Die Islamdebatte verändert auch die Museen. Sie wollen von der Vielfalt der islamischen Kultur erzählen und sehen sich konfrontiert mit einer ängstlichen Gesellschaft und suchenden Muslimen
Ach ja, die Heimat. Schwierig, schwierig. Die einen suchen eine neue, die anderen wollen ihre alte zurück, dazwischen wieder welche, die gar nicht wissen, was ihre Heimat ist. Früher stand das Häuschen am Hang und über jedes Bacherl ging a Brückerl. Oft besungen. Und heute? Steht das Häuschen immer noch am Hang. Aber kann man noch nackt im Bacherl baden, weil doch jetzt auch Flüchtlinge am Bacherl wohnen und sich gestört fühlen könnten? Banale Fragen. Wichtige Fragen. Aber es gibt auch Antworten.
Zum Beispiel im Büro von Stefan Weber, dem Direktor des Museums für Islamische Kunst der Staatlichen Museen zu Berlin, wo sich die Schönheit der Ausstattung an der Feinheit kalligrafischer Schriften, einem raffinierten Teppichmuster oder allerlei orientalischen Gefäßen bemisst. Aus Dresden ist Nanette J. Snoep, die Direktorin der Staatlichen Ethnographischen Sammlungen Sachsen, gekommen, von der Universität Osnabrück der Islamwissenschaftler Bülent Uçar und von gleich um die Ecke Sascha Braun, der Justiziar der Gewerkschaft der Polizei. Ein kleiner Integrationsgipfel.
Wir wollen darüber sprechen, wie es denn nun weitergeht mit einem Land, das zwischen Willkommensbeifall und Ablehnungsgeschrei hin- und herpendelt, das Politiker hat, die den Islam in die deutsche Gesellschaft Hinein- und auch wieder herausrechnen, und in dem Intellektuelle sich dermaßen überrollt fühlen, dass sie in den Feuilletons den nahenden Volkstod prophezeien. Es wird ein Gespräch über Klischeebilder, echte und lächerliche Bedrohung, vor allem aber über Hoffnung, wie vielleicht nur Museen sie haben können.
Bevor es losgeht, erinnert Stefan Weber daran, dass Museen neutrale Orte sind, an denen sich trefflich über Dinge streiten und mit Menschen reden lässt, weil hier eben weder politisch noch religiös gedacht werden muss. Ein unparteiischer Ort.
Wenn es nach ihm geht, dann möchte er in seinem Haus natürlich weiterhin Ausstellungen machen. Aber das reicht ihm nicht. Ihm geht es um Identitäten, die immer globaler werden. Aber wer gehört heute dazu, wer sind „Wir“ und wer die „Anderen“? Weber hat gezeigt, dass all die Beladenen und Entronnenen nicht nur betreut oder bebastelt werden wollen, sondern Multiplikatoren sind. Für das Museum, aber auch für die Gesellschaft
Ob in seinem Projekt „Multaka“, wo Geflüchtete andere Geflüchtete durch die eigene und die deutsche Geschichte führen, oder auch in der Jugendarbeit, die er in Moscheengemeinden zur Extremismusprävention organisiert, immer geht es ihm um eine Anstiftung zur Selbstbefähigung.
Für Weber ist „Heimat“ eine komplexe Angelegenheit, weil er weder ein reines Deutschtum noch einen reinen Islam erkennen will.„Gerade bei Muslimen der dritten Generation ist es doch so, dass sie sich in ihren sozialen Kontexten als Muslime definieren, wobei der kulturell vielschichtige Islam auf wenige religiöse Marker reduziert wird. Dadurch werden sie gezwungen, sich zu outen: Wer bin ich?“ Genau hier wollen Bülent Uçar und er mit ihrem gemeinsamen Projekt ansetzen, bei dem sie sich an künftige Imame und seelsorgerisches Personal in Moscheengemeinden wenden. Im Prinzip geht es darum, sagt der Islamwissenschaftler, die Vitalität und Produktivität der islamischen Kultur in der Menschheitsgeschichte zu zeigen, gleichzeitig aber auch zu sagen, dass ein freies Land verschiedene religiöse und kulturelle Identitäten nicht nur aushält, sondern auch anerkennt.
Es geht darum, die Vitalität und Produktivität der islamischen Kultur in der Menschheitsgeschichte zu zeigen, gleichzeitig aber auch zu sagen, dass ein freies Land verschiedene religiöse und kulturelle Identitäten nicht nur aushält, sondern auch anerkennt.
Ist das schon das ganze Geheimnis der Integration? Bringt es uns heute wirklich weiter, wenn wir wissen, dass das sogenannte Eigene oft durch Austausch und Migration entstand und wir beispielsweise ohne die arabische Laute keine Rock’n’-Roll-Gitarre hätten? Lassen sich damit Islamophobie und Islamismus wirksam bekämpfen? Ist das Wissen um die einstige islamische Welt als Drehscheibe des globalen Austauschs zwischen China und Europa nicht auch ein museales Idealbild aus fernen Tagen? Sozusagen das Brückerl über das Erderl?
Sascha Braun schüttelt energisch den Kopf. Nein, sagt er, es geht um Deutungshoheiten über den Islam und darum, dass das Unwissen darüber gefährlich ist. „Radikale und gewaltbereite Jihadisten sind Menschen, die Brücken abbrechen, die sich in einem abgeschlossenen System befinden. Wenn Jugendliche da gelandet sind, kann kein Museum sie mehr herausholen. Insofern ist es richtig, junge Moslems zu befähigen, ihre Religion zu verstehen und zu leben, gleichzeitig aber auch Staatsbürger zu sein.“ Aber wie wird die sogenannte Minderheit von der sogenannten Mehrheit wahrgenommen? Bülent Uçar zitiert, dass 57 Prozent der Menschen in Deutschland Angst vor dem Islam haben, gleichzeitig aber über 60 Prozent sagen, die Muslime würden das Land bereichern. Wie passt das zusammen? Deutschland paradox.
Radikale und gewaltbereite Jihadisten sind Menschen, die Brücken abbrechen, die sich in einem abgeschlossenen System befinden. Wenn Jugendliche da gelandet sind, kann kein Museum sie mehr herausholen.
Nanette J. Snoep findet, dass die Museen genau diese Brücken sein könnten. Dann erzählt sie, dass sie in Leipzig gar nicht viel über Radikalisierung spricht, sondern versucht, den multireligiös etwas ungeübten Sachsen vom Alltag der Muslime zu erzählen. Und von deren Popkultur. Also zum Beispiel von Mädchen, die sich auf Facebook oder Twitter darüber austauschen, wie sie ihr Kopftuch tragen. Inzwischen kommen die einen und hören den anderen zu, die stolz sind, von sich und ihren Familien erzählen zu können. Überhaupt – das Kopftuch!
Als Nanette J. Snoep noch am Musée du quai Branly in Paris war und Frankreich 2004 das Kopftuchverbot für staatliche Schulen beschloss, was dazu führte, dass muslimische Mütter ihre Kinder nicht mehr zur Schule bringen konnten, erzählte sie in ihrem Museum, wie das so war mit den Kopfbedeckungen von europäischen Frauen in den Sechzigerjahren und vom ganzen Stolz katholischer Nonnen. Stefan Weber springt ihr bei: „Genau! Wir sollten das Kopftuch in seinem jeweiligen zeitlichen und gesellschaftlichen Kontext diskutieren – also: Warum trugen die Mütter der städtischen Mittelschicht in Kairo und Damaskus in den Siebziger- und Achtzigerjahren kein Kopftuch, ihre Töchter ab den Neunzigern aber schon? Wenn man das Kopftuch einfach als den Marker eines Homo Islamicus kulturalistisch erklärt, versteht man die Dynamik und Gründe gesellschaftlichen Wandels nicht.“
Weber fragt sich, wie die Religion als Erklärungsmuster in einem Museum genutzt werden könnte. Die fünf Säulen des Islams erklärten Objekte nicht, auch im Koran stehe nichts zu Kunst. Anderseits scheine ein religiöses Weltverständnis auch im Schönheitsbegriff immer wieder auf. „Wir müssen unsere Erklärungsmuster erweitern, anstatt mit wenigen und rudimentären Deutungsmodellen weiterhin ein verengtes Verständnis dieser Kultur zu fördern.“
Wir müssen unsere Erklärungsmuster erweitern, anstatt mit wenigen und rudimentären Deutungsmodellen weiterhin ein verengtes Verständnis der islamischen Kultur zu fördern.
Kulturelle Vielfalt zeigen, Glaubenswirklichkeit zulassen. Kann das funktionieren? Sascha Braun wünscht sich revolutionäre, umwälzende Prozesse in der islamischen Religionswelt selbst, auch das Benennen von antidemokratischen Entwicklungen – zum Beispiel beim Frauenbild.
Das ist für Bülent Uçar geradezu eine Steilvorlage. „Kulturelle Entwicklungen brauchen ihre Zeit. Darf ich Sie erinnern? Bis in die Sechzigerjahre hinein durften Frauen in Deutschland nur mit Genehmigung ihres Mannes arbeiten, brauchten sein Einverständnis, wenn sie ein Konto eröffnen wollten. Die Muslime stehen vor einem gewaltigen Emanzipationsprozess. Europa hat dafür mehrere Jahrhunderte gebraucht und von den Muslimen wird erwartet, dass sie das innerhalb weniger Dekaden hinkriegen. Deutschland hat seinen katholischen Bauern aus Rosenheim und seinen liberalen Geist in der gottlosen Stadt Berlin. Solche Phänomene gibt es auch im Islam, nur wird diese Vielfalt derzeit so dramatisch wegradiert, weil wir den Islam viel zu einseitig und verengt betrachten.“
In Webers Büro werden plötzlich alle Konflikte und Chancen einfach mal durchgespielt. Da das aufgeklärte Bürgertum, dort muslimische Eltern, die für ihre Kinder Sexualkunde- und Schwimmunterricht ablehnen. Hier die Kinder, die ihre Eltern beim Vornamen nennen dürfen, dort die verknöcherten Familienstrukturen anatolischen Ursprungs, hier Vereinzelung, dort Gemeinschaftsgefühl. Wie kommen wir nur weiter? Was bedeutet eine hybride Identität im konkreten Alltag der Muslime? Mit dem Verweis auf den Koran allein lassen sich keine gesellschaftlichen Fragen klären.
Das Museum ist ein Ort, der Wurzeln kultureller Verbundenheit aufzeigt. Es kann keine innerislamische Debatte befrieden, und die Deutschen werden sich ihre Muslime auch nicht backen können. Aber Identitäten zu festigen, um selbstständiges Denken zu stärken und Menschen nicht anfällig für radikale Ideologien werden zu lassen, das könnten sich die Museumsleute schon vorstellen. Auf schwierige Fragen gibt es keine einfachen Antworten, aber vielleicht manchmal faszinierende.
Als ich im Januar 2015 nach Dresden kam, hatte ich den Front National hinter mir gelassen und war mitten in Pegida gelandet. Ich hätte nicht gedacht, dass ich das in Deutschland mitmachen muss. Als Direktorin musste ich was tun.
Museen wie die von Nanette J. Snoep und Stefan Weber formulieren völlig neue Ansprüche. „Als ich im Januar 2015 nach Dresden kam, hatte ich den Front National hinter mir gelassen und war mitten in Pegida gelandet. Ich hätte nicht gedacht, dass ich das in Deutschland mitmachen muss. Als Direktorin musste ich was tun. Mein Bild eines Museums hat sich völlig verändert. Schritt für Schritt können wir helfen, Angst zu überwinden. Und zwar auf beiden Seiten. Wir sind zwar klein, aber wir können etwas schaffen“, sagt sie. Plötzlich drängt Stefan Weber. Er muss hinüber ins Pergamonmuseum . Vor der Mschatta-Fassade soll über Gegenwart und Zukunft der Migrationsgesellschaft diskutiert werden. Ein passender Ort, ein guter Ort. Ein Heimatort.
Museum für Islamische Kunst
Das Museum für Islamische Kunst der Staatlichen Museen zu Berlin präsentiert im Pergamonmuseum auf der Museumsinsel Meisterwerke der Kunst und archäologische Objekte aus islamisch geprägten Gesellschaften vom 8. bis ins 19. Jahrhundert. Die Sammlung umfasst ein Gebiet, das von Spanien bis nach Indien reicht.
Das Museum ist eine der führenden Forschungseinrichtungen auf ihrem Gebiet. Es engagiert sich im Kulturgutschutz und ist aktiv in den Bereichen Restaurierung, internationaler Kulturaustausch und (inter-)kulturelle Bildung in Deutschland.