Der Brückenbauer. Illustration: Kitty Kahane

Der Brückenbauer

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Lars-Christian Koch; Foto: SPK/Photothek/Thomas Köhler

Lars-Christian Koch ist Musikethnologe und seit 2019 Direktor des Ethnologischen Museums und des Museums für Asiatische Kunst

© SPK / Photothek / Thomas Köhler

Das Humboldt Forum war ganz sicher eines der zentralen Projekte der Präsidentschaft Hermann Parzingers. Kaum im Amt, unternahm er gleich mehrere Reisen u. a. an die Nord-West-Küste des amerikanischen Kontinents. Er traf sich mit Vertretern indigener Gruppen, mit denen wir im Ethnologischen Museum bereits eng zusammenarbeiteten. Schnell wurde ihm klar, was von ethnologischen Ausstellungen in der heutigen Zeit erwartet wurde und was das Humboldt Forum leisten musste. Keine große Herausforderung für einen Archäologen wie ihn, der in der Welt unterwegs war und oft genug mit Menschen vor Ort leben und verhandeln musste. Das ist der Arbeit eines Ethnologen nicht unähnlich. Auch wenn das Trinken von Stutenmilch für ihn kein kulinarisches Highlight war, so blieb ihm doch die Gastfreundschaft zentralasiatischer Nomaden in lebhafter Erinnerung.

Diese ganz praktischen Erfahrungen mit der Welt machten es ihm einfach, unsere Ausstellungskonzepte für das Humboldt Forum nachvollziehen zu können. Wenn er unsere Partnerinnen und Partnern traf, agierte er auf eine wunderbare Weise verbindend. Ab Mitte 2015 wurde er dann gemeinsam mit Neil MacGregor und Horst Bredekamp von Kulturstaatsministerin Monika Grütters als Gründungsintendanz installiert. Es starteten umgehend intensive Planungsgespräche für Ausstellungskonzepte und Veranstaltungsformate.

Ich kann mich noch gut an die ersten Sitzungen mit den Ausstellungsgestaltern erinnern, in denen Hermann Parzinger mich fragte, warum sich die Bereiche der Musikethnologie lediglich auf Musikinstrumente fokussieren. Ich konnte es ihm nicht erklären, weil wir in die damaligen Planungen nur wenig eingebunden waren. Mit seiner Hilfe wurde dann beschlossen, eine komplette Neuplanung anzugehen, aus der dann der Hörraum im Humboldt Forum hervorging. Diese schnellen Reaktionen habe ich an ihm sehr zu schätzen gelernt. Bei der Ausgestaltung dieser Räume ließ er einem dann aber weitgehend freie Hand, was von großem Vertrauen zeugt.

Als ich im Winter 2016/17 eine Gastprofessur an der University of Chicago inne hatte, erreichte mich zum Ende meines Aufenthalts eine Mail des Präsidenten. Hermann Parzinger bat mich, gleich nach meiner Rückkehr an einem Termin zum Humboldt Forum teilzunehmen. Es ging um die Ersteinrichtung des neuen Hauses. Die Debatte um Fragen des Postkolonialismus wurde immer harter geführt, wir mussten im entstehenden Humboldt Forum Antworten darauf finden, und zwar mit Ausstellungsmodifikationen und neuen Kommunikationsstrategien.

Ein wichtiger Schritt war es, das Humboldt Forum mit dem Forschungscampus Dahlem (FCD) zu verbinden – eine Idee Hermann Parzingers

Lars-Christian Koch

Hermann Parzinger zeigte sich hier sehr offen und beweglich, verlor darüber aber nie sein politisches Gespür und blieb gegenüber dem öffentlichen Druck standhaft. Die langen, oft kontroversen Diskussionen zur Bedeutung des Kolonialismus in den Ausstellungen hinter der nicht minder kritisierten Schlossfassade des Humboldt Forums führten auch innerhalb der Gründungsintendanz zu unterschiedlichen Meinungen.

Mit Hermann Parzinger waren wir uns einig, dass die Antwort auf die heftigen Debatten nur in einer enger werdenden Zusammenarbeit mit internationalen Partner-Institutionen aus Herkunftsländern bestehen konnte. So entstanden die Ausstellungen zu den Sammlungen aus Namibia, Indien (Naga), den Vereinigten Staaten (Omaha, Haida) u. a. Das Museum für Asiatische Kunst konnte den Star-Architekten und Pritzker-Preisträger Wang Shu gewinnen, einen Kubus-Raum im dritten Obergeschoss zu gestalten. Hermann Parzinger überzeugte das Kuratorium Preußischer Kulturbesitz, dieses großartige Projekt zu finanzieren. All dies machte schon deutlich, in welche Richtungen sich die Museen in Zukunft bewegen werden.

Ein wichtiger Schritt war es, das Humboldt Forum mit dem Forschungscampus Dahlem (FCD) zu verbinden – eine Idee Hermann Parzingers. Heute hat sich der FCD in der Wissenschaft und Stadtgesellschaft etabliert und bildet eine wichtige Basis für die Zusammenarbeit innerhalb der Stiftung (Museum Europäischer Kulturen, Institut für Museumsforschung, Ibero-Amerikanisches Institut, Kunstbibliothek, Rathgen Forschungslabor) und mit universitären Einrichtungen wie der Freien Universität Berlin. Die Anschlussfähigkeit des FCD an die internationale kollaborative Arbeit des Ethnologischen Museums und des Museums für Asiatische Kunst ist mehr als offensichtlich. Wir sind für künftige Aufgaben gut gerüstet!

So gelungen die Ausstellungen im Humboldt Forum auch waren, die Restitutionsdebatte nahm an Schärfe zu. Uns war klar, dass es zur Eröffnung der Ostspange ein klares Zeichen in diese Richtung geben musste. Die Benin-Bronzen wurden zum Symbol. Hermann Parzinger führte zusammen mit dem Auswärtigen Amt und nigerianischen Partnern intensive Gespräche über die Möglichkeit der Restitution. Trotz Corona verliefen die Verhandlungen sehr erfolgreich und wir konnten eine Benin-Ausstellung eröffnen, die in nur sechs Monaten neu konzipiert und mit Objekten ausgestattet war, die nunmehr Nigeria gehörten. Weitere wichtige Restitutionen sollten bis heute folgen.

Die SPK ist damit international zu einer Vorreiterin der Restitutionspraxis geworden, was maßgeblich Hermann Parzingers Verdienst ist. Die Eröffnung des Ost-Flügels des Humboldt Forums im September 2022 mit mehr als 80 internationalen Partnern markierte einen Neubeginn in unserer Arbeit. Wir konnten mit unseren Partnern intensiv über die Zukunft ethnologischer und kunsthistorischer Museen diskutieren. Hermann Parzinger beteiligte sich daran mit großer Begeisterung. Dies führte schließlich zur Etablierung der Global Cultural Assembly GCA, die heute einige Projekte im Humboldt Forum begleitet und einen eigenen Präsentationsraum eingenommen hat. Kurz nach der Eröffnung des Ostflügels fuhren wir gemeinsam in den Senegal zu einer Tagung afrikanischer und europäischer Museen.

Verabredet und inzwischen auch finanziert wurde ein EU-Projekt, das unseren afrikanischen Kolleginnen und Kollegen neue Rahmenbedingungen in der Museumarbeit bieten wird. Und auch das ab 2023 initiierte Format Kollaboratives Museum (CoMuse), das bisher 40 Kooperationsprojekte unterschiedlicher Ausprägung und Größe vereint, weist in eine neue Richtung. Die Ziele des dreijährigen Projekts sind die Intensivierung der Dekolonisierung und Diversifizierung aller Aspekte der sammlungsbasierten Museumsarbeit, um Grundlagen zu schaffen für eine zukünftig stärker ausgerichtete kollaborative Museumsarbeit.

Die Eröffnung des Ost-Flügels des Humboldt Forums im September 2022 mit mehr als 80 internationalen Partnern markierte einen Neubeginn in unserer Arbeit.

Lars-Christian Koch

Angestrebt wird in diesem Format die größtmögliche Transparenz von Sammlungen, Dokumenten und Wissensstrukturen und ihre damit verbundene Zugänglichkeit für interessierte Stakeholder und Communities, insbesondere auch für Partner*innen in den Herkunftsländern. CoMuse ist der Weg in eine ebenso zeitgemäße wie zukunftsweisende Arbeitsweise für unsere Sammlungen. Für kollaborative Arbeit in diesem Umfang ist unter anderem ein gut funktionierendes Residency-Programm, das sich an unterschiedliche Stakeholder und Fachebenen richtet, notwendig. Hier konnten wir in den letzten Jahren viele internationale Gäste willkommen heißen.

Hermann Parzinger hat sich für das Humboldt Forum als Brückenbauer erwiesen und hat die Museen bestärkt und unterstützt, neue Wege zu gehen. Das alles verdient größten Respekt und Dank.


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