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Zum Raum wird hier die Zeit

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Museum in Bewegung: Im neuen Stabi Kulturwerk wird die Geschichte der Bibliothek und ihrer Sammlungen für alle zugänglich gemacht

Was für ein mächtiges Gebäude die Staatsbibliothek Unter den Linden ist, sieht man immer wieder überrascht, wenn der Blick beim zufälligen Flanieren über die prächtige Fassade gleitet! Oft hört man den Brunnen aus dem ersten Hof plätschern, wenn die Fontäne ein paar Meter in die Höhe schießt. Ringsherum sind viele Mauern, Tore, Fenster und unverkennbar die Schatten der Vergangenheit. Aber was mag sich in den heiligen Hallen verbergen, in den Regalen und Schränken? Wodurch ist diese Bibliothek so besonders?

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Lyrik, Musik, Globen, Fotografie oder Mode – das Stabi Kulturwerkeröffnet am 14. Juli 2022 © Stiftung Preußischer Kulturbesitz / Staatsbibliothek Kulturwerk

Die Neugierde kann jetzt auf ganz neuen Wegen gestillt werden, auch wenn man weder studiert noch forscht und keinen Bibliotheksausweis besitzt. Denn die Staatsbibliothek, mit ihrem gesammelten Wissen das Tor zur Welt, öffnet ab nun der Welt ein weiteres Tor: Im „Stabi Kulturwerk“ kann man sich einen großartigen Eindruck über die Institution und ihre Sammlungen verschaffen.

Und das geht so: Man spaziert einfach durch das Hauptportal, vorbei am Brunnen und an der Cafeteria, ins Erdgeschoss hinein – und steht schon vor der Eingangstür. Keine Kasse? Nein, Eintritt wird nicht verlangt. Und dann breitet sich im magischen Dunkel auf rund 1000 Quadratmetern ein abenteuerlicher Kosmos der Wahrheit und Weisheit aus:

Mit schwarzen Räumen für die Dauerausstellung, mit weißen Räumen für die Sonderausstellungen und mit einer Schatzkammer für die kostbarsten Schaustücke. Neueste Technik wird einsetzt, um alte Zeugnisse unserer Kultur lebendig und zugänglich zu machen.

Eine Bibliothek als Museum – was verbirgt sich dahinter? Carola Pohlmann, die Leiterin der Abteilung für Kinder- und Jugendliteratur in der Staatsbibliothek, betreut das Stabi Kulturwerk seit 2016 als Projektleiterin und koordinierende Kuratorin. Bei ihr liefen alle Fäden zusammen, indes ein Team von 15 Kurator*innen die Exponate der Ausstellung auswählte. Über das Konzept sagt sie: „Wir erzählen die Geschichte der Staatsbibliothek anhand ihrer Bestände. Zugleich ist es Berliner, deutsche, ja Weltgeschichte. Die Bibliothek wurde von Anfang an als wichtige kulturelle Institution ernst genommen. Im Zentrum der Stadt gelegen, war sie ursprünglich die kurfürstliche, später die königliche Bibliothek. Als der Neubau Unter den Linden eingeweiht wurde, kam Kaiser Wilhelm II. persönlich. Die Bibliothek war stets in die Zeitläufte verstrickt, sei es in sozialer, kultureller oder historischer Hinsicht.“

Chronologisch und zweigleisig zu den Schätzen der Bibliothek

Diese Verknüpfung bestimmt auch den architektonischen Aufbau im Stabi Kulturwerk: Auf der rechten Seite kann man sich über die Bibliotheksgeschichte seit der Eröffnung als Churfürstliche Bibliothek zu Cölln an der Spree 1661 bis in die heutige Zeit informieren, auf der linken Seite über die Bestandsgeschichte – also über Erwerbungen aus den entsprechenden Epochen und in deren jeweiligen Kontext. Zum Beispiel sieht man rechts die Typographia Sinica, ein Schränkchen aus Eichenholz. Es enthält in zehn Schubfächern insgesamt 3.287 chinesische Drucktypen. Vermutlich hatte es der Orientalist Andreas Müller (um 1630–1694) in Auftrag gegeben, um seine sinologischen Studien adäquat drucken zu lassen. 1685 überließ er sie der Churfürstlichen Bibliothek.

Auf der anderen Seite liegt eine Kriegsordnung (Königsberg, 1555), die, obwohl rund hundert Jahre vor der Gründung der Bibliothek verfasst, den Kriegsherren weiterhin interessant erschien. Diese Handschrift über Theorie und Praxis der Kriegsführung samt Tafeln mit Variationen von Schlachtordnungen stellen ein originäres Werk Albrechts von Brandenburg-Ansbach dar.

Der Ablauf der Ausstellung ist chronologisch und reicht in fünf Abschnitten bis in unsere Gegenwart. Doch was so fix und fertig wirkt, täuscht: „Das Stabi Kulturwerk ist ein Museum in Bewegung“, freut sich Carola Pohlmann: „Hier werden regelmäßig immer wieder andere Dinge zu sehen sein.“ Denn aus konservatorischen Gründen müssen sie in Absprache mit den Restaurator*innen in Abständen von drei bis zwölf Monaten ausgetauscht werden. Schließlich sollen auch kommende Generation noch etwas von ihnen haben.

Ausstellungsvitrine mit Bildern und Textschildern
Blick in die Ausstellung © Stiftung Preußischer Kulturbesitz / Staatsbibliothek Kulturwerk
Vitrine in schwarzem Raum
Blick in die Ausstellung © Stiftung Preußischer Kulturbesitz / Staatsbibliothek Kulturwerk
Blick in eine Ausstellung mit Vitrinen
Blick in die Ausstellung © Stiftung Preußischer Kulturbesitz / Staatsbibliothek Kulturwerk
Dunkler Ausstellungsraum mit beleuchteten Vitrinen
Blick in die Ausstellung © Stiftung Preußischer Kulturbesitz / Staatsbibliothek Kulturwerk

Dieser Aspekt betrifft natürlich ganz besonders den quadratischen Raum im Untergeschoss, der mit Fug und Recht als Schatzkammer bezeichnet wird. Darin werden die kostbarsten Objekte aus der langen Historie der Staatsbibliothek vorgestellt und vierteljährlich gewechselt. Den Anfang machen unter anderem die Gutenberg-Bibel (1554/55), das Kyrie aus der Originalpartitur der h-Moll-Messe von Johann Sebastian Bach (1733), erlesene Orientalia und Ostasiatica, Tagebücher Alexander von Humboldts (1801/1802), frühe Daguerrotypien (um 1850) – und die zweite Auflage von Heinrich Hoffmanns „Struwwelpeter“ (1846).

In der Mitte des Raumes lädt ein bequemes Sitzmöbel zum Verweilen ein, um sich der Aura der Exponate hingeben zu können. Es sind dies nämlich alles Originale, an denen das Stabi Kulturwerk die Besucher*innen teilhaben lässt. „Wir haben uns in der Schatzkammer bewusst gegen Kopien und Faksimiles entschieden“, erklärt Carola Pohlmann: „Gerade in Zeiten der Bilderflut und der Digitalisierung erfährt das Original eine unglaubliche Wertschätzung! Wir wissen, auch wenn die Menschen ein Objekt schon hundert Mal als Reproduktion gesehen haben, wollen sie es unbedingt einmal ‚in echt‘ wahrnehmen können. Diese Gelegenheit wollen wir ihnen bieten.“

Vergangenes zeigen, die Gegenwart erfassen, die Zukunft abbilden

Technik und Didaktik gehen dabei Hand in Hand. Die multimediale Ergänzung zur Präsentation bietet zusätzliche Informationen mit Hilfe mobiler Informationsgeräte, die verliehen werden, oder auf den privaten Smartphones der Gäste aktiviert werden können. In den verschiedenen Räumen sind Hör- und Medienstationen eingerichtet. Zur Nachbereitung kann man sich per QR-Code in die digitalisierten Materialien vertiefen und etwa von einer Handschrift, die es einem angetan hat, weitere Seiten betrachten, weil sich in der Vitrine bloß eine oder zwei zeigen lassen.

Anders ist es bei einer tollen Installation, die „Das lebende Buch“ heißt: Hier werden die herausragenden Merkmale der Gutenberg-Bibel durch aufwändige multimediale Effekte sinnlich vermittelt – durch fachliche Kommentare, Filme und Fotos, die sich beim Umblättern automatisch einschalten. Anfassen und Umblättern sind ausdrücklich erwünscht, denn die aktive Teilnahme von Jung und Alt wird großgeschrieben. Kinder und Jugendliche sollen ebenso wie Erwachsene angesprochen werden, Berlinerinnen und Berliner ebenso wie – behinderte und nicht behinderte – Gäste von nah und fern. Offen für alle Interessierten will die Staatsbibliothek für ein breiteres Publikum als bisher zugänglich sein: „Das Stabi Kulturwerk ist nicht nur ein Museum, das auf die Vergangenheit konzentriert ist, sondern wird auf die Gegenwart Bezug nehmen und die Zukunft abbilden“, erläutert Carola Pohlmann: „Wir wollen dicht am Puls der Zeit sein und Entwicklungen im Bibliothekswesen anhand von Projekten der Staatsbibliothek verdeutlichen.“

Am Ende landet man in der historischen Rotunde, in der nichts mehr ausgestellt wird, damit die Besucher*innen das Gesehene rekapitulieren und die lichte Architektur Ernst von Ihnes genießen können. In einer Klanginstallation kann man zum Abschluss von Schauspielerinnen und Schauspielern gelesene Texte über die Staatsbibliothek anhören.

Bleibt noch der ganz in weiß gehaltenen Bereich des Stabi Kulturwerks zu nennen, der parallel zu den Räumen mit der Dauerausstellung angeordnet ist. Dort werden Sonderausstellungen präsentiert, die ebenfalls in enger Verbindung zu den Sammlungen und zu den Aktivitäten der Bibliothek stehen werden. Den Anfang macht am 17. August „Unheimlich Fantastisch – E.T.A. Hoffmann 2022“, organisiert zum 200. Todestag des vielfach begabten Künstlers durch das E.T.A. Hoffmann Portal der Staatsbibliothek.

Da sich Trennwände und Tore öffnen lassen, sind unerwartete variable Sichtachsen möglich – quer durch die Räumlichkeiten und von Dauerausstellung zu Sonderausstellung und zurück. So fügen sich die inhaltlichen Ebenen und geschichtlichen Dimensionen zu einem faszinierenden Kontinuum zusammen, durch das die Gäste mühelos wandeln können. Richard Wagner, dessen Vertrag mit dem Verlag Schott aus dem Jahr 1881 für „Parsifal“ in der Musikabteilung der Staatsbibliothek liegt, schrieb in diesem Bühnenweihfestspiel folgende Worte, die auch wunderbar auf das Stabi Kulturwerk passen: „Zum Raum wird hier die Zeit“.

Stabi Kulturwerk

Öffnungszeiten

  • Di, Mi, Fr, Sa, So 10 bis 18 Uhr
     
  • Do 10 bis 20 Uhr

Kontakt

  • Staatsbibliothek zu Berlin, Unter den Linden 8,10117 Berlin
     
  • Tel.: 030 266 433 888

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