Günter Schade und Günther Schauerte

Auf der Brücke der Kunst: Die Unterhändler

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Ein Gespräch über geheime Kontakte und das, was nur Stunden nach dem Fall der Mauer geschah.

9. November 1989: Günter Schade ist Generaldirektor der Staatlichen Museen (Ost-Berlin), Günther Schauerte Referent in der Generaldirektion der Staatlichen Museen (West-Berlin).

Bevor etwas zusammenkommen kann, muss es getrennt worden sein. Wie sah die Berliner Museumslandschaft eigentlich ursprünglich aus – noch vor der Trennung?

Schauerte: Berlin hatte seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts den größten Museumskomplex Europas hervorgebracht. Aus Berlin kamen die Impulse, die für Europa und Nordamerika bestimmend waren. Das Museum für Islamische Kunst wurde in Berlin erfunden, auch das Museum für Ostasiatische Kunst.

Schade: Da gibt es einen wunderbaren Ausspruch von Ludwig Justi – für ihn waren die Staatlichen Museen zu Berlin mit dem Zentrum Museumsinsel ein „geistiges Weltgebäude in Mannigfaltigkeit und Einheit ohnegleichen in Deutschland und von höchstem künstlerischen Wert, eine Kulturschöpfung ersten Ranges“. Diese ursprüngliche Einheit war es auch, an die wir nach der Teilung anknüpfen wollten.

Günter Schade und Günther Schauerte

Günter Schade (li) und Günther Schauerte © SPK / Werner Amann

Die Unterhändler

Günter Schade
Geboren 1933 in Frankfurt / Oder. Seit 1962 Direktor des Kunstgewerbemuseums. Von 1983-1992 Generaldirektor der Staatlichen Museen, bis 1998 Stellvertr. des Generaldirektors

Günther Schauerte
Geboren 1954 in Fredeburg. Ab 1986 Referent des Generaldirektors der Staat- lichen Museen, 2002-2011 stellvertr. Generaldirektor. Dann Vizepräsident der SPK.

Bleiben wir noch bei der Teilung. Während des Krieges wurden Museumsbestände aus Schutzgründen an sichere Orte verbracht. Dabei wurden Sammlungen auch getrennt. Nach welchen Kriterien?

Schade: Die Direktoren der einzelnen Sammlungen waren dafür verantwortlich. So kam es zu der Verteilung in Schlössern und Burgen und Bergwerken. Man wollte möglichst weit streuen, damit im Falle der Vernichtung eines Teils an anderen Orten bedeutende Bestände übrig blieben. Niemand konnte damals ahnen, dass Deutschland nach dem Krieg geteilt wird. Deshalb waren die Bestände getrennt, mit denen wir dann in Ost und West leben mussten.

Wie wurden die geteilten Bestände in Ost und West präsentiert?

Schauerte: West-Berlin hatte den großen Nachteil, dass es nur wenige nutzbare Ausstellungsorte gab. Der Gropiusbau war ein großer Trümmerhaufen, das Völkerkundemuseum nebenan und der Museumskomplex in Dahlem waren seit dem Ersten Weltkrieg im Grunde Bauruinen. Also musste man für die in West-Berlin verbliebenen und nach Westdeutschland ausgelagerten Kunstsammlungen neben Dahlem neue Orte schaffen – und da kam Charlottenburg ins Spiel. Vor 1961 plante man dort ein breit gefächertes Ausstellungszentrum für die Kunst Europas und wollte damit die Museumsinsel im Kleinen kopieren.

Schade: Die Staatlichen Museen in Ost-Berlin konnten auf den Bestand zurückgreifen, der nach dem Krieg noch vorhanden war. Dazu kam die große Rückgabe von Beutekunst aus der Sowjetunion 1955/58, mit der die Museumsinsel wieder eine Insel von Weltgeltung wurde: Pergamonaltar, Antikensammlung, die ägyptischen Sammlungen. Die Gemäldegalerie in Ost-Berlin bestand allerdings nur aus der zweiten Garnitur der Galerie, da die Spitzenwerke in West-Berlin waren.

War mit der Darstellung der getrennten Sammlungen auch eine Instrumentalisierung verbunden – gegen die andere Seite?

Schade: Für die ersten Kriegsjahre würde ich das so nicht sagen. Denn alle fühlten sich ja einer gemeinsamen Tradition verpflichtet. Es gab eine intensive Zusammenarbeit der Kollegen in Ost- und West-Berlin. Wir haben unvollständige Inventare ausgetauscht, Fotos, Literatur. Der politische Aspekt kam erst hinein, als die DDR-Regierung die Rückgabe der von den Staatlichen Museen in Richtung Westen verlagerten Bestände forderte. Auf der Museumsinsel wurden dann die Mitarbeiter instrumentalisiert, indem wir Kontaktverbot zu unseren Kollegen bekamen!

Schauerte: Wir aus dem Westen durften zwar reisen – aber der Konflikt zeigte sich auch bei uns, manchmal in Kleinigkeiten. Als ich 1986 bei der Stiftung anfing, sollte ich als Erstes ein Buch zur Museumslandschaft in West-Berlin daraufhin durchsehen, ob politisch korrekt überall Berlin (West) und nicht Westberlin stand, wie es nach der Ost-Berliner Diktion hieß.

Was geschah, als die Mauer fiel?

Schade: Dazu muss man sagen, dass ich mit Wolf-Dieter Dube, dem Generaldirektor im Westen, schon vorher Kontakte hatte – trotz des offiziellen Verbots. Ich habe Dube das erste Mal 1986 in Budapest getroffen, von da an haben wir regelmäßig telefoniert. Wir hatten also schon vor dem Mauerfall darüber gesprochen, wie es wäre, wenn die Museen vereinigt wären. Das war der Traum, dem wir nachhingen ...

Schauerte: Am Morgen des 10. November ging ich ins Büro. An das, was darauf passierte, kann ich mich erinnern, als wenn es gestern gewesen wäre: Von 8.30 Uhr an haben wir versucht, Herrn Schade anzurufen. Um 11 Uhr kam die Verbindung zustande und dann haben die beiden Generaldirektoren – gerade 16 Stunden nach der historischen Pressekonferenz mit Günter Schabowski – miteinander gesprochen und gesagt: „Jetzt ist das, worüber wir so oft geredet haben, passiert. Die Mauer ist gefallen.“

Schon vor dem Mauerfall haben wir darüber gesprochen, wie es wäre, wenn die Museen vereinigt wären. Das war der Traum, dem wir nachhingen ...

Historische Aufnahme des Wiederaufbaus des Pergamonaltars im Pergamonmuseum
1958/59 gab die Sowjetunion zahlreiche, am Kriegsende verlagerte Kulturgüter an Museen in der DDR zurück. Dabei kehrten auch die Friesplatten des Pergamonaltars auf die Berliner Museumsinsel zurück. Dieser war ab 1959 wieder zu sehen. © bpk / Herbert Hensky

Schade: Am 6. Januar 1990 haben Herr Dube und ich bei der Stimme der DDR in der Nalepastraße ein gemeinsames Interview gegeben und darüber gesprochen, wie wir uns die Wiedervereinigung der Museen vorstellen. Schon am 6. Januar 1990! Am 6. Februar fand die erste gemeinsame Direktorenkonferenz im Bode-Museum statt.

Kurz nach der Öffnung der Mauer begann auf der Ostseite eine Phase des Aufbruchs und der Neuorientierung. Sie, Herr Schade, wurden als Generaldirektor innerhalb des Hauses kritisiert und sind vom Minister für Kultur zum Rücktritt aufgefordert worden. Stand das für Sie jemals zur Debatte?

Schade: Nein. Nie. Denn ich war mir keiner Schuld bewusst, weder politisch noch fachlich. Ich hatte mit den Leuten, die aus den Museen heraus als Kritiker auftraten, vorher eigentlich nie Kontroversen gehabt. Warum sollte ich zurücktreten? Nur weil jemand sagt: Du warst in der Partei? Klar, die Leute waren aufgebracht, aber ich habe politisch nicht versagt. Sollte ich weggehen, nachdem ich 30 Jahre für die Museen gearbeitet und die Wiedervereinigung mit meinen Kollegen aus West-Berlin so weit vorangetrieben hatte?

Sie haben daraufhin mit Herrn Dube zusammen ein Konzept entwickelt, wie die Vereinigung vor sich gehen sollte. Wie sah das aus?

Schade: Nach dieser Direktorenkonferenz im Februar sind wir vom Präsidenten der SPK beauftragt worden, die Meinungen zu einer gemeinsamen Linie zusammenzuführen. Wie könnte die Wiedervereinigung aussehen? Wir konnten ja schlecht den alten Zustand wieder herstellen, wir mussten von dem ausgehen, was auf der West- und auf der Ostseite neu entstanden war. So haben wir Arbeitsgruppen gebildet und die haben diskutiert.

War sofort klar, dass es drei große Standorte geben sollte?

Schade: Das hat sich automatisch so ergeben. Die Museumsinsel war früher das große Universum gewesen, nach dem Krieg hatte sich durch die Teilung der neue Komplex am Kulturforum gebildet. In Dahlem befanden sich die außereuropäischen Sammlungen, am Kulturforum wesentliche Teile der europäischen Kunst. Der Weg war vorgezeichnet. Aber mit der Zusammenführung war ja nicht nur eine inhaltliche, sondern auch eine riesige Bauaufgabe verbunden – vom Kulturforum bis zur Museumsinsel.

Schauerte: Auf der Museumsinsel wurden innerhalb eines Jahrzehnts eine halbe Milliarde Mark investiert! Und mit dem Masterplan wurde deutlich, dass es am Ende 1,5 Milliarden Euro sein würden. Kein anderer Museumsstandort, keine andere Institution, kein anderes Land hatte Vergleichbares zu stemmen.

Schade: Die Begeisterung, die uns alle erfasst hatte! Jeder wusste: Wir haben jetzt die Chance, etwas zusammenzuführen, was fast ein halbes Jahrhundert auseinandergerissen gewesen war.

Wie ging die Zusammenführung der Belegschaften vor sich? Es gab von den meisten Museen und Sammlungen zwei, also auch zwei Leiter.

Schauerte: Eine Sache war arbeitsrechtlich vorgegeben: Wenn jemand einen Direktorenposten mit Beamtenstatus in Westdeutschland besetzt hatte, dann stand ihm dieses Amt schlicht zu. Also hat man sich diesem Grundsatz gebeugt. Der Ost-Berliner Kollege wurde zum Stellvertreter. Aber auch das war eine Leistung, denn so gut wie alle Mitarbeiter sind übernommen worden. Dafür sind wir Professor Knopp, dem Präsidenten der Stiftung, zu großem Dank verpflichtet. Seine Linie war: „Es wird keiner entlassen.“ Die tariflich unterschiedliche Vergütung in Ost und West war allerdings ein ernstes Problem. Das war eine tarifpolitische Fehleinschätzung.

Schade: Und für die Mitarbeiter im Osten war ungewohnt, dass nicht mehr alle Angestellten gleich angesehen wurden: Hofarbeiter, Wissenschaftler, Restauratoren – in der DDR haben sich alle gleich gefühlt. Und jetzt wurden die Mitarbeiter eingestuft! Was meinen Sie, wie einige Leute auf der Museumsinsel geguckt haben, dass sie plötzlich als Arbeiter eingruppiert wurden.

Ist die Vereinigung heute abgeschlossen?

Schade: Man kann erst von Vollendung sprechen, wenn die Masterpläne verwirklicht sind. Wenn das Humboldt Forum eröffnet ist, wenn die Museumsinsel intakt ist und wir all die Neubauten vollendet haben, in denen sich die wiedervereinigten Sammlungen auf einer ganz neuen didaktischen Ebene der Öffentlichkeit präsentieren.

Schauerte: In den Köpfen derer, die hier arbeiten, und wohl auch für die Besucher ist sie abgeschlossen. Da ist schon eine neue Generation herangewachsen. Im Grunde befinden wir uns in einer Zeit des Übergangs. Einige alte Maßnahmen sind noch nicht abgeschlossen, andere lassen sich gar nicht mehr mit den historischen Ereignissen begründen – wie etwa der Neubau eines Museums für die Kunst des 20. Jahrhunderts am Kulturforum.