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Warum ist der Welfenschatz kein NS-Raubgut?

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Zahlreiche historisch belegte Fakten zeigen, dass der Verkauf des Welfenschatzes kein NS-verfolgungsbedingter Zwangsverkauf war, auch wenn die Verkäufer Juden waren. Es handelt sich um einen außergewöhnlichen Einzelfall.

Intensive Forschung beleuchtet einen besonderen Einzelfall

Die Stiftung Preußischer Kulturbesitz hat sich mit den Umständen des Ankaufs des Welfenschatzes im Jahr 1935 intensiv auseinandergesetzt. In umfangreicher wissenschaftlicher Recherchearbeit hat sie zahlreiche Fakten zusammengetragen. Im Ergebnis gelangte die Stiftung zu der Überzeugung, dass die Voraussetzungen für die Restitution des Welfenschatzes an die Erben der Kunsthändler Goldschmidt, Hackenbroch, Rosenberg und Rosenbaum nicht vorliegen. Der Verkauf des Welfenschatzes erfolgte nicht NS-verfolgungsbedingt als Zwangsverkauf, auch wenn die Verkäufer in Deutschland und dem Ausland ansässige Juden waren und damit zu einem durch das NS-Regime verfolgten Personenkreis gehörten.

Diese Einschätzung spiegelt die besonderen Umstände eines besonderen Einzelfalles wider. Sie ist durch historisches Quellenmaterial gestützt und wurde im Bewusstsein der gebotenen moralischen und historischen Sensibilität getroffen. In zahlreichen anderen Fällen hat die Stiftung entschieden, Kunstwerke oder Bücher zurückzugeben, weil die Provenienzforschung dazu ergab, dass es sich um NS-Raubgut handelte.

Gründe für die Einschätzung der SPK

Der Verkauf des Welfenschatzes war kein NS-verfolgungsbedingter Zwangsverkauf. Grundlage für diese Einschätzung der SPK sind folgende historisch belegte Fakten:

  • Der gezahlte Kaufpreis bewegte sich im Rahmen des Üblichen und Erreichbaren auf dem damaligen sehr angespannten Kunstmarkt.
     
  • Die Verkäufer erhielten den vereinbarten Kaufpreis zur freien Verfügung.
     
  • Der Welfenschatz befand sich seit 1930 außerhalb Deutschlands. Damit hatte der deutsche Staat während  der gesamten Verkaufsverhandlungen keinen Zugriff darauf.

Der für den Welfenschatz gezahlte Kaufpreis war angemessen

Der gezahlte Kaufpreis von 4,25 Mio. RM für 42 Objekte bewegte sich im Rahmen des Üblichen und Erreichbaren auf dem damals sehr angespannten Kunstmarkt. Zur Bewertung des Preises ist auch die Deflation zwischen 1929 und 1935 zu berücksichtigen.

Das Kunsthändlerkonsortium hatte den aus 82 Teilen bestehenden Schatz am 5. Oktober 1929 für 7,5 Mio. Reichsmark erworben, um ihn gewinnbringend weiter zu veräußern. Auf Grund der bald danach einsetzenden Weltwirtschaftskrise („Schwarzer Freitag“) waren insbesondere öffentliche Einrichtungen kaum mehr in der Lage, einen Ankauf in Betracht zu ziehen. Trotz intensiver Bemühungen, vor allem in den USA, konnten die Händler bis 1931 nur knapp die Hälfte der Objekte verkaufen.

Die heute im Kunstgewerbemuseum ausgestellten Objekte des Schatzes, darunter die meisten Hauptwerke, konnten zunächst nicht verkauft werden. Ab 1933 gab es mit dem Staat Preußen faktisch nur noch einen verbliebenen Kaufinteressenten für den Welfenschatz. Im Rahmen langwieriger und komplizierter Verhandlungen in den Jahren 1934/35 näherten sich die Preisvorstellungen für die 42 Teile von zuerst 5 Mio. RM auf Verkäuferseite und 3,5 Mio. RM auf Käuferseite auf zuletzt 4,25 Mio. RM an.

Die Verkäufer konnten frei über den Erlös verfügen

Durch Dokumente ist belegt, dass die Verkäufer den gezahlten Betrag jeweils zur freien Verfügung erhalten haben. Auch jene Konsortiumsmitglieder, die 1935 bereits im Ausland lebten, erhielten ihren Kaufpreisanteil. Von Käuferseite wurden sogar erhebliche Anstrengungen unternommen, um dies trotz der bestehenden Devisenbestimmungen zu ermöglichen. In einem bemerkenswerten Verfahren wurden im Einvernehmen zwischen den Berliner Museen und den Verkäufern für einen Teil des Kaufpreises 20 Kunstwerke aus den Berliner Museen ausgewählt. Diese Kunstwerke konnten die Konsortiumsmitglieder im Anschluss ins Ausland ausführen und dort für eigene Rechnung verkaufen. Darunter waren z.B. das Gemälde „Heilige Magdalena“ von Crivelli, das sich heute im Rijksmuseum befindet, und eine französische Madonna, die 1937 an das Metropolitan Museum weiter verkauft wurde.

Der deutsche Staat konnte nicht auf den Welfenschatz zugreifen

Der Welfenschatz befand sich bereits seit 1930 nicht mehr in Deutschland. Zum Zeitpunkt des Ankaufs durch Preußen im Juni 1935 lagerte er in Amsterdam. Damit hatte der deutsche Staat während der gesamten Verkaufsverhandlungen keinen Zugriff darauf.

Die Beratende Kommission schließt sich der Einschätzung der SPK an

2012 riefen die SPK und die damaligen Antragsteller die Beratende Kommission an. Am 20. März 2014 empfahl die Kommission, den Welfenschatz nicht zurückzugeben:

„Obwohl die Kommission sich des schweren Schicksals der Kunsthändler und ihrer Verfolgung in der NS-Zeit bewusst ist, liegen keine Indizien vor, die darauf hindeuten, dass die Kunsthändler und ihre Geschäftspartner […] in den Verhandlungen – etwa von Göring – unter Druck gesetzt worden sind […] Die Beratende Kommission ist nach diesen Feststellungen zum Verlauf der Kaufverhandlungen der Auffassung, dass es sich bei dem Verkauf des Welfenschatzes nicht um einen verfolgungsbedingten Zwangsverkauf gehandelt hat. Sie kann daher eine Rückgabe des Welfenschatzes [...] nicht empfehlen.“

Empfehlung der Beratenden Kommission (Erben Hackenbroch u.a. ./. Stiftung Preußischer Kulturbesitz, März 2014)