Der FreundChristoph Markschies über Hermann Parzinger

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Gehen zwei Wissenschaftler in der Münchner Ludwigstraße auf einen Kaffee und gründen ein Cluster: Der Präsident der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschatten schreibt über Treffen, die nie folgenlos blieben

Es gibt, wenn ich recht sehe, weder im Kreis derer, die große Wissenschafts- oder Kulturinstitutionen leiten, noch in der Gruppe der herausragenden Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler dieses Landes irgendjemanden, der eingehende elektronische Post so zügig beantwortet wie Hermann Parzinger.

Andere brauchen Stunden und Tage. Manche antworten überhaupt nur, wenn man mahnt oder drängelt. Und wieder andere reagieren nie. Parzinger antwortet meist innerhalb weniger Minuten, spätestens nach ein paar Stunden, eigentlich immer am selben Tag. Er antwortet knapp und präzise. Aber auch auf die Person bezogen, der er antwortet. Wenn er geantwortet hat, bleibt einem meist nur der kurze Satz: »So sehe ich das auch«.

Weil eigentlich alles gesagt ist. Und so spart die zügige Reaktion auch anderen Zeit. Könnte ihnen dazu helfen, auch so zügig zu antworten. Könnte.

Ihn zeichnen Einfühlungsvermögen, Präzision, Tempo und Zuverlässigkeit aus.

Christoph Markschies über Hermann Parzinger

Porträt eines Mannes

Christoph Markschies wurde 1962 in Berlin geboren, studierte Evangelische Theologie, klassische Philologie und Philosophie in Marburg, Jerusalem, München und Tübingen, promovierte 1991 und habilitierte sich 1994. Von 2006–2010 war er Präsident der Humboldt Universität zu Berlin, seit 2020 ist er Präsident der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften.

Foto: Pablo Castagnola

Warum beginne ich meinen Beitrag mit einem scheinbar so nebensächlichen Detail? Ich beginne so, weil das Detail nicht nebensächlich ist. Es illustriert an einem Beispiel, was Hermann Parzinger in allen seinen Tätigkeiten, in denen ich mit ihm zu tun hatte, ausgezeichnet hat und auszeichnet: Einfühlungsvermögen, Präzision, Tempo und Zuverlässigkeit.

Und das alles in einer ungewöhnlichen Intensität. Schon unser erstes Zusammentreffen war von diesen vier Eigenschaften geprägt. Wir trafen uns 2006 auf der jährlichen Versammlung der Mitgliedsinstitutionen der Deutschen Forschungsgemeinschaft in München. Parzinger schlug vor, auf der Ludwigstraße einen Kaffee zu trinken und kam ohne viel Umschweife zu seinem Thema: Die beiden Berliner Universitäten in Dahlem und Unter den Linden müssten sich annähern, um gemeinsam ein altertumswissenschaftliches Cluster im nächsten Exzellenzwettbewerb auf die Beine zu stellen.

Wir kannten uns vorher nicht, aber offenkundig wusste Herman Parzinger nach wenigen Momenten Gespräch bei den Sitzungen und im Foyer, dass er für sein Anliegen einen Verbündeten gefunden hatte. Nach meiner Erinnerung dauerte das Kaffeetrinken gar nicht furchtbar lange, fand in einer kurzen Sitzungspause statt, aber der Ortswechsel an die Ludwigstraße war eine der Voraussetzungen für den Erfolg des Treffens, der dort verabredeten nächsten Schritte und  damit vielleicht auch des gemeinsamen altertumswissenschaftlichen Clusters.

Wieder könnte man ein Treffen in einem Münchener Café auf der Ludwigstraße für ein eher nebensächliches Detail halten, aber für einen früheren Studenten der Ludwig-Maximilians-Universität (Vor- und Frühgeschichte, Provinzialrömische Archäologie und mittelalterliche Geschichte) und geborenen Münchener ist die Ludwigstraße natürlich überhaupt nicht nebensächlich.

Damals musste man noch, um diese Straße in institutioneller Hinsicht zu überqueren und als Student der Universität ein Buch in der Bayerischen Staatsbibliothek zu entleihen, nachweisen, dass in der Universitätsbibliothek das gewünschte Buch nicht vorhanden war – wir befanden uns zu Beginn der achtziger Jahre des letzten Jahrhunderts noch nicht im Zeitalter der digitalen Kataloge, die bequem vom häuslichen Schreibtisch einzusehen sind. Theoretisch hätten Hermann Parzinger und ich uns bei solchen Gängen Anfang der achtziger Jahre begegnen können, da studierten wir beide in München. Aber mich interessierte die Archäologie damals noch weniger und klassische Philologie, Philosophie wie Theologie den späteren Kollegen und Freund damals vermutlich nicht die Bohne.

Nach dem folgenreichen Kaffeetrinken an der Ludwigstraße habe ich an vielen Orten und in verschiedensten  Zusammenhängen Hermann Parzinger kennenlernen können und viele weitere Beispiele für Einfühlungsvermögen, Präzision, Tempo und Zuverlässigkeit erleben dürfen.

Vor allem aber hat mich beeindruckt, wie da jemand Wissenschaft und Kultur bzw. Wissenschaftsmanagement verbindet – bis Frühjahr 2008 als Präsident des Deutschen Archäologischen Instituts und danach all’ die Jahre als Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz.

Ich weiß, wovon ich rede: Ab 2008 haben wir etwas über zwei Jahre gemeinsam Verantwortung für das entstehende Humboldt Forum getragen und dann, nach meinem Ausscheiden aus dem Amt als Präsident der Humboldt-Universität, ab 2011 fünf Jahre gemeinsam mit der Assyriologin Eva Cancik Kirschbaum zunächst für das Berliner Antike Kolleg, einen Verbund der Berliner altertumswissenschaftlich orientierten Institutionen und Forschenden, und ab 2016 dann zehn Jahre für »Chronoi«, ein kleines Fellow-Kolleg für Forschungen auf dem Gebiet antiker Zeitvorstellungen in einer zauberhaften Dahlemer Villa, dessen Laufzeit auch in diesem Jahr 2025 enden wird. Fünf Jahre entschieden wir zusammen im wissenschaftlichen Beirat der Fritz Thyssen Stiftung über die Finanzierung geistes- und sozialwissenschaftlicher Projekte.

Mich hat in diesen vielen Jahren immer wieder verwundert, wieviel Zeit für seine Wissenschaft Hermann Parzinger sich nehmen konnte, trotz anstrengender, mit vielen Reisen und noch mehr Besprechungen wie Sitzungen verbundenen administrativen Tätigkeiten.

Nun könnte man nochmals auf Einfühlungsvermögen, Präzision, Tempo und Zuverlässigkeit verweisen, die natürlich beste Voraussetzungen dafür sind, gleichzeitig in zwei Berufen zu wirken, aber man muss an dieser Stelle grundsätzlicher beginnen. Denn eine solche Kombination von Wissenschaft und Wissenschafts- bzw. Kulturmanagement ist selten geworden.

Natürlich gibt es noch den Administrator, der in einer knappen Zeit zwischen der Abgabe des Vorsitzes des Wissenschaftsrates und dem Antritt der Präsidentschaft der Deutschen Forschungsgemeinschaft noch einmal rasch in einem Institute for Advanced Studies über Selbstentwürfe vormoderner Literatur schreibt.

Aber die allermeisten Administratorinnen und Administratoren legen ihre Wissenschaft beiseite, nicht nur, wenn sie aus dem Bereich der Naturwissenschaften stammen und den Wiedereinstieg in das Labor nach etlichen Jahren an anderen Orten für sinnlos halten.

Mann in Lehmgrube
Hermann Parzinger in jener Grube, in der er 2001 das skythische Fürstengrab entdeckte. Foto: Privat
Goldener Reif
Skythische Goldpektorale: Eines jener 5.600 Goldobjekte aus dem Königsgrab von Arzhan in Tuva, Südsibirien. Foto: Deutsches Archäologisches Institut

Auch Menschen aus den Geisteswissenschaften trauern in der Regel melancholisch ihren einstigen Beschäftigungen nach und schaffen kaum den Wiedereinstieg und Ausnahmen (wie der unvergessene ehemalige Konstanzer Universitätsrektor, der nach seinem Rektorat zum Vergnügen der halben Universität über Fontane las und einen voluminösen Band dazu publizierte) bestätigen die Regel.

Bei Hermann Parzinger kommt nun noch dazu, dass er nicht zu der Gruppe seines Faches zählt, die über Ausgrabungsbefunde nur zu theoretisieren vermögen und sich für Schippe und Schlafsack zu schade sind. Auch ganz charakteristisch für ihn ist, dass er immer zuerst bei den Ausgrabungen und ihren Befunden ansetzt – die Präsentation seiner Funde aus dem sibirischen Aržan auf der Ausstellung Im Zeichen des Goldenen Greifen. Königsgräber der Skythen 2007 im Berliner Martin-Gropius-Bau ist mir immer noch lebhaft vor Augen.

Bis 2018 hatte er ein Projekt zu Großkurganen der Skythenzeit in den Steppen des Vorkaukasus. Präziser müsste ich also schreiben, dass er die drei Dimensionen des prähistorischen Ausgräbers, wissenschaftlichen Autors und engagierten Managers über viele, viele Jahre zusammengehalten hat wie eigentlich niemand sonst hierzulande.

Da sind die schwungvoll geschriebenen, detailreichen großen Monographien über die Geschichte der Menschheit vor der Erfindung der Schrift, oder zu den Kulturzerstörungen vom Alten Orient bis zur Gegenwart, aber eben auch das gleichzeitige Engagement in einer großen Reform einer mindestens von außen gesehen nicht immer sehr übersichtlichen Stiftung.

Führungen für Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten durch die wieder eröffnete neue Nationalgalerie, aber auch noch einmal ein spannender Aufsatz für die Zeitschrift für Ideengeschichte. Vielleicht braucht es nächtliches und morgendliches Schreiben zur Erholung, wenn um Geld gekämpft, gegen bürokratische Attacken und Widrigkeiten des Alltags agiert werden muss – aber im Grunde dokumentiert Hermann Parzinger, dass erfolgreiches Kultur- und Wissenschaftsmanagement ohne Wissenschaft kaum möglich ist und umgekehrt herausragende Wissenschaft sicher nicht ohne Managementqualitäten auskommt.

In allen Bereichen agiert aber ein und derselbe: Wenn ich recht sehe, sind ihm die lauten, extremen Positionen zutiefst zuwider, nicht nur im wissenschaftspolitischen und wissenschafts- bzw. kulturadministratorischen Handeln, sondern auch in der Wissenschaft (»Arroganz kann ich nicht leiden«): Ihn interessieren zwar übergeordnete Fragen der Geschichte wie die sogenannte Achsenzeit und mögliche kulturraumübergreifende Kontinuitäten, er mag globale Vergleiche aber nur, wenn sie detailgesättigt und ohne übertriebenen theoriesprachlichen Ballast ausgeführt werden. Nüchternheit und Pragmatik prägt ihn bei aller Begeisterung für die Sache und die Aufgaben.

Noch so ein scheinbar nebensächliches Detail zum Schluss, die Szene spielt vor vielen Jahren, irgendwann nach 2008, irgendwann vor 2010: Baubesprechung zum Humboldt Forum, in einem provisorischen Bürogebäude auf der Fischerinsel, ein preisgekrönter Entwurf muss angepasst werden an die Bedürfnisse von Museen und einer großen Kultureinrichtung. Alle Beteiligten, Nutzende wie Baufachleute, stehen um die Pläne und ein Modell. Mitten im Hof hinter Portal III (auf dem später die in Details so umstrittene Kuppel wiedererrichtet werden sollte) finden sich noch zwei Baukörper, die als  Ausstellungshallen dienen sollen, aber den Eosander-Hof vollkommen verstellen. Allgemeine Ratlosigkeit herrscht  angesichts der deplorablen Detailqualität des vom Preisgericht im Konsens ausgezeichneten und zur Realisierung beschlossenen Entwurfs des italienischen Architekten mit seinen großen ästhetischen Stärken.

Hermann Parzinger schiebt mit kühnem Griff die beiden störenden Baukörper in die Seitenflügel an der Breiten Straße und am Lustgarten – und stellt so den schließlich auch so gebauten großen überdachten Hof der Eingangshalle her, der durch die Portalrückseite des Eosander-Portals und die Umgänge so eindrücklich gerahmt wird. Ein energischer Handgriff, wohl überlegt, präzise ausgeführt und überaus folgenreich. Manchmal denke ich an diese Szene, wenn ich das Humboldt Forum betrete und in die Halle schaue, von der sich aus das Gebäude erschließt.

Um mir klarzumachen, wie sich Hermann Parzinger in den Jahren seit 2008 verändert hat, musste ich  mir beim Schreiben im Internet die Bilder zu Gemüte führen, denn an der Energie, mit der er die Probleme anpackt, am Tempo, mit dem er sie zu lösen versucht, am gelassenen Humor und körperlicher Präsenz hat sich für meinen Geschmack nichts, aber auch gar nichts geändert.

Es ist sehr lange her, dass ich selbst als Schüler die Sportart betrieben habe, die er bis auf den heutigen Tag so erfolgreich betreibt und ich werde hier nicht entbergen, bis zu welcher Farbe der Gürtel ich es gebracht habe. Aber ich ahne aufgrund meiner in der Erinnerung an Kindertage verschütteten Kenntnisse, wie stark verschiedenste Eigenschaften des Wissenschaftlers und Präsidenten durch diesen Sport unterstützt, geschärft und lebendig gehalten werden. Ebenso wie die Gartenarbeit zu Hause im Bayerischen Wald. Schon deswegen braucht man sich eigentlich um die kommenden Jahre überhaupt keine Sorgen zu machen.

Denn Ausdauer und Geduld gehören vor allem dazu.

Tausend Dank
und tausend gute Wünsche!


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