftung wird wohl in einer permanenten Reform bleiben.

Aber ein Reformprozess wird erst dann wirklich erfolgreich sein, wenn die Finanzierung durch einen deutlichen Aufwuchs gesichert ist und wenn die derzeit gültige Bundeshaushaltsordnung mit ihrer kleinteiligen Kameralistik ersetzt wird durch einen Globalhaushalt, der Spielräume für eine moderne Haushaltsführung durch eine Eigenverantwortlichkeit ablöst.

So eindrucksvoll der Bauetat auch ist – für Erwerbungen, Ausstellungen, Forschung und Bauunterhalt sind kaum Mittel da. Das ist jetzt die Aufgabe der Politik, die Verantwortung von Bund und Ländern, für adäquate Ressourcen zu sorgen.

Ein erster Schritt ist durch das neue Finanzierungsabkommen gemacht.

Die Stiftung wird wohl in einer permanenten Reform bleiben

Klaus-Dieter Lehmann


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