Siegel an einem alten Dokument

„Die Urkunden gehören nach Warschau“SPK gibt mittelalterliche Schriftstücke zurück

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Die SPK gibt 73 mittelalterliche Urkunden des Deutschen Ordens an Polen zurück. Johannes Götz vom GStA ist Experte für den Deutschen Orden und erklärt im Interview, warm die Urkunden noch heute relevant sind – und warum sie nach Polen gehören.

Die SPK gibt 73 mittelalterliche Urkunden des Deutschen Ordens aus dem Bestand des GStA an Polen zurück. Was genau war der Deutsche Orden war und welche Bedeutung hatte er?

 

Johannes Götz: Den Deutschen Orden gibt es heute noch, deshalb müssen wir in der Gegenwartsform von ihm sprechen. Im Vergleich zu seiner historischen Bedeutung ist er aber heute nicht mehr politisch relevant. Der Deutsche Orden ist ein geistlicher Ritterorden des Hoch- und Spätmittelalters – eine christliche Gemeinschaft, die nach den klassischen drei Gelübden lebt und zugleich der Verteidigung der Christenheit verpflichtet ist. Im Grunde ist er vergleichbar mit den Templern, die in der Öffentlichkeit etwas bekannter sind. Der Templerorden ist so etwas wie der „große Bruder“ des Deutschen Ordens. Beide wurden im Heiligen Land im Rahmen der Kreuzzüge gegründet. Der Deutsche Orden war in Mittel- und Osteuropa entlang der Ostseeküste sehr aktiv und ist für das deutsch-polnische Verhältnis ein sehr wichtiger Akteur.

Reißt eine solche Rückgabe von 73 Urkunden ein Loch in die Bestände des GStA? Oder gibt es dort so viel Material, dass diese Lücke kompensiert werden kann?

 

Johannes Götz: Rein quantitativ betrachtet ist das natürlich kein Loch in unseren Beständen, denn im Verhältnis zum Gesamtbestand des Geheimen Staatsarchivs bewegen wir uns da eher im Promillebereich. Anders sieht es aus, wenn man die Qualität und den Inhalt der Dokumente betrachtet – es sind sehr bedeutende Stücke. Aber niemand schmückt sich gern mit Diebesgut, auch wenn es noch so wertvoll ist. Die Urkunden haben einen bedeutenden historischen Wert, aber sie gehören nicht in unser Archiv und sollen wieder dorthin zurückkehren, wo sie hingehören.

 

Sie haben angesprochen, dass es bedeutende Urkunden sind. Was genau steht darin?

 

Johannes Götz: Es sind hauptsächlich Rechtsdokumente für die Herrschaft des Deutschen Ordens in Preußen. Das Mittelalter bewegte sich in einem Rechtsrahmen, der uns heute fremd erscheint, aber man brauchte für herrschaftliches Handeln immer eine Legitimation, und die erhielt man von den Universalgewalten: vom Papst und vom Kaiser. Solche Privilegien der Päpste und Kaiser finden sich in diesen Urkunden. Sie ermöglichten dem Deutschen Orden, seine Herrschaft in Preußen zu entfalten. Darüber hinaus finden sich zahlreiche Dokumente zum Verhältnis des Ordens mit dem Königreich Polen: Waffenstillstände, Friedensverträge, diplomatische Auseinandersetzungen.

"Es sind sehr bedeutende Stücke. Aber niemand schmückt sich gern mit Diebesgut, auch wenn es noch so wertvoll ist"

Johannes Götz

Wie gelangten diese Urkunden von Polen nach Berlin und wie wurde die Provenienz der Dokumente aufgeklärt?

 

Johannes Götz: Die Provenienz war immer klar: Die Urkunden wurden im Zuge der Säkularisierung Preußens 1525 an die polnische Krone abgegeben. Der erste preußische Herzog, Albrecht von Brandenburg, übergab sie seinem neuen Lehnsherren, dem polnischen König – ein ganz normaler juristischer Akt der Zeit. Die Urkunden lagerten dann bis 1941 in Polen, zuletzt in Warschau. Im Zuge der deutschen Besatzung entnahmen deutsche Archivare die Urkunden und brachten sie nach Königsberg. Über verschiedene Evakuierungswege gelangten sie später in das Gebiet der heutigen Bundesrepublik und schließlich nach Berlin.

Warum werden sie erst jetzt zurückgegeben, wenn man doch wusste, dass sie kriegsbedingt verlagert waren?

 

Johannes Götz: Es war immer bekannt, dass die Urkunden entwendet worden waren, aber in Zeiten des Kalten Krieges und des „Eisernen Vorhangs“ stand eine Rückgabe nicht auf der Agenda. Nach dem Ende der Sowjetunion gab es in den 1990er Jahren erstmals Gespräche zwischen Deutschland und Polen, in denen es um die Rückführung solcher kriegsbedingt verlagerten Güter sowohl in Deutschland als auch in Polen ging. Die Politik konnte sich jedoch aus verschiedenen Gründen bezüglich der Urkunden nie einigen – bis jetzt. Und wir als GStA sind da natürlich weisungsgebunden und können erst etwas zurückgeben, wenn ein entsprechender politischer Beschluss existiert. 

 

Ich habe gelesen, dass im GStA viel mit diesen Urkunden gearbeitet wurde. Wie geht es nun weiter? Gibt es Perspektiven für eine Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Polen in der Forschung zum Deutschen Orden? 

 

Johannes Götz: Die Urkunden kommen jetzt ins Hauptarchiv Alte Akten in Warschau. Wir sind bereits seit Jahren im fachlichen Austausch mit den polnischen Kolleginnen und Kollegen und ich freue mich, sie bei der Übergabe der Urkunden am Montag im GStA auch persönlich kennenzulernen. Ich bin sehr optimistisch, dass sich die Zusammenarbeit weiter vertiefen wird. Die Urkunden werden häufig angefragt, weil sie so wichtig sind, und wir werden dann in Zukunft eben nach Warschau verweisen. Aber das dürfte kein Problem sein, denn polnische Historiker sind seit jeher eine sehr große Nutzergruppe unseres Archivs. Nicht zuletzt auch, weil wir die Überlieferung des Deutschen Ordens aus dem Staatsarchiv Königsberg hier aufbewahren – ein zentraler Bestand für die Forschung.

"Der Deutsche Orden ist ein hervorragender Untersuchungsgegenstand, weil er nicht nur in Preußen aktiv war, sondern in ganz Europa"

Johannes Götz

Der Deutsche Orden war in einer Zeit aktiv, in der die heutigen Nationalstaaten noch gar nicht definiert waren. Ist das ein Grund, warum das Thema heute noch so interessant ist – weil es übernational und europäisch ist?

 

Johannes Götz: Auf jeden Fall. Beim Namen „Deutscher Orden“ denkt man zunächst an etwas Nationales, aber das ist er überhaupt nicht. Es gibt jährlich große Tagungen in verschiedenen Formaten, bei denen der Deutsche Orden ein Schwerpunkt ist, und die Wissenschaftler kommen aus ganz Europa. Polen und Deutsche sind oft in der Überzahl, aber es gibt Forschende aus vielen Ländern. In der öffentlichen Wahrnehmung ist der Orden in Deutschland aber etwas in den Hintergrund gerückt – anders als in Polen, wo er zum kulturellen Gedächtnis gehört, gerade wegen seiner Bedeutung für die deutsch-polnischen Beziehungen. Der Deutsche Orden ist jedenfalls ein hervorragender Untersuchungsgegenstand, weil er nicht nur in Preußen aktiv war, sondern auch in ganz Europa.

Sie forschen selbst zum Deutschen Orden – sind Sie ein bisschen traurig, dass die Urkunden jetzt gehen?

 

Johannes Götz: Ich muss gestehen, bis vor einer Woche war ich überhaupt nicht wehmütig. Aber als ich noch einmal alle Urkunden durchgezählt und geprüft habe, wurde ich doch ein wenig sentimental. Dennoch: Die Urkunden gehören nach Warschau, und wir sind wirklich froh, dass wir sie nun endlich abgeben dürfen, weil sie nicht unser Eigentum sind. Inhaltlich sind die meisten Urkunden ohnehin gut erforscht und in Buchform veröffentlicht. Natürlich lassen sich an den Originalen immer noch spezielle Fragen beantworten. Ich werde ganz bestimmt mal nach Warschau fahren und sie mir dort noch einmal anschauen.


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