Ende 2022 soll vor dem Berliner Humboldt Forum eine Rekonstruktion eines altindischen Tors aufgestellt werden. Ins Werk setzen wird das Neu-Berliner Wahrzeichen das Bamberger Natursteinwerk Hermann Graser aus Bayern – mit fachlicher Unterstützung von zwei Bildhauern aus Indien, die extra dafür angereist sind. Auch Elena Then hat sich auf den Weg in das fränkische Steinwerk gemacht.
Der Abguss des Ost-Tors des Großen Stupa von Sanchi in Dahlem. © Staatliche Museen zu Berlin
„Das ist schon was Besonderes!“, sagt Nina Graser an diesem trüben, frühherbstlich-frischen Tag auf dem Gelände des Bamberger Natursteinwerk Hermann Graser im fränkischen Bamberg. Hier wird bis November das Ost-Tor des Stupa von Sanchi detailgenau nachgebaut, das Ende 2022 vor dem Berliner Humboldt Forum aufgestellt wird.
Die Gründungsintendanten des Humboldt Forums, Neil Mac Gregor, Hermann Parzinger und Horst Bredekamp, hatten vor rund 5 Jahren die Idee, das Sanchi-Tor, von dem bereits ein Abguss vor dem früheren Ethnologischen Museum in Dahlem steht, auch im Herzen von Berlin zu installieren. Das Tor ist dann nicht nur ein steinerner Verweis auf die außereuropäischen Sammlungen im Inneren des Humboldt Forums, sondern tritt auch in einen Dialog mit der ebenfalls rekonstruierten barocken Außenfassade des Schlosses. Und auch nach außen wird korrespondiert, nämlich mit dem Stadtraum, da das Sanchi-Tor einen Kontrapunkt zum Brandenburger Tor am anderen Ende der Prachtallee Unter den Linden setzen wird. Ermöglicht wird das Sanchi-Tor durch die Stiftung Humboldt Forum im Berliner Schloss, die das Bauwerk auf ihrem Grundstück nahe Portal 5 errichtet.
Umsetzen soll dieses herkulische Projekt das Bamberger Natursteinwerk Hermann Graser. In Berlin kennt man es gut, jenes rund 400 Kilometer entfernte Haus, denn die fränkische Firma hat bereits die Rücklagenfassaden Nord und Süd und den Portaldurchgang II sowie als Arbeitsgemeinschaft das Portal I, Portal V und die Balustraden des Berliner Stadtschlosses rekonstruiert und die geschwungenen Steinbänke vor dem Haus neugestaltet.
Dunkler Granit, strukturierter Sandstein, heller Quarzit – in den über 20 Steinbrüchen der Firma Graser ist für jedes Projekt etwas dabei. „Wichtig für das Sanchi-Tor ist, dass der Stein eine homogene Farbe und sehr feine Körnung hat, deshalb nutzen wir dafür unseren sogenannten Roten Mainsandstein aus Röttbach in Unterfranken, der dem originalen Sandstein in Indien sehr ähnelt,“ erklärt Nina Graser.
Historischer Hintergrund
Das „Berliner Sanchi-Tor“ ist eine Kopie eines der vier Eingangstore der großen Stupa von Sanchi – eines der bedeutendsten buddhistischen Monumenten des alten Indien. Es handelt sich um einen monumentalen Reliquienhügel zur Verehrung von Reliquien des Buddha und buddhistischer Heiliger und ist heute eine UNESCO Weltkulturerbestätte. Sein Kern reicht bis ins 3. Jh. v. Chr. zurück, bis in die Zeit des Kaiser Ashoka, der als erster große Förderer des Buddhismus gilt. Man verehrte das im Stupa gespeicherte Heilige, indem man es im Uhrzeigersinn umwandelte. Der unter freiem Himmel liegende Umwandlungspfad war somit sakraler Andachtsraum – und als solcher durch einen mächtigen Steinzaun von der profanen Außenwelt deutlich abgegrenzt und auch geschützt. Im 1. Jh. wurde die Anlage des Stupa von Sanchi erweitert. Vor allem wurden vier prächtige Eingangstore mit üppigem Bildschmuck nach Osten, Süden, Westen und Norden in den Steinzaun eingefügt. Das Ost-Tor – das das „Berliner Sanchi-Tor“ abbildet – war der Haupteingang. Ein in Bronze gegossenes Miniaturmodell der gesamten Anlage wird vor der neuen Stupa-Tor-Kopie stehen, anfassbar und auch in Braille-Schrift, so dass das neue Denkmal auch für Menschen mit Seh-Behinderung gut zu erfassen sein wird.
Als britische Kolonialbeamte im 19. Jahrhundert die Altertümer Indiens zu erforschen begannen, fanden sie den Stupa von Sanchi trotz seines hohen Alters als vollständig erhaltenes Ensemble vor – eine große Rarität. Die archaische Bildsprache der Tore begeisterte. So wurden die Tore von Sanchi zum Anfangspunkt fast jeder kunsthistorischen Erzählung zum indischen Altertum.
In den Jahren 1869/1870 wurde vor Ort in Indien vom britischen Lieutenant Henry Hardy Cole für das South Kensington Museum in London (heute Victoria and Albert Museum) unter großem Aufwand ein aus vielen Komponenten bestehender Abguss des Ost-Tors von Sanchi, des einstigen Hauptportals des alten Stupas, erstellt. Das South Kensington Museum fertigte in London mehrere Exemplare an und bot sie europäischen Museen zum Kauf an. Eine solch originalgetreue Nachbildung aus Gips wurde 1886 vom Museum für Völkerkunde Berlin aus London angekauft. Die über 100 Komponenten, aus denen dieses Gips-Exemplar angefertigt war, befinden sich heute im Außendepot in Friedrichshagen, welches zum Museum für Asiatische Kunst in Dahlem gehört.
Von Martina Stoye
Im Museumsdepot wurden die Gipsabdrücke des Tors durch die Firma Graser mit einem 3D-Scanner gescannt und dann im Computer als 3D-Modell zusammengesetzt. So entstand ein digitaler Zwilling der 1886 erworbenen Sanchi-Tor-Kopie. Diese digitalen Daten waren die Grundlage für die Programmierung der Roboter: Die riesige Maschine, mit der die Bamberger Firma Graser seit dem Jahr 2007 die automatisierte Bearbeitung von Naturstein maßgeblich entwickelt und zur praktischen Umsetzung gebracht hat, fräst die Formen grob aus, bevor die Bildhauer*innen ans Werk gehen – wobei „grob“ eine Untertreibung ist. Eigentlich sieht es schon ziemlich gut aus, was da herauskommt, nur die Details wie Gesichter, Blätter oder Ornamente sind noch unscharf.
Hier kommen die Bildhauer*innen ins Spiel, die die Steine auf Grundlage von Fotos der Gipsmodelle sowie des heutigen Sanchi-Tors in Indien endbearbeiten. Zeitweilig sind und waren bis zu 10 Bildhauer*innen zeitgleich beschäftigt.
Eine „archäologische Kopie“, so nennt es Geschäftsführer Hermann Graser, denn Fehlstellen und Verwitterungen werden originalgetreu nachgebildet und nicht ergänzt. Kompliziert wird es dann, wenn der 3D-Scan des Abguss-Modells aus 1869/70 anders aussieht als das heute noch in Indien stehende originale Tor, das sich in Details durch äußere Einflüsse (z.B. Wetter und Restaurierungsmaßnahmen) verändert hat. Dann müssen Expert*innen ran: Die Kommission, zu der u.a. Killinger & Westermann Architekten, das Ingenieurbüro Thomas Bolze sowie die Kuratorin für die Kunst Süd- und Südostasiens des Museums für Asiatische Kunst (Staatliche Museen zu Berlin) Martina Stoye gehört, entscheidet dann zusammen mit den Bamberger Bildhauer*innen, wie weiter vorgegangen wird.
„Jedes Projekt hat individuelle Anforderungen, die es zu bewältigen gibt. Unsere jahrzehntelange Erfahrung lehrt uns bei jedem Auftrag Neues. Dieses Wissen können wir dann bei den Nachfolgeprojekten wiedereinsetzen und weiterentwickeln. So profitiert jedes Stück von den Erfahrungen vorhergehender Projekte,“ sagt Nina Graser. Für die neue Kopie des Ost-Tors von Sanchi haben sich die Bamberger zusätzlich Unterstützung aus Indien geholt. „Den Aufbau des Sanchi-Tors vor dem Berliner Schloss hatte der Bauherr mit der indischen Botschaft im Vorfeld besprochen. Es soll bereits im Stadtraum auf die Ausstellungen im Humboldt Forum aufmerksam machen und insbesondere verdeutlichen, dass das Haus für die Sammlungen aus aller Welt steht. Wir haben daher mit dem Auftraggeber gemeinsam überlegt, dass es aufgrund der kulturellen Bedeutung des Sanchi-Tors sowie der hoch entwickelten indischen Bildhauerkunst eine gute Idee wäre, wenn man sich von indischen Bildhauer*innen Ratschläge und Anregungen für die Bildhauerarbeiten an diesem indischen Kunstwerk einholt. Den Kontakt haben wir dann über den Europäischen Natursteinverband Euroroc (European & International Federation of Natural Stone Industries) hergestellt, dessen Präsident Hermann Graser zurzeit ist. Es ist wunderbar, wie die Bildhauer*innen über Kulturen hinweg Wissen und Kenntnisse austauschen und voneinander lernen,“ erzählt Graser begeistert.
Wenige Minuten geht es über die fränkische Autobahn in Richtung Steinbruch, im Gepäck eine große Flasche Saltlassi als Stärkung für die beiden Inder. Hinter einem Dorf fährt man über einen schmalen Feldweg hoch in den Wald. „Achtung Sprengarbeiten!“ steht an der Einfahrt. Das erste, was ins Auge fällt, ist ein gemütliches Haus mit Holzfenstern, das wirkt wie ein bayrisches Feriendomizil. Hier wohnen einige Arbeiter*innen der Firma, der Weg zum Stein ist kurz. Gleich gegenüber in einer Fabrikhalle ertönt das Schlagen der Meißel, dort stehen die Steinbildhauer zusammen an der Werkbank. Die beiden indischen Gäste sind seit September in Bamberg, haben in Indien bereits an ähnlichen Projekten gearbeitet und schon vorher im Ausland gelebt.
Die Anfertigung einer neuen Kopie des altindischen Sanchi-Tors ist aufgrund der Menge an filigraner Bildhauerarbeit eine Besonderheit für die Arbeiter*innen. „Es ist schon etwas Anderes, so filigran, die Blätter von Pflanzen, die man bei uns gar nicht kennt“, sagt Joachim Mühlen, einer der zehn am Sanchi-Tor tätigen Bildhauer*innen. Umso mehr freut er sich über den Austausch mit den indischen Gästen. Anders ist auch die Arbeitsweise: Die Inder arbeiten hauptsächlich per Hand. Mit dem feinen Drucklufthammer, den die deutschen Bildhauer*innen nutzen, mussten sie sich erst anfreunden. Einen Unterschied würde man nicht sehen, sagt Mühlen. „Das Ergebnis bleibt das gleiche, es geht vielleicht nur etwas schneller“, lacht er. Bei kleinen Details wie Gesichtern verlassen sich aber auch die deutschen Bildhauer*innen auf ihr Fingerspitzengefühl. Beeindruckend detailgenau arbeiten die Steinmetze, die das meterhohe Tor auf den ihnen vorliegenden Detailfotos der Gipsmodelle sowie des Tors in Indien auf DIN A 3 Blättern abgebildet zur Hand haben.
Viel Zeit haben die Bamberger trotz der kleinteiligen Arbeiten nicht, wie Nina Graser verdeutlicht: „Nachdem wir im Januar 2022 den Auftrag zur Erstellung der archäologischen Kopie des Sanchi-Tors erhalten haben, wurden Anfang März die 3D-Scans hergestellt und bis Mai die Werkstatt- und Montageplanung abgeschlossen. Zeitgleich wurde das Rohmaterial in unserem Steinbruch gewonnen, danach mit dem Bearbeiten der Steine begonnen. Mitte Oktober geht es auf der Baustelle mit vorbereitenden Arbeiten los, die ca. 30 Werkstücke werden per LKW nach Berlin transportiert und vor Ort zusammengefügt. Ab Mitte November wird dann das Sanchi-Tor auf der Lustgartenseite des Berliner Schlosses nahe dem Portal 5 aufgestellt.“
Noch dieses Jahr wird das Tor also in Berlin zu Bestaunen und Begehen sein – ein Meisterwerk der Bildhauerkunst und, ganz im Sinne des Humboldt Forums, ein Projekt auch über Ländergrenzen hinweg.